Im Geist der Erbauer

Die älteste evangelische Kirche Niederösterreichs blickt auf eine spannende Geschichte zurück. Die Architekten Beneder und Fischer erweisen den Gründern, Holzarbeitern, die lange Zeit als „Geheimprotestanten“ bezeichnet wurden, mit dem neu gestalteten Sakralraum Reverenz. Besuch in Mitterbach am Erlaufsee.

Als Ernst Beneder und Anja Fischer im Jahr 1999 die Osterkapelle im Stift Herzogenburg fertiggestellt hatten, zeichnete sich noch nicht ab, dass der Kirchbau einmal einen elementaren Teil ihrer Arbeit ausmachen würde. Sechs Jahre später realisierten sie den Neubau der Pfarrkirche Gallspach (2005), es folgten Umgestaltungen der Pfarrkirchen von Lingenau (2010), Weidling (2012) und Dornbirn-Oberdorf (2013). Es handelt sich jeweils um kleine Kirchenbauten, keine mächtigen Kathedralen – Beneder und Fischer gelang es dennoch, sie zu besonderen Orten zu machen, die einer Raumbühne gleich eine Vielfalt an Inszenierungen zulassen, und wo Andachten in kleinen Gruppen gleichermaßen den richtigen Rahmen finden wie feierliche Hochämter. Während es bislang katholische Kirchenbauten waren, die das Architektenduo bearbeitete, allesamt aus Architektenwettbewerben hervorgegangen, bauten sie nun erstmals eine evangelische Kirche um.

Die evangelische Kirche in Mitterbach am Erlaufsee ist die älteste ihrer Art in Niederösterreich und die einzige Toleranzkirche im Bundesland. Errichtet wurde sie von Holzknechten aus dem Dachsteingebiet, die Ende der 1740er-Jahre vom Stift Lilienfeld angeworben wurden, um in den Wäldern des Ötschergebiets Holz für Wien zu schlägern. Die Holzarbeiter und ihre Familien waren „Geheimprotestanten“; erst 1781 gestattete ihnen das Toleranzpatent Kaiser Josephs II. die Religionsausübung und die Errichtung von Bethäusern, die jedoch mit etlichen diskriminierenden Einschränkungen verbunden war. So durften sie keinen Turm besitzen, und der Eingang musste von der Hauptstraße abgewandt sein. Es dauerte einige Zeit, bis die Nachricht vom neuen kaiserlichen Gesetz in die abgelegene Gegend vordrang. Ab Februar 1782 meldeten sich die ersten Mitterbacher offiziell als evangelisch, zu Weihnachten 1785 wurde ihr Bethaus eingeweiht. 1849 wurde es mit einem Holzturm mit Glocken versehen, die letzten maßgeblicheren Eingriffe erfolgten 1970.

Mit der Landesausstellung 2015, die sich mit einer Ausstellung vor Ort der Geschichte der evangelischen Gläubigen in der Region widmete, geriet die spannende Geschichte des Bethauses wieder in den Blickpunkt der Öffentlichkeit, was gemeinsam mit dem Lutherjahr 2017 eine günstige zeitliche Konstellation bot, die längst fällige Renovierung der Kirche in Angriff zu nehmen.

Ernst Beneder und Anja Fischer, die zunächst mit einer Studie beauftragt wurden, fanden die Kirche im Wesentlichen in jenem Zustand vor, in den sie 1970 gebracht worden war. Damals wurden die Seitenemporen abgetragen und wurde die Hauptempore weit nach vorn gezogen, was die Blick- und Klangbeziehung vom Altarraum zur Orgel beeinträchtigte. Feuchtes Mauerwerk, eine Lamperie an den Seitenwänden, eine Collage billiger Leuchten und ein Filzboden trugen zudem zu einer eher bedrückenden Raumstimmung bei. Nach eingehender Auseinandersetzung mit der Bautradition evangelischer Bethäuser war für Beneder und Fischer klar, dass im praktischen wie konzeptionellen Sinn den Emporen eine wesentliche Bedeutung zukommt. Eine neue Empore sollte das wichtigste Element der neuen Raumkonzeption sein, für die die Architekten nach einer aktuellen Sprache suchten, dieim Geist der alten Holzfällerkirche – sachlich, mit geringen Mitteln, auf Materialechtheit und Schlichtheit setzend – die Funktionalität und Dramaturgie des Kirchenraums verbessert. Das erhöht liegende Fußbodenniveau des Altarraums wurde in das Kirchenschiff verlängert und damit um den Taufstein ausreichend Raum für Abendmahl und Taufe geschaffen. Ein neuer, gedämmter Dielenboden aus Lärchenholz wurde hergestellt, wodurch frühere Barrieren zu Vorraum und Sakristei minimiert wurden. Die Wände wurden einheitlich weiß gefasst und alle Holzoberflächen der bestehenden Ausstattung von Lackschichten befreit sowie auf ihren ursprünglichen Charakter zurückgeführt.

Die Westempore wurde zurückgebaut; zwei neue Längsemporen kompensieren nicht nur die entgangene Fläche, sondern bringen zudem den durch die Lage der Kanzel asymmetrisch disponierten Raum wieder in Balance. Um die Sichtverbindungen aus den Bankreihen nicht mit Stützen zu behindern, wurde die Tragkonstruktion der neuen Emporen von einer vom Dachstuhl unabhängigen Holzkonstruktion im Dachraum mit zarten Zugstangen aus Stahl abgehängt. Diese tragen u-förmige Bügel, an denen jeweils zwei Längsträger befestigt sind. Wandseitig bilden sie die Rückenlehne der Klappbänke. Wiederum u-förmige Flachstahlelemente, die in die Längsbalken eingehängt sind, tragen die Bodenplatte. An der Südseite gibt es gemäß der Bautradition der evangelischen Bethäuser einen direkten Aufgang aus dem Kirchenraum, wie er bereits in der ursprünglichen Kirche vorhanden war, der allerdings Mitte des 19. Jahrhunderts in den Vorraum verlegt wurde – womöglich wegen des Lärms, den die Nagelschuhe der Holzarbeiter verursachten.

Das feine, an Laubsägearbeiten erinnernde Gitterwerk der Brüstungen – zunächst industriell aus Platten gefräst und dann Buchstabe für Buchstabe händisch nachbearbeitet – setzt sich aus den Namen der ersten evangelischen „Bekenner“ aus dem Jahr 1782 zusammen und erweist somit den Pionieren die Ehre. Das wirkt bewusstseinsbildend und identitätsstiftend, viele der Familiennamen existieren in der Gemeinde bis heute. Die so leichtfüßig wirkende Empore ist eine raffinierte Konstruktion, die auf Basis akribisch genau ausgearbeiteter Detailpläne in engem Zusammenwirken von Zimmerer, Schlosser, Tischler und Architekten entstand. Diese Art des handwerklichen Arbeitens und gemeinsamen Entwickelns sei heute wohl nur noch in Kirchen möglich, meint Ernst Beneder.

Neben Optik und Funktionalität haben sich durch den Umbau auch die Tageslichtverhältnisse deutlich verbessert. Darüber hinaus ermöglicht eine gleichermaßen gefinkelte wie einfache Konstruktion in Form eines beweglichen Spiegels hinter dem Altar, der das vom Ostfenster in der Apsis einfallende Licht reflektiert, eine variable natürliche Beleuchtung des Altarraums. Was vorher ein Patchwork aus verschiedenen Ebenen und Raumzonen war, von den Ausstattungsdetails gar nicht zu sprechen, wurde nun zu einer raumplastischen Komposition, in der Bestehendes und Neues wie selbstverständlich verschmelzen. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.01.2017)

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