Die Wiedervereinigung der geteilten Insel Zypern ist so nah wie nie. Alle betroffenen Länder könnten gute Nachrichten gebrauchen.
Keine zwei Jahre ist das her, als Nikos Anastasiadis wütend den Verhandlungstisch verlassen und, trotz mehrmaliger Aufforderungen, nicht mehr in die UN-geführte Pufferzone der geteilten Insel zurückgekehrt ist. Einmal mehr endeten die zypriotischen Friedensgespräche in einer Sackgasse, und diesmal scheiterten sie an den Erdgasvorkommen. Der türkische und der griechische Teil der Insel überwarfen sich in der Frage, wer die Oberhand bei der Ausbeutung im Mittelmeer haben soll. Die Inselgriechen suchten sich Partner in Ägypten und Israel, während die Türkei Forschungsschiffe nach Nordzypern schickte. Das war der Moment, an dem Anastasiadis, Präsident des griechischen Teils, die Verhandlungen abblies. Sehr spektakulär war diese Nachricht jedoch nicht: So viele Politiker und Diplomaten sind an der Zypern-Frage gescheitert, dass die internationalen Medien diesen weiteren Gesprächsabbruch schulterzuckend zur Kenntnis genommen haben.
Aber dann ist etwas passiert, womit kaum jemand gerechnet hat: Ein kongeniales Duo hat die Bühne betreten. Denn die Inseltürken haben ihren nationalkonservativen Präsidenten, Derviş Eroğlu, nach dem Erdgasdebakel abgewählt und den Sozialdemokraten Mustafa Akıncı an die Spitze gehievt. Seither ziehen Akıncı und Anastasiadis hemdsärmelig durch die Insel und werben glaubwürdig für den Frieden, selbst dann, wenn der Ton am Verhandlungstisch rauer ausfällt. Den Präsidenten kommt zugute, dass sich die neue, kosmopolitisch ausgerichtete Inselgeneration von den Altlasten endlich befreien will. Es sieht gut für Zypern aus, jedoch hat das nicht nur mit der Stimmung auf der geteilten Insel zu tun. Momentan könnten alle Beteiligten gute Nachrichten brauchen.
Zypern war immer der wichtigste Grund, warum sich die EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei – Schutzmacht des Inselnordens – in die Länge gezogen haben. Derzeit ist Ankara aus anderen Gründen von einem Beitritt meilenweit entfernt. Die Nachwirkungen des gescheiterten Putsches, etliche Terroranschläge, die Lage in der Kurdenregion sowie die Wirtschaftsflaute haben die Türkei stark verwundet. Mit einer Einigung kann der international ins Wanken geratene Präsident Recep Tayyip Erdoğan diplomatische Kompromissbereitschaft demonstrieren. Außerdem ist die Erhaltung Nordzyperns eine finanzielle Bürde für die Türkei: Im vergangenen Jahrzehnt sind rund drei Milliarden Euro aus Ankara in den international nicht anerkannten Inselnorden geflossen.
Um die Zypern-Lösung hat sich auch US-Präsident Barack Obama bemüht, er hat seinen Vize, Joe Biden, und seinen Außenminister, John Kerry, für Gespräche auf die Mittelmeerinsel geschickt und die beiden Inselpräsidenten immer wieder in ihrem Vorhaben ermutigt. Obama ist nur mehr einige Tage im Amt. Wenn er seinen Posten mit einer zypriotischen Friedenslösung verlässt, dann wird das lang nachhallen. Ähnliches gilt für UN-Generalsekretär António Guterres: gerade einmal ein paar Tage im Amt – und schon ein historischer Erfolg. Großbritannien, neben der Türkei und Griechenland die dritte Schutzmacht auf der Insel, könnte angesichts der Brexit-Querelen auch ein paar positive Schlagzeilen gebrauchen. Ein Problem weniger hätte auch das wirtschaftlich und innenpolitisch hadernde Griechenland.
Sollte in den nächsten Tagen tatsächlich eine Einigung erzielt werden, täte die europäische Gemeinschaft nicht schlecht daran, ihre Rolle bei dem langwierigen Konflikt kritisch zu reflektieren. Nicht selten ist der Zypern-Konflikt bei den EU-Beitrittsgesprächen mit der Türkei vorgeschoben worden, ohne dass es dabei um die Insel und das Wohl ihrer Einwohner gegangen ist. Zypern war ein politischer Spielball. Angefangen mit der Kolonialmacht Großbritannien, die vorsätzlich Feindschaft und Hass zwischen Griechen und Türken gesät hat, bis hin zu Ankara und Athen, die die Zypern-Frage gern instrumentalisiert haben. In der europäischen Wahrnehmung beginnt der Inselkonflikt mit dem Einfall der Türken 1974, aber es gibt ein Davor, und diese Zeit war äußerst blutig und schmerzhaft für beide Seiten. Nachbarn sind zu Todfeinden geworden. Die Aufarbeitung wird noch Zeit in Anspruch nehmen.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.01.2017)