Erdogans Präsidialsystem wird kaum aufzuhalten sein

Erdogan will die Verfassung nach seiner Facon zurechtschneiden.
Erdogan will die Verfassung nach seiner Facon zurechtschneiden.(c) REUTERS (YAGIZ KARAHAN)
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Auch wenn in der AKP nicht alle mit dem Erdogan-Kurs zufrieden ist, auf Macht will niemand verzichten. Die Frage ist, wie wird das türkische Volk entscheiden?

Ein erster Schritt von vielen ist getan. Im türkischen Parlament haben die ersten beiden Artikel der Verfassungsreform für ein Präsidialsystem in einer ersten Wahlrunde die nötigen Mehrheiten bekommen. Ist das Präsidialsystem, der langjährige Traum von Präsident Recep Tayyip Erdogan, noch aufzuhalten? Zwar gibt es auch in den eigenen Reihen Vorbehalte gegen die Pläne und auch ein Ja beim geplanten Referendum ist nicht sicher. Ein Scheitern der Reform scheint dennoch unwahrscheinlich.

Was passiert, wenn Recep Tayyip Erdogan eines Tages nicht mehr da ist? Das ist die Frage, die man sich in der AKP, der Partei des türkischen Präsidenten, durchaus stellt. Richtet man ein präsidentielles System ein, wäre es ein auf Erdogan zugeschnittenes System. Das könnte der AKP später auf den Kopf fallen, spekulieren türkische Medien. Ohne Erdogan könnte die Opposition wieder Oberhand gewinnen und das System würde sich gegen die AKP richten.

Um sich den Plänen Erdogans in den Weg zu stellen, dafür fehlt den zögernden AKP-Funktionären allerdings der Mut, glaubt der türkische Politikexperte Galip Dalay vom Al-Sharq Froum in Istanbul gegenüber der Nachrichtenagentur AFP. "Obwohl eine ganze Reihe Abgeordnete unzufrieden ist mit der Führung, wird kein AKP-Politiker sich offen auflehnen und seine Karriere gefährden, indem er sich abspaltet, solange die Partei an der Macht ist."

Stimmen müssen gehalten werden

Für den ersten Artikel der Verfassungsreform stimmten in der Nacht zu Mittwoch 347 Abgeordnete, für den zweiten 343, wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu meldete. Damit wurde die notwendige Mehrheit von 330 der 550 Parlamentarier jeweils erreicht.

Allerdings müssen die Artikel in einer zweiten Wahlrunde erneut dieselbe Mehrheit erzielen. Auch das Gesamtpaket mit insgesamt 18 Artikeln muss am Ende der rund zweiwöchigen Debatte eine Dreifünftelmehrheit erzielen, damit ein Referendum stattfinden kann.

Mehr Abgeordnete für das Parlament

Die ersten beiden Artikel betreffen noch nicht den Kern der Reform für ein Präsidialsystem, das Staatschef Recep Tayyip Erdogan mit einer großen Machtfülle ausstatten soll. Mit dem ersten Artikel soll in der Verfassung ergänzt werden, dass die Justiz nicht nur unabhängig, sondern auch unparteiisch ist. Mit dem zweiten Artikel soll die Zahl der Parlamentsabgeordneten von 550 auf 600 erhöht werden. Die bei beiden Artikeln erzielten Mehrheiten zeigen, dass auch Abgeordnete aus der Opposition für die Änderungen stimmten.

Erdogans islamisch-konservative Regierungspartei AKP verfügt über 316 Sitze im Parlament. Der Chef der ultranationalistischen MHP, Devlet Bahceli, hat seine Unterstützung für die Reform zugesagt, die allerdings auch in seiner Partei umstritten ist. Am Montag stimmten 338 Abgeordnete für den Beginn der Beratungen über die Verfassungsreform. Somit gab es mehrere Abweichler in den Reihen der MHP, die 40 Abgeordnete hat. Die pro-kurdische HDP hat angekündigt, die Beratungen aus Protest gegen die Inhaftierung mehrerer ihrer Abgeordneten zu boykottieren.

Im Dezember legten Ministerpräsident Binali Yildirim und Bahceli nach langen Verhandlungen den Entwurf für die Reform vor. Die Pläne stießen bei etlichen MHP-Abgeordneten auf Ablehnung, von denen sieben ankündigt hatten, mit Nein zu stimmen.

Wenn im Parlament die nötige Mehrheit schlussendlich zusammenkommt, wird die Reform voraussichtlich Anfang April den Türken zur Abstimmung vorgelegt. Die Bevölkerung scheint in der Frage gespalten, vertrauenswürdige Umfragedaten gibt es keine. Nicht zuletzt, weil Erdogan in den Monaten nach dem Putschversuch die Medien mehr und mehr unter seine Kontrolle gebracht hat.

Eine Frage der Terrorgefahr

Dalay erwartet, dass Erdogan das Referendum zu einer Abstimmung über Sicherheit in der Türkei hochstilisieren wird. Angesichts der sehr realen Bedrohung der Türkei durch Anschläge der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und des "Islamischen Staats" (IS) könnte eine Mehrheit letztlich Erdogans Argumentation folgen, dass es in Zeiten der Krise eine starke Führung braucht.

"Auch wenn viele ihrer Wähler unzufrieden sind mit der Politik der AKP, werden sie bleiben, weil sie keine Alternative sehen", sagt Dalay. In der stark polarisierten Stimmung im Land käme für viele konservative Türken ein Wechsel ins Lager der säkularen Opposition nicht infrage. Ein Scheitern der Verfassungsreform hält Dalay daher derzeit für unwahrscheinlich, doch verweist er zugleich darauf, dass in den kommenden drei Monaten noch viel passieren könne - schließlich gab es in der Türkei in den letzten Monaten schon einige unerwartete Wendungen.

(APA/dpa/AFP/Red.)

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