Klimaforschung: „Unterm Strich gewinnt immer die Erwärmung.“

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Mojib Latif, Klimatologe in Kiel, hat vorhergesagt, dass die Erwärmung eine Pause einlegt. Im Gespräch erklärt er, warum – und warnt vor dem Fehlschluss, es sei mehr als eine Pause.

„Die Presse“: Sie haben letztes Jahr prognostiziert, die Erwärmung werde eine zehnjährige Pause einlegen. Jetzt zeigen britische Forscher, dass es diese Pause schon gibt: Seit zehn Jahren hat es global keinerlei Erwärmung gegeben, nicht ein hundertstel Grad.

Mojib Latif: Das stimmt, aber: Wir sind gerade in einer Phase, in der eine natürliche Schwankung die anthropogene globale Erwärmung maskiert. Das heißt auch, dass es ab 2015, 2020 um so schneller weitergehen könnte. Natürliche Schwankungen sind ja zyklisch: Einmal sind sie in der negativen Phase, dann verlangsamen sie den Trend der globalen Erwärmung. Dann kommen sie wieder in die positive Phase, und dann werden sie die Erwärmung wieder verstärken. Auf den langfristigen Trend kann man aus zehn Jahren keine Schlüsse ziehen, dafür muss man schon die letzten 50 oder 100 Jahre betrachten.

Wie die Global-Warming-Geschichte begonnen hat, Ende der 80er, sprach man von einer Erwärmung um 0,8 Grad in den letzten 100 Jahren. Heute spricht man immer noch von 0,8 oder gar 0,7 Grad. Wo bleibt da die globale Erwärmung?

Latif: Ich bin mir sicher, das die Erwärmung gegen Ende des letzten Jahrhunderts deutlich stärker war als in der Mitte oder davor. Das ist auch im Bericht des IPCC (wissenschaftlichen UNO-Klimabeirats) so gezeigt. Man sieht ganz deutlich, dass der Trend sich immer weiter verstärkt hat, je näher wir an das Ende des letzten Jahrhunderts gekommen sind. Das wurde von einigen so gedeutet, dass es eine Beschleunigung der globalen Erwärmung gibt. Aber ich glaube, das lag daran, dass die natürliche Schwankung in einer positiven Phase war und beschleunigt hat. Jetzt sind wir in der negativen Phase, das verlangsamt. Man muss aufpassen: Wenn man einzelne Jahrzehnte betrachtet, kann man schnell an der Nase herumgeführt werden.

Das IPCC hat für die letzten zehn Jahre prognostiziert: plus 0,2...

Latif: Ja.

...gekommen sind 0,00. Das heißt, das IPCC ist nicht einmal in Kurzzeitprognosen zuverlässig. Wie soll ich ihm bei Langzeitprognosen vertrauen?

Latif: Da vergleichen Sie Äpfel mit Birnen. Es gibt zwei Arten von Klimaschwankungen und Vorhersagen. Da ist einmal der menschliche Einfluss, bei dem rechnet man mit den beobachteten Konzentrationen von Treibhausgasen und Annahmen über ihre weitere Entwicklung. Das hat das IPCC bisher gemacht. Damit bekommt man aber nur den menschlichen Anteil, nicht die natürlichen Schwankungen. Deshalb konnte das IPCC gar keine kurzfristigen Voraussagen machen, sondern nur langfristige. Die kurzfristigen kann man nur machen, wenn man – wie wir das in unserer Arbeit im letzten Jahr getan haben – in das Modell eine Schätzung des tatsächlichen Klimazustandes hineinnimmt. Das Modell muss etwa wissen, wie die Meeresströmungen sind.

Auf die setzen Sie.

Latif: Ja, auf Zirkulationen wie den Golfstrom, der ist einmal stärker, einmal schwächer. In den 1980ern und 1990ern war der eher stark, was zusätzlich die Erwärmung angefacht hat; deswegen hatten wir in den letzten Jahrzehnten des Jahrhunderts eine extrem starke Erwärmung.

Haben Sie auch die Sonne drin? Es gibt andere Forscher, die die Pause in der Erwärmung auf sie zurückführen.

Latif: Nein, Wir glauben, dass die Pause dadurch zustande kommt, dass sich sowohl im Pazifik wie im Atlantik die Meeresströmungen in einer Art und Weise ändern, dass sie die Erwärmung durch uns Menschen derzeit ein wenig kaschieren.

Wir haben jetzt seit zehn Jahren keine Erwärmung, Sie prognostizieren noch einmal fünf.

Latif: Das ist völlig normal. Das kann auch länger sein. Diese Schwankungen haben Perioden von zum Teil 50, 60 Jahren. Im Hintergrund läuft trotzdem die globale Erwärmung. Unterm Strich, langfristig, gewinnt immer die Erwärmung. Die natürlichen Schwankungen können sie nicht ewig ausgleichen. Das geht nur am Anfang. Wenn wir einige Jahrzehnte in die Zukunft blicken, dann werden die das nicht mehr schaffen, dann ist die Erwärmung so stark, dass sie sie nicht mehr komplett neutralisieren können.

Letzte Woche kamen Prognosen wie noch nie: plus vier Grad bis 2060.

Latif: Ich weiß. Das hängt natürlich alles davon ab, wie wir uns verhalten. Die CO-Emissionen sind seit 1990, dem Referenzjahr für Kyoto, weltweit um 40 Prozent gestiegen. Wenn man das in die Zukunft extrapoliert, dann kann das natürlich sein.

Kann das aber auch nur Vorgetöse für die UNO-Klimakonferenz in Kopenhagen sein? Im Moment werden ja unglaubliche Zahlen gefahren, sowohl für die Temperaturen wie für Meeresspiegelerhöhungen?

Latif: Im Augenblick passiert beides: Das eine Camp versucht, alles herunterzuspielen. Das andere versucht, es hochzuspielen. Es ist doch klar, dass es vor einer Konferenz Getöse gibt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.10.2009)

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