Verwirrung um Identität des Istanbul-Attentäters

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Die Polizei veröffentlicht das Passfoto eines verdächtigen Kirgisen, der jedoch zu dem Zeitpunkt gar nicht in Istanbul gewesen sein soll. Im Zusammenhang mit dem Anschlag verhafteten die Behörden zwei Ausländer.

Wien/Istanbul. Am Dienstag, drei Tage nach dem Anschlag auf den Istanbuler Nachtclub Reina mit 39 Toten, war der Täter noch immer auf der Flucht. Die türkischen Behörden haben ein selbst gedrehtes Video des mutmaßlichen Attentäters veröffentlicht – er ist auf diesen Aufnahmen besser erkennbar als auf den bisher verbreiteten Bildern von Überwachungskameras. Eine halbe Minute lang ist der Verdächtige zu sehen, hält die Kamera auf sein Gesicht gerichtet, während er über einen belebten Platz spaziert. Das Video könnte am Istanbuler Taksim-Platz gedreht worden sein, heißt es in türkischen Medien.

Über die Identität des Mannes herrschte allerdings Unklarheit. Die türkische Polizei bestätigte zunächst Berichte, dass der kirgisische Staatsbürger Lakhe M., 28 Jahre, als Hauptverdächtiger gelte. In sozialen Medien zirkulierte ein Foto seines Passes. Die kirgisische Onlineplattform Turmush sprach mit dem Mann: Als Bazarhändler sei M. zwar geschäftlich immer wieder in Istanbul, in der Silvesternacht aber sei er nicht in der Türkei gewesen. Die Ein- und Ausreisestempel in seinem Pass sollen seine Aussage bestätigen. Demnach kam M. am 1. Jänner in Istanbul an und blieb bis gestern, 3. Jänner. Am Flughafen in Istanbul und auch bei seiner Ankunft in Kirgisistan sei er befragt und anschließend freigelassen worden, so M.

Bereits kurz nach dem Attentat haben die Ermittler den Verdacht geäußert, dass der mutmaßliche Terrorist aus Usbekistan oder Kirgisistan stammen könnte. Regierungsnahe türkische Medien berichten, dass der Mann Kampferfahrung in Syrien gesammelt habe; bei dem Attentat im Club, in dem er wahllos um sich schoss, habe er ruhig und „zielstrebig“ gewirkt, schildern Überlebende.

Vermutlich sei der Mann mit seiner Frau und zwei Kindern im November von Syrien aus in die Türkei gekommen und habe sich im zentralanatolischen Konya niedergelassen. Bisher haben die Behörden im Zusammenhang mit dem Anschlag über ein Dutzend Menschen verhaftet. Am Dienstag folgte die Festnahme zweier ausländischer Staatsbürger am Flughafen Atatürk. Zu allen Verdächtigen sind keine weiteren Details bekannt.

Debatte um Ausnahmezustand

Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) hat sich zu dem Attentat im Reina bekannt. Ankara ist seit mehreren Monaten in Kriegshandlungen in Syrien verwickelt und geht unter anderem gegen den IS vor, etwa in der Stadt al-Bab. Erst am Dienstag sollen türkische Militärs 18 IS-Kämpfer getötet haben. Das Attentat in Istanbul ist daher auch als „Vergeltung“ für die Aktivitäten der Türkei im Bürgerkriegsland zu verstehen. Außerdem hat die türkische Religionsbehörde selbst, die der konservativ-islamischen Regierungspartei AKP nahesteht, vor Silvester- und Weihnachtsfeiern gewarnt und sie als „unislamisch“ bezeichnet.

AKP-Kritiker meinen daher, es sei kein Zufall, dass der Attentäter ausgerechnet einen Club während der Silvesterfeier angegriffen hat.

Seit dem gescheiterten Putsch vergangenen Juli gilt in der Türkei der Ausnahmezustand; trotz erhöhter Sicherheitsmaßnahmen haben etliche Terroranschläge das Land erschüttert. Der AKP-Regierung wird zudem vorgeworfen, den Ausnahmezustand für eine „Säuberung“ zu instrumentalisieren. Nicht nur die Anhänger des Predigers Fethullah Gülen, der hinter dem Putsch stehen soll, werden verhaftet und entlassen, sondern auch säkulare und kurdische Regierungsgegner. In den nächsten Tagen wird das türkische Parlament über eine mögliche Verlängerung des Ausnahmezustands um drei weitere Monate abstimmen.

Unterdessen haben die Behörden die Bilanz ihres Vorgehens gegen die Gülen-Bewegung veröffentlicht. Demnach befinden sich 41.326 Verdächtige in Haft, gegen 103.850 Menschen wird ermittelt. Unter den Festgenommenen befinden sich vor allem Polizisten, Soldaten und Lokalpolitiker. Nach weiteren 5150 Menschen suchen die Behörden noch. (duö/ag.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.01.2017)

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