Staatsfinanzen: Gefangen in der Schuldenfalle

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Die Krise lässt die Staatsschulden dramatisch explodieren. Das erhöht den Druck zu radikalen und umfassenden Reformen dramatisch.

wien (ju).Von Sparen und Budgetkonsolidierung wird schon ebenso lange wie vergeblich gesprochen. Die schwerste Finanzkrise seit 80 Jahren hat die Diskussion um Strukturreformen aber auf eine neue Ebene gehoben: Jetzt geht es nicht mehr darum, ob man echte Reformen angeht. Sondern nur noch um die Überlebensfrage; wie schnell es gelingt, die ja schon seit Jahrzehnten bekannten Reformpotenziale zu heben.

Denn die Staatsfinanzen sind dabei, gewaltig zu entgleisen. Staatshilfen und -haftungen für Banken und Industriebetriebe, stark erhöhte Ausgaben für Arbeitslosen- und Sozialhilfe und dazu die weiterlaufenden Kostenexplosionen bei den seit Jahrzehnten ungelösten Strukturproblemen mit Pensionen, Gesundheitssystem, Eisenbahn- und Agrarsubventionen haben eine Schuldenlawine losgetreten, die den Staat zu verschütten droht.

Wie ernst die Situation ist, zeigt ein Vergleich: In den ersten neun Jahren des neuen Jahrtausends ist es mühsam und unter großen politischen Krämpfen gelungen, die Staatsschuldenquote (Anteil der Staatsschulden am Bruttoinlandsprodukt) von ein bisschen über sechzig auf ein bisschen unter die im Eurostabilitätspakt festgelegte Obergrenze von 60 Prozent zu drücken. Budgetsanierung hat man das genannt – und die Regierung war mächtig stolz darauf.

Jetzt wird diese Staatsschuldenquote binnen weniger Jahre auf 80 bis 90 Prozent des BIP steigen. Anders gesagt: Die Staatsschulden nehmen in kurzer Zeit um stolze 60 bis 90 Mrd. Euro zu.

Die Staatsschuldenquote sagt aber noch nicht die Wahrheit: Der Staat kann seine Schulden ja nicht aus dem BIP, sondern nur aus seinen Staatseinnahmen (überwiegend Steuern) bedienen. Und die liegen insgesamt bei nur 60 Milliarden im Jahr. Diese echte Staatsschuldenquote (Schulden in Prozent der Staatseinnahmen) liegt jetzt schon bei 310 Prozent. Und sie wird bis 2011 auf rund 400 bis 450 Prozent steigen. Jemand, der Schulden in Höhe des Viereinhalbfachen seines Jahreseinkommens hat, hat wohl ein größeres Problem, würde man meinen.

Dabei ist das noch die positive, sozusagen offizielle Schätzung. Der frühere Wifo-Chef Helmut Kramer geht realistischerweise davon aus, dass bei Reformen wie gehabt weiter gebremst wird. In diesem Fall wird allein der Mehraufwand für Bildung, Pensionen, Klimaschutz und Gesundheit 2035 acht Prozent des BIP erreichen. Und wenn da nicht einschneidende Maßnahmen gesetzt werden, wird die Staatsschuld eben über die Krisenfolgen hinaus um dieses strukturelle Defizit angehoben. Dann werden wir 2035, also in 25 Jahren, eine Staatsverschuldung von rund 130 Prozent des BIP haben. Nach heutigem BIP-Stand wären das 400 Milliarden Euro.

Ein Horrorszenario, denn in diesem Fall würden die Zinsen für die Staatsschuld (die jetzt schon bei sieben Mrd. Euro im Jahr liegen und bald auf zehn Milliarden klettern werden) einen Großteil der Staatseinnahmen auffressen. Und dem Staat damit jeden Gestaltungsspielraum nehmen.

Realistische Zahlenspielerei

Dass das Kramer-Szenario keine unrealistische Zahlenspielerei ist, beweist die EU-Kommission: Die glaubt den vergleichsweise optimistischen Prognosen der EU-Finanzminister nämlich auch kein Wort und schätzt, dass die Schuldenquote der Euroländer in den kommenden zehn Jahren im Schnitt auf 130 Prozent des BIP steigen wird. Nur zur Erinnerung: Laut dem Eurostabilitätspakt dürften diese Länder maximal 60 Prozent Schuldenquote aufweisen. Der auf den sogenannten Maastricht-Kriterien beruhende Stabilitätspakt ist also wohl auf Jahrzehnte hinaus tot.

Die Notwendigkeit drastischer Sparprogramme ist auf politischer Ebene nämlich keineswegs einsichtig. Kramer beispielsweise meinte jüngst in einer Studie zur Staatsverschuldung, auf politischer Ebene gebe es „kein Bewusstsein für das Ausmaß der Krise“. Das sei ein Grund dafür, dass die Szenarien für die Republik „auf deutlich zu positiven Annahmen“ beruhten.

Experten meinen, dass das Ausmaß der gegenwärtigen Schuldenexplosion mit einseitigen Maßnahmen nicht in den Griff zu bekommen sei. Es stelle sich also nicht die Frage, ob man Ausgaben senken oder Steuern erhöhen soll. Man werde wohl beides machen müssen.

Allerdings: Bevor man an Steuererhöhungen denke, müsse erst das Einsparungspotenzial voll ausgeschöpft werden. Und da müsse man zuallererst die strukturellen Defizite beseitigen.

Bei den Pensionen und im Gesundheitsbereich hat man da schon einiges an Potenzial ausgemacht. Im Gesundheitsbereich etwa sehen Experten ein theoretisches Einsparungspotenzial von zwei bis drei Mrd. Euro, ohne dass dadurch die Leistungen wesentlich verschlechtert würden. Und bei den Pensionen würde nur eine Anhebung des faktischen Pensionsantrittsalters (derzeit knapp unter 60) auf das gesetzliche Pensionsalter (65) rund fünf Mrd. Euro bringen. Und zwar pro Jahr.

Allerdings auch hier sehr theoretisch: Frühpensionierungen werden derzeit ja massiv sowohl von staatlichen als auch von privaten Unternehmen als Mittel zum „sozialverträglichen“ Personalabbau eingesetzt. Eine sofortige Anhebung des faktischen Pensionsantrittsalters würde also kurzfristig nur die Ausgaben für Arbeitslosenhilfe erhöhen, womit der Einsparungseffekt sehr gering wäre. Trotzdem wird man um diese Maßnahme nicht herumkommen. Die Finanzierungslücke im Budget ist aber auch dann noch riesengroß. Und da kommt jetzt die Mammutaufgabe ins Spiel: die große Verwaltungsreform, an der bisher noch jede Regierung kläglichst gescheitert ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.10.2009)

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