IS-Verdacht bei Anschlag in Jerusalem

Israels Premierminister, Benjamin Netanjahu, am Schauplatz des Attentats mit einem Lkw in Jerusalem.
Israels Premierminister, Benjamin Netanjahu, am Schauplatz des Attentats mit einem Lkw in Jerusalem. (c) REUTERS (RONEN ZVULUN)
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Ein junger Palästinenser, der am Sonntag einen Lkw in eine Gruppe von Soldaten lenkte und mindestens vier Menschen tötete, war laut Israels Regierung Anhänger der Jihadistenmiliz IS.

Die Jihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) könnte zum ersten Mal in Israel zugeschlagen haben. Ein junger Mann arabischer Herkunft aus Ostjerusalem war am Sonntag mit einem Lkw in eine Menschenmenge auf einer beliebten Promenade im Bezirk Armon Hanatziv gerast; mindestens vier Soldaten, darunter drei Frauen starben, rund 15 Menschen wurden zum Teil schwer verletzt. Israels Premierminister, Benjamin Netanjahu, erklärte kurz danach, dass der Täter, der von Sicherheitskräften erschossen wurde, IS-Anhänger gewesen sei. „Wir kennen die Identität des Angreifers, der allen Hinweisen zufolge den IS unterstützt“, sagte Netanjahu laut seinem Büro.

Auf einem Überwachungsvideo ist zu sehen, wie der Palästinenser mit dem Lastwagen – den Bildern vom Tatort zufolge ein zweiachsiger Mercedes-Kipplader mit einem Knickarmkran bzw. Baggeraufsatz eines österreichischen Herstellers – auf die Menge zurast und nach dem ersten Aufprall zurücksetzt, um erneut loszufahren und weitere Menschen zu töten.

Vorbild Berlin-Attentat?

Mehrere Verletzte waren längere Zeit unter dem tonnenschweren Gefährt eingekeilt. Netanjahu berief für den Abend eine Sondersitzung des Sicherheitskabinetts ein. Polizeichef Roni Alscheich sprach am Tatort die Möglichkeit an, der Täter habe sich vom Lastwagenanschlag in Berlin auf den Weihnachtsmarkt vor der Gedächtniskirche vor drei Wochen inspirieren lassen. Der Anschlag hat vor allem Ähnlichkeit mit dem Terrorattentat in Berlin, da es sich in beiden Fällen um einen Lkw handelt.

Während in Berlin die Tat geplant war (der Täter, ein zurückgewiesener Asylwerber aus Tunesien, wurde Tage später in Italien bei einer Kontrolle erschossen), agierte der palästinensische Terrorist, wie die Polizei vermutet, eher spontan, als er die Soldaten sah: „Soweit wir wissen, beschleunigte er sein Fahrzeug, als er die Gruppe bemerkte, die gerade aus einem Bus an der Promenade stieg“, erklärte eine weitere Polizeisprecherin. Dazu kommt, dass er im Gegensatz zum Attentäter von Berlin nicht vom Tatort floh, sondern offenbar einkalkulierte, dass er den Anschlag selbst nicht überleben werde.

Täter war polizeibekannt

Der Mann war den Sicherheitsdiensten allerdings bekannt. Ersten Informationen zufolge gehörte er der Hamas an und war mindestens einmal im Gefängnis. Nach Aussagen von Polizeichef Alscheich habe es aber keine Indizien für einen Anschlag gegeben. Die Polizei verhängte eine Nachrichtensperre. Palästinensischen Informationen zufolge, handelt es sich um den 28-jährigen Fadi Ahmad Hamdan al-Kunbar aus dem Ostjerusalemer Bezirk Dschabel Mukabir, der an Armon Hanatziv angrenzt. Berichten des Hörfunks zufolge durchsuchte die Polizei das Elternhaus al-Kunbars und verhaftete einen Bruder.

Der Anschlag ist seit Langem der schlimmste in der Stadt. Israel ist seit eineinhalb Jahren mit einer neuen Serie von zumeist mit Messern, teilweise Autos verübten Gewaltakten konfrontiert. Meistens wurden Angreifer noch am Tatort erschossen.

Angefangen hatte die neue Terrorwelle mit einem Streit über Besuchsrechte für Juden und Muslime am Tempelberg. Israel hält die von muslimischen Extremisten in sozialen Medien im Internet verbreitete Hetze für mitverantwortlich. Nach einer Zählung der Nachrichtenagentur AFP wurden 40 Israelis, zwei US-Bürger, ein Jordanier, ein Eritreer und ein Sudanese getötet, zudem 247 Palästinenser – darunter mehrheitlich die Angreifer selbst.

In einer Mitteilung der Hamas ist von einem „heroischen und mutigen Lastwagenanschlag“ die Rede, der eine „natürliche Reaktion auf die Verbrechen der israelischen Besatzung“ sei. Die islamistische Führung im Gazastreifen soll Süßigkeiten verteilt haben, um den Anschlag zu feiern. Seitens des IS gab es am Sonntag noch keine Reaktion.
Nickolay Mladenow, UN-Sonderkoordinator für den Friedensprozess im Nahen Osten, beeilte sich mit einer Verurteilung des Anschlags und der Versuche, „derartige Taten zu glorifizieren“. An Terror gäbe es „nichts Heroisches“, ließ er mitteilen.

„Abweichung“ von Palästinenserterror

Bei Netanjahus Einschätzung, dass der Attentäter dem IS zuzurechnen sei, ist laut manchen Beobachtern allerdings noch Vorsicht geboten. Diese weisen etwa darauf hin, dass dem Premier ein IS-Akt in Israel in machtpolitischer Hinsicht nicht ungelegen käme. Der palästinensische Terror ziele primär auf die Befreiung Palästinas, die Palästinenser setzten dabei auf internationale Unterstützung – allerdings nicht auf die Terrormiliz IS. Natürlich könne man nicht ausschließen, dass es hier Andersdenkende gibt – hier stünden sie aber wohl außerhalb des palästinensischen Konsenses.

Auf einen Blick

Ein 28-jähriger Palästinenser aus
Ostjerusalem lenkte am Sonntag in Jerusalem einen Mercedes-Kipplaster in eine Menschenmenge und tötete auf diese Weise drei Soldatinnen und einen Soldaten, bevor er erschossen wurde. Israels Regierung will wissen, dass der Mann Anhänger des IS war.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.01.2017)

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