Israels Netanjahu gegen den Rest des Westens

Benjamin Netanjahu.
Benjamin Netanjahu.(c) APA/AFP/GALI TIBBON
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Als Reaktion auf die Kritik der USA und eine UN-Resolution gegen die Siedlungspolitik schlägt der israelische Premier um sich.

Halbe Nächte hatte John Kerry im Frühjahr 2014 im King-David-Hotel in Jerusalem im Zuge seiner Nahost-Friedensinitiative wie mit Engelszungen auf ihn eingeredet – vergeblich, wie sich bald herausstellte. Nun, da der US-Außenminister drei Wochen vor Ende seiner Amtszeit und auf dem Tiefpunkt der langen Zerrüttung mit dem wichtigsten Verbündeten in der Region am Mittwochabend seine aufgestaute Frustration über die israelische Siedlungspolitik in einer 70-minütigen Rede, die zugleich Vision und Testament war, zum Ausdruck brachte, schlug der Premier schäumend um sich.

„Die Israelis haben es nicht nötig, dass sie von ausländischen Führern über die Bedeutung des Friedens belehrt werden“, zeterte Benjamin Netanjahu. „Der gesamte Nahe Osten geht in Flammen auf, Regierungen werden gestürzt, der Terror greift um sich – und eine Stunde lang attackiert der Außenminister die einzige Demokratie im Nahen Osten. Vielleicht hat Kerry es nicht registriert, dass Israel der einzige Ort in Nahost ist, an dem man Weihnachten in Frieden und Sicherheit feiern kann“, merkte er sarkastisch an.

Trost für „Bibi“ Netanjahu kam indessen via Twitter just aus den USA, aus dem Urlaubsdomizil des designierten Präsidenten in Palm Beach in Florida. „Bleib stark, Israel. Der 20. Jänner rückt rasch näher“, so formulierte Donald Trump in Anspielung auf das Datum seiner Angelobung seine Solidaritätsadresse an den Regierungschef – die Verheißung für ein neues Kapitel in den Beziehungen zwischen Washington und Jerusalem. Trump hatte David Friedman, seinen Anwalt und einen deklarierten Unterstützer des Siedlungsbaus in den Palästinensergebieten, zum neuen US-Botschafter ernannt und eine Verlegung der Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem in Aussicht gestellt.

Die Ultrarechten in der Koalition in Jerusalem fühlen sich durch den Machtwechsel in Washington beflügelt. Naftali Bennett, Bildungsminister und Chef der rechten Siedlerpartei Jüdisches Heim, frohlockte prompt: „Am 20. Jänner nehmen wir das Thema Palästina von der Agenda.“ Neulich war er bereits dafür eingetreten, große Teile des Westjordanlandes zu annektieren. Verteidigungsminister Avigdor Lieberman, ein Proponent der Siedlerbewegung, rief Frankreichs Juden wiederum zum Exodus nach Israel auf, nachdem eine für den 15. Jänner in Paris angesetzte Nahostkonferenz seinen Unmut ausgelöst hatte. „Das ist nicht euer Land.“ Er kritisierte das Treffen als Tribunal gegen Israel, als „moderne Version“ des Dreyfus-Prozesses.

Diplomatische Sanktionen

Wie zur Demonstration der Stärke Israels entzündete der Premier zum Chanukka-Fest eine Kerze just vor der Klagemauer in Jerusalem. Unter der Devise „Bibi gegen den Rest des Westens“ tobt Netanjahu derweil seit einer Woche wegen der UN-Resolution zur israelischen Siedlungspolitik, die von der Obama-Regierung orchestriert worden sei, wie er unterstellt, und die demonstrative Stimmenthaltung Washingtons. Er hatte den symbolhaften Beschluss durch seinen Draht zu Trump zu hintertreiben versucht, und er beließ es nicht bei martialischen Worten wie „Kriegserklärung“ und Drohungen.

Nicht nur zitierte Netanjahu als Premier und Außenminister in Personalunion die Botschafter der 15 Mitgliedstaaten des Sicherheitsrats zu sich. Er schränkte die diplomatischen Beziehungen zu einer Reihe dieser Länder ein und strich unter anderem die Entwicklungshilfe für den Senegal. Mit der Ausladung des ukrainischen Premiers sowie einiger Außenminister und der Absage eines Gesprächs mit Theresa May, der britischen Premierministerin, am Rande des Weltwirtschaftsforums in Davos statuierte er Exempel.

Die Opposition wirft dem Premier indes vor, in Hysterie zu verfallen und das Land in die Isolation zu treiben. „Bibi steht am Rand des messianischen Abgrunds“, twitterte Ex-Premier Ehud Barak. Und damit meinte er nicht neue Ermittlungen der Justiz gegen den Premier in einer Korruptionsaffäre.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.12.2016)

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