Hermann Maier: "Als gesunder Mensch aufhören"

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Weil Hermann Maier wieder Spaß am Skifahren haben will, beendet er seine Profikarriere. Dem 36-Jährigen war es ein „Anliegen, als gesunder Mensch aufzuhören“. Pläne für sein „neues Leben“ hat er noch nicht.

WIEN. Als Hermann Maier am Dienstag um 13.54 Uhr das Dachgeschoß der Hofburg auf dem Wiener Josefsplatz betritt, begrüßt ihn ein Blitzlichtgewitter. Im Nu drängen sich Fotografen und TV-Teams um ihn. Einigen Journalisten schüttelt er die Hand. Maier lächelt, er wirkt gefasst, und trotzdem sind seine Augen glasig. Er nähert sich unaufhaltsam in Begleitung von Peter Schröcksnadel und Raiffeisen-Marketing-Chef Leodegar Pruschak dem Podium.

Maier findet seinen Weg durch die Menge genauso zielstrebig, wie er seit elf Jahren die Tore auf den Skipisten im Alpin-Weltcup gemeistert hat. Nach einer kurzen Einleitung fällt der Satz, auf den alle gewartet hatten. „Hallo, grüß euch. Nach reiflicher Überlegung, aber letztendlich doch spontan, ist die Entscheidung gefallen, dass ich meine Karriere beende.“

>> Der Abschied: Maier im Wortlaut

Der 36-jährige Skistar ringt nach Worten. Es gibt kein Halten mehr, und der Skifahrer weint wie ein kleines Kind. Es ist vorbei, der Herminator fährt nicht mehr.

Als gesunder Mensch aufgehört

Maier kann nicht begreifen, dass er gerade seine Karriere beendet hat. Er schüttelt den Kopf, greift sich ins Gesicht. Aber es gibt kein Zurück mehr, er hat den Satz gesagt, und die Emotionen überkommen ihn erneut. „Ich habe den Schlussstrich gezogen“, fügt er schluchzend hinzu, und während erneut ein Blitzlichtgewitter auf ihn niederprasselt, nennt er den Grund für diesen unerwarteten Rückzug. Vergangene Woche hatte er auf dem Gletscher in Sölden beschwerdefrei trainiert, alles sei nach Plan verlaufen, und genau deshalb mache er Schluss.

Er ist gesund, hat alles gewonnen von Weltcup, WM bis Olympia. Es sei eine Vernunftentscheidung, obgleich das Herzblut eines Vollprofis anderes verlange. Wäre er in Nagano 1998 nicht Olympiasieger geworden, er hätte definitiv bis Vancouver im Februar 2010 weitergemacht, gibt Maier offen zu. Ohne dieses Gold wäre er, der Perfektionist, nie abgetreten.

Weil er als Sportler von Ehrgeiz getrieben und als Mensch von seinem Motorradunfall geprägt wurde, war es Maier aber ein „Anliegen, als gesunder Mensch aufzuhören“. Jetzt befinde er sich in einem hervorragenden körperlichen Zustand, sagt er. Er selbst konnte und nicht ein Arzt musste entscheiden, „ob ich weitermache oder aufhöre. Ich will das Skifahren wieder genießen und dann fahren, wann ich will.“

Spontan, wie immer

Doch was passiert jetzt? Was macht Maier? Wer übernimmt seine Rolle beim ÖSV? Welcher Fahrer kann oder will das überhaupt? Über seine Zukunft hat sich der Maurer und Skilehrer noch keine Gedanken gemacht. Dafür sei ihm keine Zeit geblieben, sagt Maier. Zukunftsängste habe er keine, nach einer Auszeit werde er – spontan – von sich hören lassen.

ÖSV und Raiffeisen werden auf jeden Fall mit ihm weiterarbeiten, und hinter den Kulissen prügeln sich schon Österreichs Boulevardzeitungen, die ihn um jeden Preis als Kolumnisten gewinnen wollen. Ganz ohne Wettbewerb kommt Maier also auch in seiner Karriere nach der Karriere nicht aus...

Start bei Paris–Dakar?

Maiers Rücktritt wirkt wie eine perfekt organisierte Inszenierung. Was Dienstag früh mit einem E-Mail von seinem Sponsor begonnen hatte, endete wenige Stunden später in der Hofburg mit einem emotionalen Höhepunkt.

Nichts war seit Freitag durchgesickert, nur wenige wie Alpinchef Hans Pum oder Cheftrainer Toni Giger waren über das „Staatsgeheimnis“ informiert. Maiers langjähriger Trainer, Freund und Weggefährte Andreas Evers war hingegen erst Dienstag früh angerufen worden. „Den Verdacht“, sagt er, „dass Hermann aufhört, hatte ich schon länger. Sein Herz wollte weitermachen, der Körper aber hat Nein gesagt. Ich hoffe, dass er beim ÖSV bleibt. Er kann viel weitergeben als Vorbild.“ Wer weiß, vielleicht bilden Evers und Maier auch noch einmal, abseits der Pisten, ein Gespann. Einen Start bei der Rallye Paris–Dakar wollte Evers dabei nicht ausschließen. „Vielleicht, vielleicht. Alles andere hat Hermann ja schon gemacht. Moment, eines noch nicht – er hat noch kein Comeback nach dem Rücktritt gefeiert.“

Ob da doch noch einmal ein Türchen aufgeht? Allerdings ist Maier nicht mit alternden Tenören oder Boxern zu vergleichen, die sich mit schlechten Comebacks ihren zuvor mühsam kreierten Ruhm zerstören. Das sah auch Hans Pum so. „Hermann wird uns fehlen, aber es muss und wird auch ohne ihn weitergehen. Doch so ein Ausnahmetalent wie ihn werden wir so schnell nicht mehr sehen.“ Da klang bei Pum kurz Wehmut durch, die er aber schnell in den Griff bekam. „Das ist doch kein Begräbnis hier, sondern der Abschied eines großen Sportlers.“

Geduldig, es ist alles gesagt

Hermann Maier hat zu diesem Zeitpunkt längst das Podium verlassen. Noch scharen sich Reporter um ihn, surren Kameras, und er gibt geduldig Interviews. Er genießt es. Er beantwortet jede Frage, auch wenn sie ihm schon vorher fünfmal gestellt worden ist. Er weiß, dass der Rummel um seine Person nachlassen, ebenfalls die Familie nach einiger Zeit zur verdienten Ruhe kommen wird. Auch sind seine Tränen längst getrocknet, denn er freut sich auf sein neues Leben, das bereits heute beginnt. Es ist alles gesagt, und als Maier geht, kann er wieder befreit lachen. „Danke – und pfiat euch.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.10.2009)

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