Der Lkw als Terrorwaffe

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Jihadisten setzen Fahrzeuge zunehmend zum Morden ein, zuletzt auch in Nizza. Die IS-Propaganda druckte sogar Anweisungen ab.

Paris/Wien. Noch ist unklar, wer für das Berliner Blutbad verantwortlich ist. Doch für viele, vor allem in Frankreich, stellt der Anschlag ein trauriges Déjà-vu dar: Die Vorgangsweise des Massenmörders in Berlin erinnert stark an die Todesfahrt in Nizza am 14. Juli 2016. Auch damals setzte der Attentäter einen Lkw als Waffe ein, um möglichst viele Zivilisten zu ermorden.

Zur Erinnerung: In der Côte-d'Azur-Metropole wurde gerade der französische Nationalfeiertag zelebriert, als kurz vor 22.30 Uhr ein 19 Tonnen schwerer Lastwagen in die Menschenmenge auf der Promenade des Anglais raste. Am Steuer saß der in Nizza wohnende Tunesier Mohamed Lahouaiej-Bouhlel. Auf den letzten hundert Metern beschleunigte er, dann umging er eine simple Polizeisperre, indem er sein Fahrzeug auf das breite Trottoir der Promenade lenkte. Der Lastwagen fuhr im Zickzackkurs vorsätzlich in die Menge. Wenig später schossen Polizisten mit ihren Dienstpistolen, um das Fahrzeug und den Lenker zu stoppen, der zurückschoss. Als der Lastwagen schließlich anhielt, töteten zwei Beamte den vermutlich verletzten Lahouaiej-Bouhlel.

Seine Todesfahrt auf 1,7 Kilometern hatte mehr als eine Viertelstunde gedauert. Bei seinem Massaker starben 86 Menschen, mehr als 400 wurden verletzt. Kurz nach diesem Attentat teilte die Terrororganisation Islamischer Staat über ihre üblichen Propagandakanäle mit, der Täter habe in ihrem Sinn und Auftrag gehandelt.

Der Anschlag in Nizza zeigte aber auch, wie irreleitend die Theorie der „einsamen Wölfe“ sein kann: Anfangs war man davon ausgegangen, dass der Täter sich übers Internet radikalisiert und im Alleingang agiert hatte. Zitiert wurde in diesem Zusammenhang immer wieder der Aufruf des inzwischen getöteten Ex-IS-Sprechers Abu Mohammed al-Adnani: Er hatte „einsame Wölfe“ aufgefordert, Massaker im Westen zu verüben. Später stellte sich heraus, dass der Mörder von Nizza möglicherweise sehr wohl Komplizen hatte. Terrorexperten, wie der Ex-Geheimdienstler Claude Moniquet im „Presse“-Interview, hatten von Anfang an Zweifel am Profil des isolierten Täters geäußert: Moniquet geht grundsätzlich davon aus, dass diese scheinbar allein agierenden Terroristen in Wirklichkeit fast immer von IS-Strategen geleitet werden, mit denen sie zumindest einmal direkten Kontakt haben.

„Einfache und sicherste Waffe“

Kein Zufall dürfte ebenfalls die Mordmethode in Berlin gewesen sein: Der IS empfiehlt neuerdings seinen Schergen, Lastwagen als Waffe für den Massenmord einzusetzen: So veröffentlichten die Jihadisten im November in ihrem Magazin „Rumiyah“ einen dreiseitigen Artikel mit genauen Anweisungen, wie Einzeltäter ein solches Attentat mit einem Lastwagen verüben sollen. Dabei priesen sie den Anschlag in Nizza als Vorbild.

Im Artikel heißt es, ein Fahrzeug sei für einen Angriff gut geeignet, weil es einfach zu beschaffen, aber nicht verdächtig sei. „Es ist eine der sichersten und einfachsten Waffen, die man gegen die Kuffar (Ungläubigen) einsetzen kann.“ Man solle „große und schwere Fahrzeuge mit ausreichender Geschwindigkeit auswählen“. Auch für potenzielle Ziele gibt es Anweisungen: Geeignet seien „Märkte, Festivals, Paraden oder politische Versammlungen“.

Der Einsatz von Fahrzeugen als islamistische Terrorwaffen gegen Zivilisten ist allerdings kein Novum – vor allem im Nahostkonflikt wurden dadurch zahlreiche Menschen getötet. 2014 überfuhr ein Palästinenser einen Mann in Jerusalem mit einem Bagger und verletzte fünf Menschen. Ein weiterer Palästinenser raste im selben Jahr mit seinem Auto in eine Menschenmenge, tötete ein Baby und eine junge Frau und verletzte sieben Personen. Allein 2008 gab es in Israel mehrere Tote und etliche Verletzte bei drei Anschlägen, die Palästinenser mit Radladern oder anderen Fahrzeugen verübten. In allen Fällen wurden die Attentäter erschossen. (r.b., basta., APA)

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.12.2016)

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