Die Seidenstraße führt durch den Nahen Osten

Die Vereinigten Staaten ziehen sich seit Jahren immer weiter aus dem arabischen Raum zurück. China ist inzwischen nicht nur wirtschaftlich im Nahen Osten präsent, sondern wird künftig auch politisch mitmischen.

Alte Handelswege verbinden die arabische Halbinsel mit China und Indien. Seit dem Aufstieg Chinas zur zweitgrößten Wirtschaftsmacht der Welt erhalten die einstigen Karawanenrouten mit Flughäfen und Schnellzügen eine gewichtige Infrastruktur. Während die EU über theoretische Zusammenarbeit in Energiefragen in Zentralasien konferiert, bauen chinesische Ingenieure mit ihren eingeflogenen Bautrupps Pipelines in Rekordzeit.

Eurasien als gemeinsamer Wirtschaftsraum stand einst auf der Agenda eines Charles de Gaulle, und es beschäftigt seit jeher Wladimir Putin. Nach dem Zerfall der Sowjetunion war dieser Raum auch eine kleine Weile zur Spielwiese von US-Strategen geworden. „The new great game“ hieß der damalige Zugang in Washington, wo man euphorisch meinte, den Kampf um Rohstoffe und die Herzen der neuen Diktatoren leicht gewinnen zu können. China bewegte sich lang im Abseits und kam in so mancher außenpolitischen Gleichung des Westens gar nicht vor.

Westen hat sich verzettelt

Besagter Westen hat sich mit seinen humanitären Interventionen und der Illusion einer unter militärischem Zwang geschaffenen liberalen Ordnung verzettelt. Der gewählte US-Präsident Donald Trump versprach im Wahlkampf ein Ende der Regimewechsel und des permanenten Einmischens.

Aus dem Nahen Osten ziehen sich die USA schon seit geraumer Zeit zurück. Ein Grund hierfür liegt auch in der wachsenden Rolle der unkonventionellen Öl- und Gasproduktion mittels Fracking. Der noch amtierende US-Außenminister, John Kerry, meinte schon vor Jahren in einem Interview: „Der Nahe Osten kostet uns 90 Prozent unserer Nerven, umfasst aber nur zehn Prozent unseres Handels.“

Die Prioritäten der USA verschieben sich. In das Vakuum, das die Amerikaner in der arabischen Welt hinterlassen, treten asiatische Spieler. China ist derzeit der mächtigste Drahtzieher, doch auch Indien spielt wie auch Malaysia mit.

Hierbei geht es nicht nur um Warenaustausch zwischen Ost und West. Unter dem Titel „Neue-Seidenstraße-Strategie“ aktualisiert Peking das Verkehrsnetz über Landverbindungen und auf dem Seeweg. Die sogenannte Perlenkette ist ein wohldurchdachtes Netz von Häfen, die bereits chinesische Terminals sind oder es noch werden.

Zentral sind die Transportrouten für Rohstoffe aus Afrika und vor allem Erdöl aus den arabischen Golfstaaten. China tritt geopolitisch selbstbewusst auf und verfolgt konsequent seinen Kurs des GoWest, einer umfassenden Durchdringung strategisch wichtiger Regionen, die wir als Nahen Osten bezeichnen. Das Reich der Mitte wirkt – diskret, aber umso effektiver – diplomatisch von Damaskus bis Teheran.

Pekings handfeste Realpolitik

Peking stützt die syrische Regierung finanziell und bildet ein wichtiges Rückgrat für Bashar al-Assad. Russland agiert in Syrien nicht auf eigene Faust, sondern in Abstimmung mit mehreren Partnern. China ist einer davon. Und im Iran hat die chinesische Wirtschaft dank großer Barter-Abkommen, also Tauschhandelsgeschäfte, aus Sanktionstagen ohnehin einen mächtigen Fuß in der Tür. Pipelines werden weiter mehr nach Osten als nach Westen drehen.

China will Handel treiben, und das erfordert Stabilität. Das Interesse ist daher entsprechend groß, dass weder Syrien zerfällt noch die Türkei im Chaos untergeht, dass weder Ägypten im Stromausfall versinkt oder in Saudiarabien die nächste arabische Revolte ausbricht. Denn ein wichtiger Teil der chinesischen Seidenstraße findet sich im östlichen Mittelmeerraum, bevor die asiatischen Interessensphären dann via Griechenland nach Europa drehen. Rotterdam und Venedig heißen die beiden wesentlichen Terminals für chinesische Händler auf dem europäischen Kontinent.

Dahinter steht nicht bloß das ideologisch verbrämte Streben nach Harmonie der Kommunistischen Partei Chinas, sondern handfeste Realpolitik. Konnte China noch bis Mitte der 1990er-Jahre seine Nachfrage nach Erdöl mit nationaler Produktion abdecken, ist die Lokomotive der Weltwirtschaft seit einigen Jahren die Nummer eins unter den Erdölimporteuren. Kippen die Golfstaaten, wäre China energiepolitisch viel mehr getroffen als die etablierten Industriestaaten, deren Ölnachfrage seit 2006 stagniert.

Das chinesische Modell

Nahostpolitik rückt nach dem großen Gerangel um Afrika, wo die Chinesen die ehemaligen Kolonialmächte ebenso wie die afrikanischen Machthaber und die US-Allianzen alt aussehen lassen, auf der Agenda ganz nach oben. Die Theokratie Saudiarabien, seit 1947 natürlicher Verbündeter der USA gegen die „ungläubige“ Sowjetunion, unterhielt bis 1992 keine Beziehungen zum kommunistischen China. Doch schon wenige Jahre später sollte das saudisch-chinesische Handelsvolumen infolge der Energielieferungen rasant steigen. Als 2006 die Unifil den Südlibanon stabilisieren sollte, meldete China sofort 1000 Blauhelme für das neue Kontingent. Israel weiß Chinas Rolle hier zu schätzen.

Konfuzius-Institute nisten sich an arabischen Universitäten ein. Das Modell China, das Prosperität, aber nicht Freiheit verheißt, gewinnt nicht nur unter den Potentaten an Zuspruch. Der jüngste UN-Bericht zur arabischen Entwicklung zeigt klar, dass der Wunsch nach Arbeit die Sehnsucht nach politischer Freiheit aussticht.

Weltweit ist die Jugendarbeitslosigkeit in den arabischen Staaten am höchsten. Angesichts anhaltender demografischer Trends und des von Krieg und Terror geschwächten Tourismus, eines wichtigen Arbeitgebers, wird der Jugendüberschuss zur sozialen Bombe, wie die Autoren der UN-Berichtsreihe schon 2002 warnten.

Eine tiefe, mentale Kluft

Hierfür bietet China sicher keine Lösung. Im Gegenteil: Die Chinesen exportieren ihre arbeitslosen jungen Männer in diese ohnehin fragilen Staaten. Proteste gegen chinesische Ladenbesitzer und Ölarbeiter erfassten 2005 Algerien. Die Asiaten haben da und dort so manche Branche erfolgreich übernommen. Mental herrscht sowieso eine tiefe Kluft. Die meist areligiösen Asiaten, die sich eher an Tugenden ihrer Philosophen ausrichten und nicht Heilsversprechen folgen, können mit den frommen Arabern wenig anfangen. Da verband die US-Missionare, die ihre Protestant Colleges einst zwischen Kairo und Beirut gründeten, mit den jeweiligen Eliten mehr.

Noch steht China am Beginn seiner Präsenz im Nahen Osten. Chinesische Flugzeugträger werden zwischen Levante und Persischem Golf kreuzen, wie dies in den vergangenen 60 Jahren die US-Flotte getan hat. Vielleicht wird ein prochinesischer Oberst so manche staatliche Konkursmasse neu ordnen. Die Hunde bellen, und die Karawane zieht weiter, lautet ein arabischer Spruch. Die Orientfrage wird dann andere beschäftigen.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

DIE AUTORIN



Karin Kneissl
(*1965 in Wien) studierte Jus und Arabistik in Wien. Sie war 1991/1992 Studentin an der ENA. Von 1990 bis 1998 im diplomatischen Dienst, danach Lehrtätigkeit. Zahlreiche Publikationen, darunter: „Die Gewaltspirale. Warum Orient und Okzident nicht miteinander können“ (2007), „Mein Naher Osten“ (Braumüller, 2014). [ Privat ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.12.2016)

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