Muslimische Mädchen müssen mit Buben zum Schwimmen

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Die Schulpflicht und die Integration der Kinder hätten Vorrang. So wurde das Urteil des Menschenrechtsgerichtshof gegen muslimische Eltern in der Schweiz begründet. Auch in Österreich ist der Schwimmunterricht verpflichtend.

Was zählt mehr: religiöse Interessen der Eltern oder die Integration zweier Mädchen in der Schule? Am Dienstag bekräftigte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in einem richtungsweisenden Urteil den Stellenwert „erfolgreicher Sozialisation und Integration“ von Kindern. Jahrelang hatte sich ein muslimisches Ehepaar aus der Schweiz geweigert, ihre Töchter an einem für Buben und Mädchen gemeinsamen Schwimmunterricht teilnehmen zu lassen. Die Schulbehörden jedoch pochten auf den für alle Schüler unabhängig von ihrer Religion verpflichtenden Kurs.

Vor allem bei Kindern mit Migrationshingergrund spiele Schule eine besondere Rolle in der Integration und habe daher Vorrang vor persönlichen Interessen der Eltern, argumentierten die Richter in Straßburg. Der Sinn des Schwimmunterrichts sei über das Schwimmenlernen hinaus die gemeinsame Aktivität mit anderen Schülern – unabhängig von ihrer Herkunft oder religiösen und philosophischen Ansichten der Erziehungsberechtigten. Zudem sei die Schule in Basel den Eltern entgegengekommen: Sie habe den zu Beginn sieben- und neunjährigen Mädchen erlaubt, Burkinis anzuziehen und getrennte Umkleidekabinen zur Verfügung gestellt.

Mehr als sechs Jahre zogen die Schweizer mit türkischer Abstammung gegen die Schulämter ins Feld. 2010 erlegte die Bildungsbehörde dem Elternpaar eine Strafe in der Höhe von 1292 Euro auf. Ihrer Ansicht nach ein ungerechtfertigter Schritt. In ihrer Argumentation beriefen sich die streng gläubigen Eltern auf den Koran. Er verlange die Körperbedeckung von Frauen erst ab der Pubertät, ein gemeinsamer Schwimmunterricht sei aber schon vorher untersagt.

Vater forderte Scharia in der Schweiz

Die Religionsfreiheit, in der Europäischen Menschenrechtskonvention in Artikel 9 verankert, erlaube ihnen, ihre Töchter vom gemischten Schwimmunterricht auszunehmen, begründeten die beiden. Eine Überzeugung, die das Ehepaar zunächst erfolglos in zwei Instanzen in der Schweiz anfocht, bevor es sich 2012 an den EGMR wandte.

Der Familienvater sorgte 2010 auch in einem anderen Fall landesweit für Aufsehen: Er sprach sich in einer Dokumentation im Staatsfernsehen für die Einführung der Scharia, des islamischen Rechts, in der Schweiz aus und befürwortete, dass ein Mann seine Frau zum Sex zwingen dürfe. Von einer Klage durch die Staatsanwaltschaft war er damals freigesprochen worden.

In Österreich hat es bisher keinen Fall gegeben, in dem gegen Eltern von Muslima Strafen wegen der Nichtteilnahme am Schwimmunterricht verhängt worden wären. Natürlich gebe es aber Diskussionen zu dem Thema, hieß es aus dem Wiener Stadtschulrat und dem Bildungsministerium. Die Rechtslage sei klar: Die Teilnahme am Schwimmen im Rahmen des Sportunterrichts sei verpflichtend.

Österreich: Bereich oft schwer fassbar

In Österreich ist Schwimmen Teil des Unterrichts im Fach Bewegung und Sport - eine Teilnahme ist damit verpflichtend. Ab der fünften Schulstufe findet der Unterricht zwar grundsätzlich getrennt nach Geschlechtern statt. Allerdings bedeutet das im Fall des Schwimmens nur, dass die Mädchen und Buben in getrennten Gruppen, aber gleichzeitig im gleichen Schwimmbad unterrichtet werden.

Rechtlich ist der Bereich aber oft schwer fassbar: Der Schwimm-Teil des Sportunterrichts variiert und ist oft nur auf wenige Stunden beschränkt. Etwaige Streitfälle können daher mehr oder weniger inoffiziell durch Entschuldigungen wegen Krankheit etc. überbrückt werden. Im Schweizer Fall hatten die Eltern dagegen offiziell um eine Befreiung aus religiösen Gründen angesucht, eine Strafe akzeptiert und diese durch alle Instanzen gefochten.

Im Wiener Stadtschulrat räumt man ein, dass die Teilnahme muslimischer Mädchen am Schwimmunterricht an manchen Schulen durchaus ein Thema sei - "aber sicher nicht das große Thema". Probleme würden im Gespräch zu klären versucht. Zu einer Zuspitzung samt Befassung der Behörde sei es bisher nicht gekommen.

Ähnlicher Fall in Deutschland

In Deutschland hatte das Bundesverwaltungsgericht im September 2013 ähnlich wie in der Schweiz entschieden. Es wies die Klage einer muslimischen Familie aus Frankfurt am Main ab, die ihre Tochter ebenfalls nicht zum Schwimmunterricht schicken wollte. Die Leipziger Richter urteilten damals, die Muslimin müsse den Anblick von Burschen mit nacktem Oberkörper hinnehmen, auch wenn es gegen ihre religiöse Anschauung verstoße. Denn auch außerhalb der Schule zeigten sich Männer im Sommer ohne Oberteil.

In dem Schweizer Fall haben die klagenden Eltern noch drei Monate Zeit, um eine erneute Befassung des Gerichts zu verlangen. Die Richter müssen dem aber nicht stattgeben. Urteile des Menschenrechtsgerichts haben grundsätzlich Signalwirkung in ähnlichen Fällen. Die Europäische Menschenrechtskonvention gilt für alle 47 Mitgliedsländer des Europarats.

Für den oberösterreichischen FPÖ-Landeschef Manfred Haimbuchner ist das EGMR-Urteil ein "richtiger Schritt". Die Teilnahme am Sport- und Schwimmunterricht in der Schule müsse "Teil der Integrationsvereinbarung" sein, erklärte Haimbuchner. Wer "mangelnde Bereitschaft zur Integration" aufweise, "muss mit Sanktionen rechnen".

(APA/dpa/AFP/maka)

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