Seit 42 Jahren beißen sich die Verhandler die Zähne aus. Nun scheint eine Zypern-Lösung eher möglich. Bis Mittwoch wird sich klären, ob die Genfer Friedensgespräche mit einem Erfolg enden könnten.
Athen. Mit gemischten Gefühlen begannen diesen Montag die Führer der griechischen und der türkischen Volksgruppe Zyperns den Verhandlungsmarathon in Genf zur Überwindung der Inselteilung. Zwar signalisierten Zyperns Präsident, Nikos Anastasiadis, Führer der Zyprioten, und sein türkischer Gegenpart, Mustafa Akıncı, seit dem Sommer 2015 in allen Tonlagen, wie gut die Verhandlungen liefen. Je näher man jedoch den Gretchenfragen des Zypern-Problems kam, desto schwieriger gestalteten sich die Verhandlungen; immerhin beißen sich abwechselnde Verhandler seit 1974, also nun schon mehr als 42 Jahre lang, die Zähne aus.
Bis Mittwoch sollen die beiden Volksgruppen nachverhandeln und dann ab Donnerstag, 12. Jänner, wird die lang herbeigesehnte Konferenz unter Beteiligung der alten Garantiemächte Großbritannien, Griechenland und Türkei stattfinden. Auch die EU-Kommission und die Staaten des UNO-Sicherheitsrats sind geladen.
Nicht umsonst wird schon vorbeugend von einem Verhandlungsreigen mit „offenem Ende“, also einer Konferenz in Fortsetzungen, gesprochen. In Europa gibt es viele, die sich beim Gedanken nicht wohlfühlen, dass im Fall einer Einigung ein wichtiger Grund weniger für die Blockade der EU-Beitrittsverhandlungen mit Ankara besteht.
Doch auch im griechischen Teil Zyperns ziehen viele den Status quo einer unsicheren Zukunft vor; sie stimmen bei jedem Verhandlungsrückschlag von Präsident Anastasiadis vom konservativen DISY ein merkwürdiges Triumphgeheul an. Doch wo stehen die Verhandlungen? Beide Seiten halten ihre Karten bedeckt. Bislang ist kein offizieller Text durchgesickert, den wird man wohl erst im Fall einer Einigung zu Gesicht bekommen. Im Lauf der Jahrzehnte sind auch neue Themen aufgetaucht, etwa die wichtige Frage der Aufteilung der künftigen Gewinne aus der Erdgasförderung vor Zyperns Südküste. Die Knackpunkte:
1 Das Regierungsmodell: Zwei territoriale Einheiten und ein mögliches Rotationsprinzip
Seit Jahrzehnten ist es Allgemeingut, dass das „neue“ Zypern ein Bundesstaat bestehend aus zwei territorialen Einheiten und zwei Kommunen sein wird. Immer heiß umkämpft waren die Kompetenzen der Bundesländer und die Stärke des Zentralstaates. Umstritten war auch immer ein Rotationsprinzip in der Präsidentschaft. Auf eben dieses Rotationsprinzip scheint man sich geeinigt zu haben, es war zumindest für Mustafa Akıncı nicht verhandelbar.
2 Grenzverlauf und Aufteilung der Insel: Wie viel Prozent bekommt der türkische Teil?
Eines der großen Themen ist der Grenzverlauf zwischen den beiden Kommunen im neuen Bundesstaat. Das Thema war Grund des Scheiterns der Verhandlungen in Mont Pèleren in der Schweiz im November 2016 – die türkische Seite will die von Griechenland geforderte Stadt Morphou nicht herausgeben, wie Erdoğan persönlich verkündete. Insgesamt aber sind die Differenzen klein: Der türkische Teil soll nach griechischen Vorstellungen 28,5 Prozent des Territoriums umfassen, nach türkischen 29,5 Prozent.
3 Die Frage nach den griechischen Rückkehrern auf die türkische Seite
Erschwert wird die Diskussion über die Grenzziehung auch von der angepeilten Zahl der potenziellen griechischen Rückkehrer: Je mehr Territorium zurückgegeben wird, desto mehr Menschen können zurückkehren.
4 Die Sicherheitsgarantien: Künftige Rolle von Griechenland, der Türkei und Großbritannien
Bei der Gründung der Republik Zypern 1960 wurden die alte Kolonialmacht Großbritannien, Griechenland und die Türkei als Garantiemächte für Zypern eingesetzt. Für Griechenland ist dieses Modell überholt, es will völlig davon Abstand nehmen. Die Türkei und auch die türkisch-zyprische Gemeinde sind da ganz anderer Ansicht. Als die Türkei 1974 ihre Invasion in Zypern startete, berief sie sich nicht zuletzt auf ihren Status als Garantiemacht.
5 Türkische Soldaten auf der Insel: Konflikt um die Stationierung
Im türkischen Teil sind etwa 35.000 türkische Soldaten stationiert, für die einen ein Schutz vor griechischen Aggressionen, für die anderen einfach eine Besatzungsmacht. Griechenland und die Republik Zypern beharren auf dem vollständigen Abzug der Truppen, die Türkei will die Soldaten nicht vollständig abziehen.
6 Der Zeitplan: Wie schnell soll die Einigung vorangetrieben werden?
Schließlich gibt es Differenzen über den Zeitpunkt des Abzugs der Truppen, den Übergang der „alten“ Republik in den neuen Bundesstaat. Optimisten wünschen sich noch diesen Frühling eine Einigung, was dann im Sommer 2017 zu einer Volksabstimmung in den beiden Inselhälften führen könnte – das wäre der zweite Anlauf zu einer Lösung per Volksabstimmung, nach der traumatischen Abstimmung vom April 2004, als die Inselgriechen den sogenannten Annan-Plan mit großer Mehrheit ablehnten.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.01.2017)