Empörung ist keine machtpolitische Kategorie

SYRIA-CONFLICT
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Nur wer auf dem Schlachtfeld steht, hat ein Wort über die Zukunft Syriens mitzureden. Europa und die USA gehören nicht dazu. Doch auch Moskau sollte sich nach dem Fall Aleppos nicht zu früh freuen.

Den Machtlosen bleibt lediglich das Moralisieren. Das gilt im syrischen Bürgerkrieg nicht nur für die UNO und Europa, sondern auch für die USA. Die Welt sei im Entsetzen geeint, erklärte der scheidende US-Präsident, Barack Obama, nach dem Fall Aleppos. An den Händen des syrischen Machthabers, Bashar al-Assad, Russlands und Irans klebe Blut. Das stimmt schon. Doch der Mann, den man einst den mächtigsten der Welt nannte, gedachte nie ernsthaft, etwas dagegen zu tun.

Obama hat die kriegsmüden Amerikaner in Syrien aus dem Spiel genommen. Das Vakuum füllten andere. Im Krieg kann nur mitreden, wer auf dem Schlachtfeld steht. Und das sind außer der zersplitterten syrischen Opposition und dem Regime derzeit drei Akteure: Russland, der Iran – und die Türkei, deren Hauptinteresse freilich darin liegt, die Herausbildung eines grenzübergreifenden Kurdenstaates zu unterbinden.

Der russische Präsident, Wladimir Putin, führt die Amerikaner in Syrien vor. Einen Appell von US-Außenminister John Kerry, sich wieder zu UN-Friedensverhandlungen in Genf zusammenzusetzen, ignorierte der Kreml-Chef rundweg. Stattdessen kündigte er Syrien-Gespräche mit dem Iran und der Türkei in der kasachischen Hauptstadt, Astana, an. Die Botschaft ist klar: Putin strebt eine Pax Russica in Syrien an. Mit der Türkei traf er dabei möglicherweise schon Absprachen. Jedenfalls rührte der türkische Präsident keinen Finger, um die Rückeroberung Aleppos abzuwenden. Dass Erdoğan kurz davor in einer Rede den Sturz Assads forderte, war bloß gesichtswahrender Theaterdonner.

Assads ruchlose Strategie des Ausbombens und Aushungerns scheint sich bezahlt zu machen. Russische Kampfflugzeuge dienen ihm dabei als Luftwaffe und schiitische Milizen als Speerspitze. Doch der Fall Aleppos bedeutet lediglich eine Wende, nicht das Ende im Bürgerkrieg. Auf den Gebeinen Hunderttausender Toter, die der Bürgerkrieg seit 2011 verschlungen hat, gedeiht keine stabile Herrschaft. Im Kreml sollte sich keiner der Illusion hingeben, dass die syrischen Rebellen und Jihadisten, die immer noch die Provinz Idlib nahe der Türkei sowie die Grenzgebiete zu Jordanien und Gegenden rund um Damaskus beherrschen, nach all den Opfern entnervt die Flinten ins Korn werfen. Sie werden radikalisiert weiterkämpfen und dabei auf Unterstützung aus den sunnitischen Golfstaaten zählen können, die den Einfluss Irans in der Region eindämmen wollen.

Grosny II. Putin wähnt sich im Aufwind. Doch auch er wird nicht fähig sein, die Unwägbarkeiten eines Krieges unter Kontrolle zu halten und Ordnung ins Chaos zu bringen. Wahrscheinlicher ist, dass Russland tiefer im syrischen Sumpf versinkt – und dafür bezahlt. Auch wenn Aleppo fatal an die Flächenbombardements auf Grosny erinnert: Syrien ist nicht Tschetschenien. Es könnte aber Moskaus zweites Afghanistan werden.

Obamas Nachfolger, Donald Trump, wird sich aus Syrien heraushalten. Gemeinsam mit Putin will er den IS bekämpfen. Was mit dem Rest Syriens passiert, scheint ihm nicht so wichtig. Wahrscheinlich hätte Trump nichts dagegen, wenn Assad wieder unangefochten regierte. Diesen Wunsch hegt man insgeheim wohl auch in europäischen Staatskanzleien, auch wenn dann ungezählte Kriegsverbrechen ungesühnt blieben.

Doch das Völkerrecht gehört längst zu den vielen Opfern des Syrien-Kriegs. Die Schutzverantwortung, die internationale Pflicht einzugreifen, wenn ein Herrscher auf sein eigenes Volk schießt, diskutieren nur noch Proseminaristen an der Uni. Das Zeitalter der humanitären Intervention ist vorbei. Es gilt wieder das Recht des Stärkeren. Wer dies ändern will, braucht mächtige Fürsprecher. Auf die USA, die sich im Irak und anderswo selbst über internationales Recht hinwegsetzten, wird unter Trump kaum zu zählen sein. Auf die EU theoretisch schon eher. Doch ihr fehlen der Wille und die militärischen Mittel, um im Ringen um die Weltordnung ernst genommen zu werden. Empörung ist keine machtpolitische Kategorie.

christian.ultsch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.12.2016)

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