Polen entscheidet über Erfolg von Europas Klimaschutzpolitik

Kohle bringt dem größten osteuropäischen EU-Land nicht nur fast die gesamte Elektrizität, sondern auch Unabhängigkeit von Russland.

BRÜSSEL. Kaum jemand in Brüsseler Diplomatenkreisen glaubt noch ernsthaft daran, dass auf dem UNO-Klimagipfel in Kopenhagen ein global verpflichtendes Abkommen über den Kampf gegen die Erderwärmung erzielt wird. Denn nicht nur ist es fast ausgeschlossen, dass US-Präsident Barack Obama sein Klimaschutzgesetz rechtzeitig vor der Konferenz durch beide Häuser des Kongresses bekommt. Auch das Angebot, das Europa den Entwicklungs- und Schwellenländern machen muss, damit diese sich zu konkreten Klimaschutzzielen verpflichten lassen, dürfte bis Dezember kaum fertig sein.

Hauptgrund dafür ist das Veto Polens. Der größte EU-Mitgliedstaat der mittel- und osteuropäischen Reformstaaten ist dagegen, dass die EU eine Art von „Klimaschutzentwicklungshilfe“ an Länder wie Senegal oder Bangladesch zahlt. EU-Umweltkommissar Stavros Dimas hat so etwas vor Kurzem vorgeschlagen. Ab dem Jahr 2013 solle die EU gemäß den Berechnungen von Dimas' Beamten zunächst jährlich 900 Millionen bis 3,9 Milliarden Euro an die armen Staaten leisten. Ab dem Jahr 2020 sollen es zwischen zwei und 15 Milliarden Euro pro Jahr sein. Diese Zahlen sind so vage, weil die Kommission annimmt, dass die Entwicklungsländer im Jahr 2020 rund 100 Milliarden Euro benötigen werden, um die Erderwärmung einzudämmen oder wenigsten ihre Folgen, etwa häufigere Flutwellen, zu mildern. Die EU solle zehn bis 30 Prozent dieses Betrages beisteuern, macht also zwei bis 15 Milliarden Euro.

„Aus unserer Sicht ist es völlig inakzeptabel, dass die armen Länder Europas den reichen Ländern Europas dabei helfen sollten, den armen Ländern in der restlichen Welt zu helfen“, sagte Polens Finanzminister Jan Rostowski erst unlängst. Dieser Widerstand ist wenig verwunderlich, denn Polen ist erstens noch immer ein armes Land und zweitens einer der größten Emittenten von Kohlendioxid. Laut EU-Statistikamt Eurostat lag die Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung der Polen im Jahr 2007 nur knapp über der Hälfte des Durchschnitts aller Unionsbürger. Im Jahr 2006 lieferten Kohlekraftwerke laut Internationaler Energieagentur 93 Prozent der polnischen Elektrizität. Anders ausgedrückt: Ohne Kohle geht in Polen das Licht aus.

Erstes Atomkraftwerk ab 2020

Doch diese Tatsachen reichen nicht, um die polnische Einstellung zum Klimawandel zu erklären. „Natürlich ist Kohle der schmutzigste Energieträger“, sagt Polens EU-Botschafter Jan Tombi?ski im „Presse“-Gespräch. „Aber wir haben sie nun einmal. Und sie gibt uns Polen ein Gefühl der energiepolitischen Unabhängigkeit. Denn wir wissen, welche Rolle Öl und Gas in der politischen Strategie Russlands spielen.“

Zudem habe Polen seit dem Fall des kommunistischen Regimes ohnehin bereits stark in die Modernisierung seiner Industrie investiert, sagt Tombi?ski. „Und das bei gleichzeitig steigender Produktivität; unsere Wirtschaft ist ja in der Zwischenzeit nicht geschrumpft.“ Laut Eurostat emittierte Polen im Jahr 2007 nur 70,8 Prozent der Menge an Treibhausgasen, die es 1990 ausgestoßen hatte. Die polnische Wirtschaftsleistung aber hat sich allein in den letzten zehn Jahren verdoppelt.

Polen werde weiter daran arbeiten, den Umstieg von Kohle auf Windkraft und andere erneuerbare Energiequellen zu schaffen, sagt Tombi?ski. Zentraler Bestandteil dieser Wende ist das erste polnische Atomkraftwerk, das ab 2020 Strom liefern soll.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.10.2009)

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