Präsident Klaus verweigert seine Zustimmung zur EU-Reform. Er will nicht nur die Benes-Dekrete sichern, sondern auch den britischen Tories ein Referendum ermöglichen.
PRAG. Václav Klaus weiß, wie er seine Regierung und die EU-Partner schockt: „Keine Angst, das tue ich nicht“, soll der tschechische Präsident zuletzt bei einem Pferderennen im ostböhmischen Pardubice zu Besuchern gesagt haben – gefragt, ob er bald den EU-Vertrag von Lissabon unterzeichnen wird. Das berichtete gestern die Londoner „Times“ in ihrer Onlineausgabe. Und Prager Quellen untermauern die Aussage des Präsidenten. Nur Klaus ist in der EU seine Unterschrift unter das Reformpaket noch schuldig.
Tschechiens Übergangspremier, Jan Fischer, versuchte am Dienstag in Brüssel die Wogen zu glätten: Er reiste zu den EU-Spitzen, um die Absichten des Präsidenten zu erläutern, und er gab sich zuversichtlich, dass Klaus nach der Erfüllung seiner Bedingungen doch noch unterschreibt.
Klaus befürchtet, die Menschenrechtscharta zum EU-Vertrag würde den Bene?-Dekreten aus den 40er-Jahren widersprechen. Er verlangt eine „Fußnote“ zum Vertrag – eine Bestandsgarantie für die Dekrete gegen mögliche Eigentumsforderungen der nach dem Krieg kollektiv enteigneten und vertriebenen Sudetendeutschen, die dafür die Charta zu Hilfe nehmen könnten. Sonst werde er den Vertrag nicht ratifizieren.
Scheingefecht um Bene?-Dekrete
Doch das Gefecht um die Bene?-Dekrete ist offenbar ein Scheingefecht. Stimmt der Bericht der „Times“, dann will Klaus nämlich unter allen Umständen den Lissabon-Vertrag zu Fall bringen. Die Prager Burg lehnte am Dienstag jeden offiziellen Kommentar zu dem Artikel ab. Ein Dementi sieht anders aus. Beobachter betonen, Klaus werde in seinem Widerstand gegen den Vertrag von den EU-Partnern und auch von der Regierung unterschätzt.
Denn schon am 18.Februar, als Lissabon die überwältigende Zustimmung des Prager Abgeordnetenhauses bekam, drohte Klaus mit einer Absage. Er war vom Ergebnis der Abstimmung bei einem Gespräch mit dem sächsischen Ministerpräsidenten, Stanislav Tillich, informiert worden. Klaus soll Berichten von Zeugen zufolge genervt gezischt haben: „Ich unterschreibe das ohnehin nicht.“ Auf Tschechisch. Doch die Sprache ist für den gebürtigen Sorben Tillich kein Hindernis, dessen Mitarbeiter konnten später die Geschichte kolportieren.
Klaus riskiert also den großen Krach mit Europa und der eigenen Regierung. Die hat sich bereit erklärt, mit den EU-Partnern über Klaus' Forderung zu verhandeln, wenn der Präsident danach Ruhe gibt. Doch Klaus scheint so oder so entschieden.
Deal mit Cameron
Folgt man der „Times“, dann öffnet er mit seiner Verzögerungstaktik den britischen Konservativen eine Tür: Gehen die Wahlen in Großbritannien im Mai 2010 wie erwartet erfolgreich für sie aus, dann können die Tories im Sommer ein Referendum über Lissabon abhalten. Das hat Parteichef David Cameron angekündigt. Der Ausgang einer Volksabstimmung wäre ein klares Nein. Dann wäre der Lissabon-Vertrag tot.
Dieser würde die europäischen EU-Institutionen stärken. Er sieht neue Tobjobs vor: vom „EU-Außenminister“ bis zum gestärkten Ratspräsidenten, der mindestens zweieinhalb Jahre den Staats- und Regierungschefs bei ihren EU-Gipfeln vorsäße. Der Vertrag würde die Entscheidungen der Länder erleichtern – allerdings um den Preis, dass die nationalen Regierungen künftig weniger Vetorechte hätten. Kommt Lissabon nicht, dann wird ein neuer Vertrag noch lange auf sich warten lassen. Darüber sind sich Experten einig.
AUF EINEN BLICK
■Der Lissabon-Vertrag soll die EU stärken. Alle Länder müssen ihn absegnen. Doch Tschechiens Präsident Klaus bremst, weil er befürchtet, dass die Menschenrechtscharta im Vertrag den Bene?-Dekreten widerspricht. Er will Ausnahmen. Zögert er lange, könnte Großbritannien den EU-Vertrag 2010 unter einer Tory-Regierung kippen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.10.2009)