Fall Amri: Asylamt sieht keine Behördenfehler

Warum konnte Anis Amri den Anschlag in Berlin überhaupt begehen? Die Behörden weisen Schuldvorwürfe zurück.
Warum konnte Anis Amri den Anschlag in Berlin überhaupt begehen? Die Behörden weisen Schuldvorwürfe zurück.(c) APA/AFP/DPA/STEPHAN SCHUETZE (STEPHAN SCHUETZE)
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Der Berlin-Attentäter war als Gefährder eingestuft, doch das Risiko wurde falsch eingeschätzt. Die Behörden sind sich keiner Fehler bewusst, das System müsse verbessert werden.

Im Fall des mutmaßlichen Berlin-Attentäters Anis Amri sieht das für Asylanträge zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) keine eigenen Versäumnisse. "Amri ist nicht durch das Raster des Bamf geschlüpft", sagte Behördenchef Frank-Jürgen Weise der "Bild"-Zeitung vom Freitag. "Bis jetzt kann ich keine Fehler des Bamf im Fall Amri erkennen."

Auch Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger (SPD) wies Vorwürfe zurück, die Behörden hätten im Fall Amri versagt. "Vorwürfe mache ich mir daher nicht, aber der Anschlag macht mich sehr betroffen", sagte der Bamf-Chef. "Der Fall Amri ist Anlass, einige Prozesse auch in unserem Hause nochmals genau zu überprüfen." Eine abschließende Bewertung könne aber erst vorgenommen werden, wenn der Fall vollständig aufgearbeitet sei.

Drogenmilieu statt Terrorgefahr

Jäger sagte im ARD-"Morgenmagazin", die Behörden in Berlin und Nordrhein-Westfalen seien davon ausgegangen, dass von Amri keine aktuelle Anschlagsgefahr ausgehe. Der Tunesier sei eher im Drogenmilieu verortet worden. Es habe keine Handhabe gegeben, ihn in Haft zu nehmen.

Amri, der zeitweise als Asylbewerber in Nordrhein-Westfalen gemeldet war, war den Sicherheitsbehörden als Gefährder bekannt. Er wurde auch überwacht, allerdings nicht mehr zum Tatzeitpunkt. Der Tunesier hatte im Frühjahr 2016 einen Asylantrag in Deutschland gestellt, der bereits kurze Zeit später abgelehnt wurde.

Bamf-Chef Weise verwies darauf, dass es "im europäischen Asylregister Eurodac keinen Treffer zu Amri" gab. Seine Behörde "konnte also nicht wissen, ob er einen Antrag stellte und dieser in Italien abgelehnt worden war". Aber selbst wenn das Bamf es gewusst hätte, "hätte Amri hier einen Asylantrag stellen können - den hätten wir dann ebenfalls abgelehnt".

Kritik übt Weise an den europäischen Partnerländern: "Das Eurodac-System funktioniert nur so gut, wie es auch mit Daten befüllt wird." Hier seien alle Länder in der Pflicht, gründlich zu arbeiten.

Amri soll beim Anschlag mit einem Lastwagen auf den Weihnachtsmarkt an der Berliner Gedächtniskirche am 19. Dezember zwölf Menschen getötet haben. Etwa 50 weitere Menschen wurden bei dem Attentat verletzt, viele von ihnen schwer.

Fehleinschätzung

Der SPD-Innenexperte Burkhard Lischka sagte der "Mitteldeutschen Zeitung" aus Halle: "Die Risikobewertung Amris hat sich als Fehleinschätzung herausgestellt." Gleichwohl nahm der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion die Sicherheitsbehörden in Schutz. Solche Fehleinschätzungen werde es noch häufiger geben, schließlich seien 550 Gefährder bekannt, von denen sich schätzungsweise 200 in Deutschland aufhielten.

Die stellvertretende CSU-Vorsitzende Angelika Niebler forderte eine deutliche Ausweitung der Abschiebehaft. "Wir brauchen einen neuen Haftgrund für Gefährder und die Verlängerung des Ausreisegewahrsams von derzeit vier Tagen auf wenigstens vier Wochen", sagte Niebler der Zeitung "Die Welt" aus Berlin. Es könne nicht sein, dass straffällig gewordene Gefährder, deren Asylantrag abgelehnt worden sei, sich frei in Deutschland aufhalten oder in Europa bewegen könnten.

Wollte Amri nach Rom?

Amri wollte italienischen Medienberichten zufolge ursprünglich nach Rom, bevor ihn die Polizei bei Mailand erschoss. Die Zeitung "Corriere della Sera" berichtete am Freitag, Überwachungskameras auf dem Turiner Bahnhof hätten den aus Frankreich eingetroffenen Amri zweimal dabei gefilmt, wie er Anschlusszüge nach Rom oder Mailand suchte.

Schließlich habe er sich für einen Regionalzug in die Lombardei entschieden, "weil zu so später Stunde kein Zug mehr in die Hauptstadt fuhr". In einigen Zeitungen hieß es, als der 24-Jährige am 23. Dezember gegen 02.00 Uhr in Mailand ankam, habe er einen jungen Salvadorianer gefragt, wo er in einen Zug oder Bus "nach Rom, Neapel oder in den Süden" einsteigen könne.

Die römische Zeitung "Il Messaggero" hält es für "keinen Zufall", dass Amri in die Hauptstadt wollte. In der Region Latium um Rom habe Amri "wahrscheinlich die engsten Kontakte" gehabt. Der junge Tunesier habe mehrere Wochen in Aprilia südöstlich von Rom bei einem Landsmann verbracht, den er auf der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa kennengelernt habe und der derzeit inhaftiert sei. Der Polizei zufolge wurden diese Woche in der ländlichen Gegend Aprilia zwei Wohnungen durchsucht, in denen sich Amri vor einem Jahr aufgehalten haben soll.

(APA/AFP)

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