Ostukraine: "Fast täglich fallen Schüsse"

Kurz in der Caritas-Station in Mariupol: „Wir wollen Frieden“, sagen die Frauen.
Kurz in der Caritas-Station in Mariupol: „Wir wollen Frieden“, sagen die Frauen.(c) AUSSENMINISTERIUM/DRAGAN TATIC
  • Drucken

Die Jungen sind weg, doch viele Ältere harren in den Dörfern an der Front aus – ohne Versorgung und in ständiger Gefahr, wie drei Pensionistinnen Außenminister Kurz schildern.

Mariupol. Es gibt den großen ungelösten Konflikt um die Ostukraine, die gegenseitigen Anschuldigungen, die medialen Debatten. Und es gibt Golyna. Die 77-Jährige ist das Gesicht der humanitären Tragödie, die sich in diesem dritten Kriegswinter im Stillen vollzieht. Mit zwei weiteren Pensionistinnen aus ihrem Heimatdorf Pawlopil sitzt sie an diesem Mittwoch im Caritas-Büro in der südostukrainischen Hafenstadt Mariupol vor Außenminister Sebastian Kurz.

Als der Krieg ihr Dorf Pawlopil erreichte, zogen „vor allem Familien mit kleinen Kindern weg“. Golyna, die 77-Jährige mit dem rotgefärbten Haar, blieb – und zwar auch dann noch, als ihr eigenes Haus beschossen wurde. Ein typisches Bild: Die Jüngeren gehen, die Alten harren aus – unter teils katastrophalen Bedingungen. Es fehle an Nahrung, Medikamenten und Heizmaterial, klagen die drei Frauen: „Wir frieren wirklich.“ Am Wochenende sollen die Temperaturen wieder auf minus 15 Grad stürzen.

Also sind sie angewiesen auf die Hilfe der Caritas, die von der österreichischen Entwicklungshilfeagentur ADA mit 440.000 Euro unterstützt wird. Zu den Separatistengebieten haben die Helfer aber keinen direkten Zugang: „Es gibt Orte, in denen zwei Jahre lang kein Arzt war“, sagt Andrij Waskowycz von der Caritas in Mariupol. Golyna ist kriegsmüde. „Wir wünschen uns Frieden“, sagt sie gegenüber Kurz. Noch ist das eine Illusion. Auch in ihrem Heimatort Pawlopil. „Fast täglich fallen Schüsse, hauptsächlich nachts“, sagen die Frauen. Das liegt vermutlich auch daran, dass die knapp 600 Beobachter der OSZE dann nicht kontrollieren. Zu gefährlich. Kurz erwägt nun den Einsatz „technischer Hilfsmittel“ für eine Rund-um-die-Uhr-Überwachung, auch gegen die Schikanen für OSZE-Beobachter will er ankämpfen: „Es gibt noch viel Luft nach oben.“

„In Jeans zur Kontaktlinie“

Als erster OSZE-Vorsitzender überhaupt war Kurz für zwei Tage in das Konfliktgebiet in der Ostukraine gereist. Das wird ihm dort hoch angerechnet, auch von Amtskollegen Pavlo Klimkin: „Es war besonders, weil wir ohne Krawatten und in Jeans zur Kontaktlinie gegangen sind“, sagte der ukrainische Außenminister, der Kurz zwei Tage lang begleitete: „Ich finde es einfach super, dass ich das Jahr hier zusammen mit Sebastian begonnen habe.“

Das gute Klima zwischen den beiden Außenministern verstellt aber den Blick auf die inhaltliche Differenzen: Die Ukraine will eine bewaffnete Polizeimission der OSZE, doch dafür gibt es in der Organisation keinen Konsens. Kurz wiederum will die Russland-Sanktionen schrittweise lockern – „Zug um Zug“ also für „jede gute Entwicklung vor Ort.“ Der Außenminister erhofft sich davon eine „positive Dynamik“, denn derzeit ist der Konflikt festgefahren, keine Seite bewegt sich. Außenminister Klimkin lehnt den Vorstoß ab: „Erst wenn das Minsker Abkommen vollständig durchgesetzt ist, könnte man über die Aufhebung der Sanktionen reden.“

Die Debatte über eine Lockerung der Strafmaßnahmen für einzelne Zugeständnisse Moskaus hält Klimkin aber ohnehin für „theoretisch“: „Es gibt überhaupt keine Bereitschaft seitens Russlands, Minsk umzusetzen“, sagt er zur „Presse“. „Es ist nicht einmal gelungen, eine Feuerpause zu Weihnachten einzuhalten, oder einen Gefangenenaustausch zu bewerkstelligen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.01.2017)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Im Hubschrauber in Richtung Front. Österreichs Außenminister, Sebastian Kurz, auf Besuch in der Ostukraine.
Außenpolitik

Ostukraine: Kurz an der Front

Österreichs Außenminister, Sebastian Kurz, will als OSZE-Vorsitzender in der Ostukraine vermitteln. Doch ein Besuch in der kriegsgeschundenen Region zeigt: Einfach wird das nicht.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.