Die neuen Pisa-Ergebnisse halten uns allen den Spiegel vor

Wir brauchen durchgehend mehr Engagement für die Wissenschaft, von den Elternhäusern hin zu den Unis.

Der Skandal um die jüngsten Pisa-Ergebnisse liegt vor allem im österreichischen Weltrekord im Geschlechterunterschied in den Naturwissenschaften. Dieser gewaltige Abstand kann nicht nur an der Schule liegen. Um ihn zu verstehen, braucht es einen weiteren Blick auf Bildung und Gesellschaft.

Glaubt etwa wirklich jemand, dass eine chronisch vernachlässigte Forschung, dass ausgehungerte Unis nichts mit der Schulmisere zu tun hätten? Oder eine kommerzialisierte Gesellschaft, in der man für entbehrlich hält, was nicht der Anwendung bzw. der Berufsausbildung dient? Die Politik sollte endlich die Harmonisierung der Sektoren von Bildung anpacken, anstatt dem Volk aufs Maul zu schauen. Einem Volk, dem Wissenschaft und Bildung wenig bedeuten, weil man es in den Schulen partiell ungebildet hält.

Sehr erfreulich, dass nun Wissenschaftsminister Reinhold Mitterlehner und Klement Tockner, der neue Präsident des FWF, ab 2018 den schlimmen Mangel in der Finanzierung der heimischen Topgrundlagenforschung beseitigen wollen. Aber werden die zusätzlich versprochenen knapp 100 Millionen p. a. ausreichen, jene kritische Masse in der Spitzenwissenschaft zu erreichen, die schließlich auch in die anderen Sektoren der Bildung, vom Kindergarten bis zur Lehreraubildung, durchschlägt? Dies wäre aber höchst nötig. So zeigen Medienanalysen, dass man für die Schule die üblichen „Lernfächer“ für wichtig hält, gefolgt von Religion und Ethik (!); die Naturwissenschaften dagegen rangieren unter „ferner liefen“, obwohl wir längst in ihrem Zeitalter leben. So kann es wohl nicht weitergehen! Im Pflichtschulbereich unterrichten meist weibliche Lehrkräfte, die offenbar wissenschaftliches Denken – also den Geist der Aufklärung – wenig internalisiert haben, ja oft genug in Opposition dazu stehen. Sind sie jene Role Models, denen wir das jüngste Pisa-Ergebnis verdanken?

Verkrustete Geschlechterrollen treffen auf mangelhafte Ausbildung. Zu lang rekrutierten die Pädagogischen Hochschulen ihre „Professoren“ aus den eigenen Lehrerkreisen; nur zaghaft wird dabei Wissenschaftskompetenz zum Thema. Wie will man so Hirn und Herz der Junglehrerinnen für die Wissenschaften entflammen? Und die Ausbildung von AHS-Lehrerinnen an den schändlich unterdotierten Unis leidet unter zu vielen Studierenden bei zu wenig Personal; eine gründliche Sozialisierung mit wissenschaftlichem Denken muss dabei auf der Strecke bleiben.

Wir brauchen daher durchgehend mehr Engagement für die Wissenschaft, buchstäblich von den Elternhäusern über die Kindergärten bis hin zu den Unis. Strukturfetischismus hilft der Schule nicht. So schaffte man mit der Neuen Mittelschule die Leistungsgruppen an den Hauptschulen ab, mit fatalen Folgen. In Klassen mit 25 Schülern finden sich nun ein paar mit Sonderbedarf und viele aus gesellschaftlichen Problemzonen. In diesem „Inklusionssystem des Mangels“ kommen die Schwachen zu kurz, die Begabten langweilen sich zu Tode.

Sonja Hammerschmid weist zu Recht auf die entscheidenden Faktoren Lehrerqualität und individualisierter Unterricht hin. Die Gesamtschule kann hilfreich sein, aber ohne parallele Aufrüstung der Forschung, der Unis und der Lehrerausbildung, ohne gesellschaftliche Veränderungen werden die schulischen Leistungen bleiben, wie sie sind.

Kurt Kotrschal ist Zoologe an der Uni Wien und Leiter der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle in Grünau.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.12.2016)

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