„Sozialsystem schafft keinen Anreiz für Leistung“

Symbolbild Alter, Armut Tod, Rente
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Wer mehr verdient, bekommt weniger Geld vom Staat: Ein Einkommensunterschied von fast 2000 Euro brutto verringert sich durch die Transferleistungen auf lediglich 39 Euro pro Monat.

WIEN (rie). Hart arbeiten – das ist der Weg, um reich zu werden. Zumindest in den USA. In Österreich lautet das Motto dagegen: die Transferleistungen kennen. Denn mit harter Arbeit und damit mehr Einkommen bestraft man sich am Ende nur selbst. „Familien in der Gründungsphase, denen es finanziell überall am meisten mangelt“, urteilen zwei Studienautoren über das österreichische Steuer- und Sozialsystem, „wird es unmöglich gemacht, sich durch eigene Leistung zu verbessern“.

Schon ab einem Bruttoeinkommen von 2000 Euro würden österreichische Familien mit Kindern von der öffentlichen Hand bestraft, „weil diverse Sozialleistungen dann geringer ausfallen oder ganz gestrichen werden“. Die Untersuchung stammt von Franz Prettenthaler vom Institut für Technologie- und Regionalpolitik der Joanneum Research Forschungsgesellschaft und der Dissertantin Cornelia Sterner. Die Studie wurde im Rahmen des Projekts „Aufgabe Soziale Gerechtigkeit Steiermark“ durchgeführt und beruht auf Beispielen aus diesem Bundesland, die aber auf das ganze Bundesgebiet anwendbar seien.

Das bemerkenswerteste Ergebnis liefert ein Vergleich von zwei Familien, eine mit einem Bruttohaushaltseinkommen von 1900 Euro und eine mit einem von 3800 Euro. Rechnet man alle Transferleistungen hinzu, die die Familien von Bund, Land und Gemeinde erhalten können, kommt man auf ein verfügbares Einkommen dieser beiden Familien, das sich um gerade einmal 39 Euro pro Monat unterscheidet.

„Wozu überhaupt arbeiten?“

Das beweise, dass das österreichische Steuer- und Sozialsystem wenig Anreize für Besserverdiener bietet. Die Autoren beschreiben es so: „Die Frage ,Wozu überhaupt noch arbeiten?‘ bekommt angesichts dieser Zahlen einen anderen Klang. Es handelt sich dabei nicht mehr nur um das Raunzen von zwei Wohlsituierten, die sich bei einem Sektempfang darüber beklagen, dass sie mit einem zusätzlichen Aufsichtsratsmandat zur Hälfte für den Fiskus arbeiten. Es wird ein ehrlicher Ruf der Verzweiflung von Familien in der Gründungsphase, wenn es finanziell überall mangelt, es aber aussichtslos erscheint, sich durch eigene Leistung von der derzeitigen Situation zu verbessern. Gerade in der Lebensphase mit einer naturgegebenen hohen Leistungsbereitschaft wird es jungen Familien verunmöglicht, etwas aufzubauen. Stattdessen wird Mehrleistung mit einem Grenzsteuersatz von 100 Prozent bestraft.“

Grund für die Ungerechtigkeiten seien ein undurchschaubares Dickicht an verschiedenen Zahlungen und Gehaltsgrenzen für den Bezug diverser Leistungen. Soziale Transferleistungen von Bund, Ländern und Gemeinden bestünden „unkoordiniert nebeneinander“, heißt es in dem Bericht.

Probleme würden sich vor allem dann ergeben, wenn sich „Sozialleistungen für ein und dieselbe Person kumulieren, diese durch das Überschreiten willkürlich gesetzter Einkommensgrenzen sukzessive wegfallen, während der deutlich progressive Steuersatz lediglich auf das Bruttoeinkommen angewendet wird“.

Mehr Einkommen, weniger Geld

Das zeige sich deutlich bei den Familien. Ein Haushalt mit einem Bruttoeinkommen von 950 Euro könne etwa 2010 Euro an Transfers erhalten. Aufgrund des Verlustes bzw. der Einschleifung einkommensabhängiger Transfers erhält eine Familie mit dem doppelten Haushaltseinkommen (brutto 1900 Euro) noch 1600 Euro an Transferleistungen, eine mit 3800 Euro Haushaltseinkommen aber nur noch 587 Euro.

Das ergebe am Ende einen enormen Unterschied beim Nettoeinkommen plus Transfers: Die Familie mit 950 Euro Einkommen hat nur um etwa 440 Euro weniger zur Verfügung als die Familie, die 3800 Euro Haushaltseinkommen hat.

Das beweise: Aufgrund des Verlustes von Transferleistungen und der Erhöhung von Steuer- und Sozialversicherungsabgaben bestehe kein Anreiz, „die Leistung zu erhöhen und von Transfers unabhängig zu werden“.

Vielmehr verkehre es sich sogar noch ins Gegenteil, wie das Beispiel mit dem Haushaltseinkommen von 1900 Euro brutto zeige: „Wenn das Einkommen um 50 Euro erhöht wird, verringert sich das Nettohaushaltseinkommen plus Transfers von 3215 Euro auf 3087 Euro. Eine Erhöhung des Einkommens um 50 Euro führt also zu einem Verlust von ca. 130 Euro.“

Noch ein Phänomen des Steuer- und Sozialsystems belegen die Autoren: Bei niedrigem Erwerbseinkommen bestehe ein relativ hoher finanzieller Anreiz, Kinder zu bekommen, während bei hohem Erwerbseinkommen Familien ohne Kinder bzw. mit weniger Kindern finanziell deutlich bessergestellt sind.

Die Grenze beziffern Prettenthaler und Sterner mit „zwischen 2150 und 2950 Euro Bruttohaushaltseinkommen“. Das harte Urteil der Autoren: „So muss man den Eindruck gewinnen, der Gesetzgeber möchte Kinder bereits ab dieser Einkommensklasse verhindern und die gesellschaftliche Aufgabe, Kinder zu bekommen und zu erziehen, ausschließlich wirklich armen Bevölkerungsgruppen übertragen.“

Transfers zur Steuerberechnung

Die Konsequenz für die Autoren, um mehr Einkommensgerechtigkeit zu erreichen, ist klar: Sie schlagen unter anderem die Einrichtung eines sogenannten „Steuertransferkontos“ vor. Auf diesem sollen alle Einkünfte aufscheinen, zugleich müssten die Sozial- und Transferleistungen aller Gebietskörperschaften (Bund, Länder und Gemeinden) über das Finanzamt abgewickelt werden.

Weiters sollen Transferleistungen regressiv eingeschliffen werden, damit es nicht beim Überschreiten bestimmter Einkommensgrenzen plötzlich einen Wegfall der Leistung gibt. Mithilfe des Familiensplittings sollen Kinder bei der Besteuerung stärker berücksichtigt werden, ohne notwendigerweise den Anreiz zur Erwerbstätigkeit des zweiten Partners zu gefährden.

Bewegung in der Debatte

Mit dem System würden beispielsweise Eltern und Kinder gemeinsam veranlagt werden und das zu versteuernde Einkommen der Familie durch die Anzahl der Personen dividiert werden. „Der sich gemäß der progressiven Grundtabelle daraus ergebende Steuerbetrag wird schließlich mit der Zahl der Familienmitglieder multipliziert, um die Steuerlast der Familie zu erhalten.“

Einen Schritt in die richtige Richtung machten nach Ansicht der Autoren der Bund und ein Bundesland in der jüngeren Vergangenheit: Einmal dadurch, dass mit der Steuerreform 2009 die Kosten für Kinderbetreuung erstmals bis 2300 Euro von der Steuer abgesetzt werden können.

Und zweitens dadurch, dass Wien Gratiskindergärten für alle Buben und Mädchen einführte.

Diese Maßnahme hat für heftige Debatten gesorgt. Für Prettenthaler ein durchaus positiver Effekt: Damit komme immerhin „Bewegung“ in die Diskussion.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.10.2009)

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