Afrika: Das Ende eines Traums

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Gedenkmarsch Kolonialgeschichte DEU Deutschland Germany Berlin 27 02 2016 Demonstranten afrikani(c) imago/IPON (imago stock&people)
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Lang schien es, Afrika könne so rasch aufholen wie Asien. Nun bricht das rohstoffgetriebene Wachstum ein. Damit drohen auch neue Flüchtlingswellen.

Wer wissen will, wie die westliche Welt die Zukunft Afrikas sieht, muss nur alle paar Jahre einmal in den „Economist“ schauen. 2011 stieg auf der Titelseite des britischen Magazins ein bunter Papierdrachen mit den Umrissen des Schwarzen Kontinents in den Himmel. „Africa Rising“ war die Überschrift dazu. Und so lautete bis vor Kurzem auch das frohlockende Motto der Ökonomen und globalen Investoren: „Afrika steigt auf.“ Das Armenhaus der Welt befreit sich endlich von Hunger und blutigen Konflikten. Die Löwen südlich der Sahara sind im Aufschwung, sie jagen den asiatischen Tigerstaaten nach.

Die Weltbank sah sie „an der Schwelle zu einem wirtschaftlichen Aufbruch wie China vor 30 Jahren und Indien vor 20 Jahren“. Besonders kecke Propheten riefen schon das Jahrhundert Afrikas aus – als Zukunftshoffnung und künftiger Motor für die Weltwirtschaft. Die Zahlen schienen ihnen recht zu geben: ein enormes Wachstumstempo in vielen Ländern und Jahren seit 2000, stark steigende Auslandsinvestitionen, Erfolge im Kampf gegen den Hunger, Malaria und Aids. Nicht einmal die globale Wirtschaftskrise konnte an dieser Entwicklung etwas ändern.

Aber was ist nun plötzlich mit dem fröhlichen Drachen los? Er ist im Vorjahr in einen schweren Sturm geraten und hat einen Sturzflug hingelegt. Die Aufholjagd scheint gestoppt. Schon in den goldenen Jahren war das Wachstum pro Kopf wegen der dynamischen Demografie weit weniger spektakulär, mit zwei Prozent im Schnitt. Nun aber wächst die Wirtschaft schwächer als die Bevölkerung. Das BIP pro Kopf sinkt also, die Afrikaner werden noch ärmer. Schon melden sich die Skeptiker zurück, die nie in die Freudengesänge einstimmen wollten. Raunend verkünden sie die Rückkehr der dunklen Zeiten: In den 1980er- und 1990er-Jahren versank Afrika in Blut, Chaos und Schulden. „Der hoffnungslose Kontinent“ titelte der „Economist“ im Jahr 2000 und zog damit das Fazit externer Experten über zwei verlorene Jahrzehnte. Und viele fragen sich heute bange: Ist es wieder so weit? Aus der Traum?

Viel Wachstum, wenig neue Jobs

Der Auslöser für den erstaunlichen Aufschwung der vergangenen eineinhalb Jahrzehnte kam von außen. Er wurde vom Hunger Chinas (und Indiens) nach Rohstoffen getrieben. An ihnen ist Afrika überreich: Erdöl in Nigeria und Angola, Kupfer im Kongo und in Sambia, Gold und Diamanten in Südafrika, dazu Kobalt, Chrom und Bauxit. Die große Nachfrage ließ die Exportpreise steigen, das sorgte für Wachstum. Aber Abbau und Transport der Mineralien oder Brennstoffe schaffen kaum Arbeitsplätze und Wertschöpfung im Land. Ähnlich steht es um die Agrarprodukte: Die Ernte wird nicht veredelt oder verarbeitet, sondern einfach nur exportiert. Die Geschichte zeigt aber: Echte, nachhaltige Entwicklung kommt nur aus der Warenproduktion, die Mehrwert schafft.

Die Einnahmen aus den staatlichen Lizenzen und Steuern für den Betrieb der Minen oder Ölfelder kommen nur wenigen zugute. Diese schafften ihren Reichtum meist rasch außer Landes, weil sie dem eigenen politischen System nicht vertrauten und an das Potenzial ihrer Heimat nicht glaubten. Oft genug war auch Korruption im Spiel. Freilich: In den Stadtzentren von Lagos, Luanda oder Nairobi ragen heute Wolkenkratzer in den Himmel, es gibt luxuriöse Einkaufszentren, die Mieten haben fast westliches Niveau. Es hat sich auch eine kleine kaufkräftige Mittelschicht gebildet. Aber für die Masse haben sich die Lebensbedingungen nicht verbessert. Die Ungleichheit wächst, und damit das Potenzial für neue Unruhen.

Mehr Stabilität und Frieden als früher

Das Afrika südlich der Sahara, um das es hier geht (die fünf Mittelmeerstaaten im Norden werden wirtschaftlich und politisch meist zum arabischen Raum gerechnet), ist also in weiten Teilen ein Opfer der „holländischen Krankheit“. So nennen Ökonomen den Fluch des Rohstoffreichtums: Andere Sektoren der Wirtschaft werden vernachlässigt und verkümmern. Der Anteil der Industrie ist von 1970 bis heute sogar gesunken, von 15 auf nur noch zehn Prozent. Selbst solche Güter, die man recht gut in Afrika herstellen könnte, wie Kleidung, Nahrungsmittel und einfache Geräte, werden meist aus anderen Kontinenten importiert. Nur wenige Regierungen in den Rohstoffländern waren in den vergangenen 15 Jahren weitsichtig genug, die Diversifizierung zu fördern und zusätzliche wirtschaftliche Standbeine aufzubauen.

Mit dem Einbruch der Nachfrage aus China, wo das stürmische Wachstum abebbt, stehen viele der 54 Subsahara-Staaten nun ohne echte Perspektive da – aber mit einer großen Zahl junger Menschen, die Beschäftigung suchen. Die Geburtenraten gehen zwar langsam zurück, sind aber immer noch weit höher als in den Industriestaaten. Bis 2050 wird sich die Zahl der Afrikaner auf zweieinhalb Milliarden verdoppeln: ein Viertel der Weltbevölkerung. Das verstärkt den Migrationsdruck in Richtung Europa. „Unser Schicksal wird sich am Schicksal Afrikas entscheiden“, sagte der deutsche Entwicklungsminister Gerd Müller voller Pathos am Freitag.

Zwar strömen auch in Afrika Massen von Menschen aus den Dörfern in die großen Städte. Aber dort arbeiten sie meist nicht in Fabriken, sondern in einfachen, wenig produktiven Dienstleistungsberufen. Auch hier fehlt es an Wertschöpfung. Dazu kommt, dass der wirtschaftliche Austausch, soweit es ihn gibt, fast nur mit fernen Partnern stattfindet: Asien, Europa und Amerika. Der afrikanische Binnenmarkt ist sehr unterentwickelt. Zwischen den Ländern gibt es kaum Handel. Schlechte Straßen, Zölle und korrupte Beamte machen den Transport zu teuer.

Haben also die Pessimisten recht behalten? Sie übersehen einen wichtigen Punkt: Schwarzafrika ist viel friedlicher und politisch stabiler geworden. Das schreckliche Blutvergießen im Kongo, der Völkermord in Ruanda sind nur noch dunkle Kapitel in den Geschichtsbüchern. Sicher: In einigen wenigen Ländern, wie dem Südsudan und Somalia, herrschen weiter Konflikte und politisches Chaos. Aber in weiten Teilen von Subsahara-Afrika ist Ruhe eingekehrt. Bis in die 1980er-Jahre fand man praktisch keine afrikanische Regierung, die gewaltfrei aus dem Amt gewählt wurde. Heute gibt es fast überall Mehrparteiensysteme und regelmäßige, wenn auch oft nicht einwandfreie Wahlen. Statt nur drei echte Demokratien zählt man mittlerweile 25. Die Notenbanken sind unabhängig, die Inflation ist unter Kontrolle.

Getragen und getrieben wird diese Entwicklung von einer besser ausgebildeten und informierten Zivilgesellschaft. Vier von fünf Kindern gehen mittlerweile in die Schule. Die Zahl der Afrikaner, die mehr als einen Pflichtschulabschluss haben, hat sich seit den Neunzigerjahren auf über 40Prozent fast verdoppelt. Fast jeder Erwachsene hat heute ein Mobiltelefon (was auch den Aufbau lokaler Märkte erleichtert). Der Siegeszug der sozialen Netzwerke ist hier noch ein Segen: Er erlaubt den Bürgern, ihren Machthabern auf die Finger zu schauen und Wahlfälschungen aufzudecken. Auch bei der Höhe und Verwendung von Einnahmen aus den Rohstoffexporten gibt es heute weit mehr Transparenz als früher. Unter den Ländern, die laut „Doing Business“-Report der Weltbank aktuell bessere Bedingungen für Unternehmen schaffen, findet man auffallend viele aus Afrika.

Freilich wissen die Volkswirte: All diese Rahmenbedingungen schaffen aus sich heraus noch kein Wachstum. Sie sind nur die unabdingbare Voraussetzung, um Investoren zumindest nicht abzuschrecken. Für einen echten Aufbruch braucht es mehr, eine positive Erzählung. Ihr Thema können nicht mehr die Bodenschätze sein. Der Wandel muss künftig von den Afrikanern selbst kommen: ihrem größeren Wissen, einer höheren Produktivität und mehr Unternehmergeist. „The Economist“ hat schon den Titel dafür: „Wie man Afrika zum Laufen bringt“.

AUFBRÜCHE UND ABSTÜRZE

Nach der Entkolonialisierung erlebte Afrikas Wirtschaft in den 1960er- und 1970er-Jahren eine Phase des Aufbaus und des soliden Wachstums.

Die 1980er- und 1990er-Jahre waren von blutigen Konflikten und wirtschaftlichem Niedergang geprägt. Um die hohe Verschuldung abzubauen, zwangen IWF und Weltbank zu harten Strukturanpassungen.
In den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten erlebte Afrika südlich der Sahara einen Höhenflug, getrieben von Rohstoffboom und Investoren aus China.
Im Vorjahr
brach der Aufschwung abrupt ein. Das Wachstum pro Kopf ist sogar negativ. Damit geht der Kontinent einer sehr ungewissen Zukunft entgegen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.01.2017)

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