Hanf: Der grüne Goldrausch in Österreich

Auch diese Pflanze wurde im Labor gezüchtet – vor knapp drei Monaten.
Auch diese Pflanze wurde im Labor gezüchtet – vor knapp drei Monaten.(c) Clemens Fabry
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Alexander Kristen ist Österreichs größter Hanfbauer. Er zog vor die Verfassungsrichter, weil er Cannabis als Medizin anbauen wollte – und verlor. Aufgeben will der Unternehmer aber nicht.

„Das ist nicht Jamaika, sondern ein normaler Produktionsbetrieb.“ Es hat gute Gründe, warum Alexander Kristen das erwähnt. Der 45-Jährige steht in einer Lagerhalle im Süden von Wien – rings um ihn ein Meer aus meterhohen Cannabispflanzen. „Das sind meine Mutterpflanzen“, erzählt Österreichs größter Hanfbauer. Über tausend Triebe schneidet ihnen jeder Mitarbeiter täglich ab, setzt sie ein und zieht sie zu neuen Pflanzen heran. Gut 25.000 Hanfstecklinge verkauft Kristens Firma, Flowery Field, jede Woche in ganz Österreich. Als Zierpflanzen, wohlgemerkt.

Sie darf man in Österreich nämlich legal besitzen. Erst der Besitz und der Konsum von Marihuana, den getrockneten Blüten der Hanfpflanze, sind verboten. Problematisch wird es also immer dann, wenn die Hobbygärtner die Pflanzen zu Hause zum Blühen bringen. Dass viele der Kunden genau deshalb Hanfstecklinge einkaufen, ist ein offenes Geheimnis. Bis vor wenigen Jahren hatten die Produzenten deshalb regelmäßig Besuch von der Polizei. Ihnen wurde eine Beitragstäterschaft zur illegalen Drogenproduktion vorgeworfen. Alexander Kristen wechselte 2004 direkt vom Jusstudium in die Branche. Dass es klare Grenzen geben müsse, war ihm von Beginn an klar: „Keine Papers, keine Wasserpfeifen, keine Drogenberatung“, lautet die Regel. Lässt sich einer der 35 Mitarbeiter doch dazu hinreißen, einem Kunden illegale Anbautipps zu geben, muss er gehen. Doch spätestens seit das Oberlandesgericht dem Unternehmer 2014 quasi einen Persilschein für sein Geschäftsmodell ausgestellt hat, hebt die Branche in Österreich ab. Kristen selbst setzt jährlich mehrere Millionen Euro mit seinen Cannabispflanzen um. Und seit halb Amerika legal Cannabis konsumieren darf und das „Wall Street Journal“ oder der „Economist“ seitenweise Berichte über die Multimilliardendollarbranche bringen, drängen auch in Europa mehr Unternehmer auf den Markt. Im Monatstakt öffnen neue Hanfshops und Stecklingszüchter. An Kunden mangelt es zumindest dem Veteran Flowery Field nicht. Oktober und November zählen zur Hochsaison, so der Firmengründer. „Damit alle Weihnachten entspannt verbringen können.“


Altbekannte Medizin. Anders als die meisten Kollegen tritt er nicht für eine komplette Legalisierung der Droge ein. „Ich bin kein Don Quichotte“, sagt Kristen. „Ich kämpfe lieber für etwas, was auch realistisch ist: Hanf als Medizin.“ Im 19. Jahrhundert war die schmerzstillende und krampflösende Heilpflanze das meistverschriebene Medikament in Österreichs Apotheken. Mittlerweile sind die positiven Wirkungen der unterschiedlichen Inhaltsstoffe vor allem für Schmerzpatienten gut belegt. Der unkontrollierte Konsum in jungen Jahren kann zwar Psychosen mitauslösen und die Merkfähigkeit beeinträchtigen. Therapeutisch dosiert bestätigen Ärzte aber stimmungsaufhellende, appetitanregende, schmerzstillende oder augeninnendrucksenkende Wirkungen.

Viele Länder haben Cannabis als Medizin längst wiederentdeckt. Die meisten US-Bundesstaaten setzen Cannabis als Medizin ein. In Europa bereiten Irland und die Türkei die Zulassung vor. Kanada will Hanf komplett freigeben. Die Niederlande, Tschechien und Portugal strafen den Eigengebrauch nicht mehr. Und ab 2017 legalisiert auch Deutschland die Hanfproduktion für medizinische Zwecke. Mit dem richtigen Rezept können die Deutschen dann Marihuana aus Deutschland in der Apotheke kaufen.

In dieses Geschäft will auch Alexander Kristen groß einsteigen. Einfach ist es nicht. Zwar sind auch in Österreich bestimmte Arzneien auf Cannabisbasis erhältlich. Doch anders als in Deutschland hat sich der Staat das Monopol auf die Cannabisproduktion gesichert. Nur die Agentur für Ernährungssicherheit (Ages) darf Hanfblüten erzeugen und diese dann in Deutschland weiterverarbeiten lassen. Damit wollte sich der Beinahejurist Kristen nicht abfinden. Im Frühjahr zog er daher vor den Verfassungsgerichtshof, um das Monopol der Ages zu brechen – und verlor. Diese Woche wies der Verfassungsgerichtshof den Antrag ab.


Gras aus dem Glas. Das Ende seines Kampfes ist das aber nicht. Nach Schätzungen von Kurt Blaas, einem praktischen Arzt, der sich seit fast zwanzig Jahren für Cannabismedizin einsetzt, werden in Österreich 7000 bis 10.000 Patienten mit Cannabismedikamenten versorgt. Nachfrage stark steigend. Die Preise, die sie in der Apotheke bezahlen müssten, seien aufgrund des Ages-Monopols stark überzogen, klagt der Unternehmer. Bis zu 600 Euro kostet eine Monatsration, die Krankenkasse zahlt nur einen Bruchteil. „Es ist nicht einzusehen, warum sich ein Patient sein Medikament illegal auf der Straße besorgen muss“, so Kristen. Die Zukunft, ist er sicher, müsse auch in Österreich anders aussehen.

Und für diese Zukunft will er gerüstet sein. Seine Lagerhallen voller Mutterpflanzen wird er dann nicht mehr brauchen. Denn nach zehn Jahren Forschung hat der Hanfproduzent geschafft, was noch keinem in Europa geglückt ist: Er hat die Stecklingsproduktion vom Gewächshaus ins Labor verlagert und erzeugt seine Hanfpflanzen jetzt in vitro.

Stolz führt der Unternehmer in das neue Herzstück seines Betriebs: ein paar sterile Laborräume, in denen eine chinesische Biochemikerin in den vergangenen Jahren die Genetik der stärksten Mutterpflanzen entschlüsselt hat, ihnen Stammzellen entnimmt und sie mittlerweile beliebig klonen kann. Gleich nebenan ein kleiner, kahler Lagerraum, in grelles Neonlicht getaucht. Hier denkt niemand an Jamaika.

Dabei ist auch dieser Raum randvoll mit Marihuanapflanzen. Zigtausende junge Hanfpflanzen stehen in kleinen Glasröhrchen in den Regalen. Bis zu 100.000 Stück haben im 30 Quadratmeter kleinen Raum Platz. Bisher wären sechs Lagerhallen notwendig gewesen. Die wirtschaftlichen Vorteile der neuen Methode liegen auf der Hand. Gras aus dem Glas braucht weniger Platz, weniger Hände und vor allem weniger Strom als konventionell erzeugter Hanf. Derzeit verbraucht Flowery Field so viel Strom wie eine Kleinstadt. Wird die Produktion 2017 umgestellt, sinken die Kosten um die Hälfte. Aber nicht nur das. Die Pflanzen sind robuster, wachsen buschiger und haben nicht nur einen starken Haupttrieb, sondern mehrere, wirbt der 45-Jährige. Wie zum Beweis stellt er sich neben einen zweieinhalb Meter hohen Marihuanabaum. Vor drei Monaten wurde er im Labor zum Leben erweckt. Der wichtigste Unterschied zum konventionellen Zuchtbetrieb ist aber die Qualität. Die Pflanzen sind garantiert frei von Krankheiten, Schädlingen, Viren und Pestiziden. „Das ist notwendig, wenn man in die medizinische Produktion einsteigen will“, sagt Alexander Kristen.


Glücksritter im grünen Rausch. Er ist nicht der Einzige, der darauf baut, dass medizinischer Hanf auch in Österreich bald Karriere machen wird. Doch der Firmenchef sieht die neuen „Glücksritter“ skeptisch. „Jeder glaubt, er wird mit einem Hanfshop gleich Millionär. In ihrem grünen Geldrausch übersehen sie, dass die Branche von großen Konzernen besetzt ist.“ In den USA notieren große Produzenten an der Börse. In Kanada haben frühere Immobiliengesellschaften das Geschäft an sich gerissen.

Wie gut, dass sich der heimische „Hanfkönig“ (© Die Zeit) auf seine treuen Kunden verlassen kann, solange er die Apotheken noch nicht beliefern darf. Zu tun gibt es genug. Denn auch im Jänner werden meist überdurchschnittlich viele Zierpflanzen gekauft. Das Weihnachtsgeld ist da – und viele Kunden haben wieder mehr Zeit für ihr Hobby.

Cannabis

Die Cannabispflanze enthält psychoaktive Wirkstoffe, die als Haschisch (Dope) oder Marihuana (Gras) geraucht werden. Am bekanntesten ist der Wirkstoff THC, andere Inhaltsstoffe sind nicht psychoaktiv, sondern wirken etwa schmerzstillend. In vielen Ländern ist Hanf als Medizin erlaubt.

In Österreich sind Besitz und Konsum von Marihuana verboten. Als Zierpflanze ist Cannabis erlaubt, solang sie nicht blüht. Dennoch hat jeder fünfte Österreicher schon einmal Cannabis konsumiert, jeder Achte raucht regelmäßig Joints. Körperlich abhängig macht die Droge nicht. Das psychische Suchtpotenzial ist geringer als bei Alkohol.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.12.2016)

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