Die Große Koalition in Berlin will hohe Geldstrafen für soziale Plattformen einführen, die Fake News und klagbares Material nicht rasch genug von ihren Internetseiten entfernen. Doch solche Großkonzerne wollen selbst die Regeln bestimmen.
Die deutsche Bundesregierung hat diese Woche versucht, auf Firmen wie Facebook stärkeren Druck auszuüben. Der US-Medienriese, der weltweit 1,8 Milliarden Nutzer hat, soll gezwungen werden, sogenannte Falschmeldungen rascher als bisher üblich zu löschen und auch umgehend Gegendarstellungen zu bringen. Man plant Gesetze, die bei Zuwiderhandeln Bußgelder in der Höhe von 500.000 Euro vorsehen. In der aktuellen Ausgabe des deutschen Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ kündigte SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann „in der Debatte um Fake News und Hassbotschaften eine ,härtere Gangart‘ gegen Facebookund andere Plattformen an“. Noch vor der Bundestagswahl 2017 will die Koalition der Christ- und Sozialdemokraten solch ein Gesetz initiieren.
Ein Krebsgeschwür. Das ist ein frommer Wunsch. Fake News sind ein Krebsgeschwür der Kommunikationsgesellschaft, sie können, wenn sie über einen gigantischen Multiplikator wie den genannten verbreitet werden, sogar Wahlen beeinflussen. Der künftige Präsident der USA zum Beispiel hat die Möglichkeiten der Manipulation in den sozialen Netzen wohl am brutalsten genutzt. Aber kann man solch einen multinationalen Konzern, der das Privateste seiner Nutzer der Öffentlichkeit preisgibt, überhaupt als Nachrichtenportal behandeln? Ist es nicht eher ein Rummelplatz, ein Darkroom oder gar der pure Aktionismus fiktionaler Gestalten, die sich auf die Freiheit der Kunst berufen?
Facebook, von Mark Zuckerberg 2004 gegründet, erinnert dem Wesen nach selbst an ein Fake. Seine Macher versprechen freien Austausch von Gedanken, erkauft wird dieser aber teuer. Wünsche, Sehnsüchte und Exzesse ihrer User bringen der Firma Milliarden Dollar an Gewinn, sie möchte aber allein über die Regeln dieser artifiziellen Welt bestimmen. Der Bundesregierung kann man nur Glück wünschen, wenn sie versucht, derart mächtige Unternehmen zur Raison zu bringen, indem sie etwa fordert, dass „marktbeherrschende Plattformen“ gesetzlich verpflichtet würden, rund um die Uhr eine Rechtsschutzstelle zu betreiben. Die Aussichten auf Zivilisierung solcher Giganten scheinen ungünstig zu sein.
„Im Netz des Bösen“. Eben erst hat Facebook präsentiert, wie es gegen Falschmeldungen vorgehen will. In die Karten will sich der Konzern bei seiner Löscharbeit aber nicht wirklich blicken lassen. In einer eindrucksvollen Enthüllungsgeschichte haben Hannes Grassegger und Till Krause im Magazin der „Süddeutschen Zeitung“ gezeigt, wie die Selbstzensur des größten sozialen Netzwerkes der Welt funktioniert. Seine Methoden sollen geheim bleiben, vermuten die Reporter in dem ausführlichen Text unter dem Titel „Im Netz des Bösen“. Das „SZ-Magazin“hat (Ex)-Mitarbeiter der Firma Arvato aus dem Bertelsmann-Konzern befragt, die diese Zensur betreiben. Mehr als 100 „Content-Moderatoren“ und Hunderte weitere Mitarbeiter aus diversen Ländern führen allein in Berlin für Facebook Mac-Job-Löscharbeiten durch. Es wurde ihnen vom Arbeitgeber zwar verboten, mit Medien über ihren Job zu reden, offenbar herrscht strikte Geheimhaltung über den Arbeitgeber, doch was die Informanten der „SZ“ erzählen, ist erschreckend. Ihr Alltag besteht aus Gewaltvideos, Pornografie, Pädophilie, Hasskommentaren. Viele dieser Einträge scheinen ein Fall für den Staatsanwalt zu sein. Wie mit ihnen umgegangen wird, ist aber offenbar völlig von Facebook abhängig. Was für Interessen hat es?
Rein theoretisch gefragt: Falls der US-Konzern auf die Gesetzesinitiative der deutschen Regierung reagiert, indem er Accounts von CDU, CSU und SPD strafweise sperrt – wer wird darüber befinden, ob das erlaubt sei?
("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.12.2016)