Die Bankenkrise ist zurück. In Italien muss der Steuerzahler die drittgrößte Bank auffangen. Auch bei uns wäre es im Ernstfall nicht anders.
Der schottische Historiker Niall Ferguson hat sich intensiv mit Finanz- und Bankenkrisen befasst. Am Ende ist er zu dem Schluss gekommen, dass es nie darum gegangen ist, ob die Banken streng reguliert oder gar nicht reguliert wurden. Ausschlaggebend sei immer gewesen, ob die Manager für ihre milliardenschweren Verfehlungen auch zur Rechenschaft gezogen wurden. Denn: „Habgierige Menschen wird es immer geben, in und außerhalb von Banken. In der Regel halten sie sich dort auf, wo Geld ist. Aber habgierige Menschen betrügen nur dann, wenn sie glauben, dass sie damit durchkommen.“
Genau vor diesem Problem stehen wir heute. Nicht einmal zehn Jahren nach Beginn der jüngsten Finanz- und Bankenkrise steht Europa neuerlich vor der Frage: Wird es uns gelingen, eine Bank in die wohlverdiente Pleite zu schicken, oder muss wieder einmal der Steuerzahler einspringen? Im Fall der italienischen Krisenbank Monte dei Paschi scheint nun die Antwort gegeben worden zu sein. Der italienische Staat wird Milliarden zuschießen, nachdem die Suche nach privaten Investoren erfolglos beendet worden ist.
Natürlich tue dies der Staat nur zum Wohl der kleinen italienischen Anleger, heißt es. Hunderttausende besitzen nämlich Bankanleihen. Diese wären im Fall einer Bankenpleite wertlos. Denn im Zuge eines Insolvenzverfahrens müssten sich die Inhaber dieser nachrangigen Anleihen ganz hinten anstellen.
Jahrelang haben die Banken nämlich ihren Kunden eingeredet, dass eine Anleihe quasi null Risiko birgt. Und wie es aussieht, waren diese Kunden tatsächlich gut beraten. Weil das Risiko nun ihre Nachbarn und jene mit den lächerlichen Sparbüchern oder Bausparverträgen übernehmen.
Würden wir also dieser Chuzpe und Logik folgen, dürfte morgen keiner seinem Enkelkind einen Bausparer unter den Christbaum legen, sondern nachrangige Anleihen großer systemrelevanter heimischer Banken. Für sie gab es noch im Vorjahr eine Verzinsung von über fünf Prozent. Wir sprechen aber wohlweislich im Konjunktiv: Denn diese Schnäppchen in Zeiten des Nullzinses gibt es nur für gewisse Kreise, nicht für den viel zitierten Kleinanleger. Er kommt in der Regel ohnehin erst ganz zum Schluss zum Zug. Was sagt uns das? Dass es den armen, unschuldigen Kleinanleger vermutlich nur in den seltensten Fällen gibt.
Von Voltaire stammt der berühmte Ausspruch, dass die Engländer im Fall des Falles einen General hinrichten lassen, „pur encourager les autres“ – um die restlichen Generäle zu motivieren. In Frankreich hingegen würden unfähige Offiziere bei fürstlicher Bezahlung pensioniert. Ähnlich verhält es sich heute in der Welt der Finanz. Es geht längst nicht mehr um die Frage, ob die Banken einst zu wenig reguliert wurden oder derzeit falsch reguliert werden. All die Regularien sind am Ende wertlos, wenn Versagen oder Dummheit (oder beides zusammen) keine Konsequenzen hat.
Ferguson hat recherchiert, welcher Bankmanager in Großbritannien während der Finanzkrise die härteste Strafe ausgefasst hat. Er kam auf Fred Goodwin, den früheren Chef der Royal Bank of Scotland. Goodwin war der Adelstitel aberkannt worden. Voltaire hätte heute also selbst mit den Briten keine große Freude mehr.
Wenn es um Versagen und Konsequenzen geht, dürfen allerdings nicht nur die Banken gemeint sein, sondern auch die Anleger – ob klein oder groß. Jemand, der von seinem Wahlrecht Gebrauch macht, eine Waffe kaufen und ein Auto lenken darf, sollte auch bei Bankgeschäften sein Hirn einschalten dürfen. Ein Blick ins Internet – oder besser auf die Wirtschaftsseiten einer guten Tageszeitung –, und schon muss klar sein, dass eine nachrangige Anleihe kein Finanzprodukt für einen kleinen Sparer ist, dass es einen Unterschied zwischen Sparen und Investieren gibt.
Nicht einmal zwei Jahre nachdem die EU die Regeln für eine geordnete Abwicklung notleidender Banken aufgestellt hat, werden diese auch schon gebrochen. Beim ersten Anlassfall. Wir sind wieder einmal „too big to fail“. Oder sollte es heißen: „Too big to jail“?
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.12.2016)