Kanzler Kern hielt inmitten von 1500 Parteifreunden seine erste Grundsatzrede. Eine inszenierte Show – und schon allein durch die Wahl des Veranstaltungsorts eine Kampfansage an die Freiheitlichen.
Wels. Die Zahnräder drehen sich, der Sekundenzeiger tickt, und Elvis Presleys „A litte less conversation“ ertönt: Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) versteht sich zu inszenieren. Davon zeugten schon das eigens produzierte Werbevideo, das abgespielt wird, während er im Dunkeln und bei lautem Applaus den Saal betritt.
Am gestrigen Mittwochabend gab es – trotz musikalisch gegenteiliger Ankündigung – dann doch noch einmal mehr Gerede als Action. Eine Stunde sollte der Auftritt Kerns, den er unter den Titel „Worauf warten? Zeit, die Dinge neu zu ordnen“ stellte, laut Plan dauern. Andere Punkte standen gar nicht erst auf dem Programm. Außer Kern wurde niemand auf die Bühne gelassen – weder Vorredner noch Moderator. Die Rede des Parteichefs sollte wirken. Der begann mit Verspätung zu sprechen und stand zu Redaktionsschluss dieser Zeitungsausgabe noch auf der Bühne.
Just auf jenen Brettern, die normalerweise FPÖ-Parteichef Heinz-Christian Strache oft und gern betritt. Denn die Sozialdemokraten wählten für die erste große Grundsatzrede ihres seit knapp acht Monaten regierenden Bundeskanzlers und SPÖ-Parteichefs die Messehalle in Wels aus. Die Roten gastierten also ausgerechnet in jener traditionell sozialdemokratischen Stadt, die bei den Gemeinderatswahlen im Herbst 2015 an die Freiheitlichen verloren ging. Der zweitgrößten oberösterreichischen Stadt steht seither ein FPÖ-Bürgermeister vor.
Wiens Bürgermeister fehlte
Schon die Ortswahl gleicht einer Kampfansage an die Blauen. Die Einladungspolitik auch. Denn neben den gesamten SPÖ-Mitgliedern Oberösterreichs und den Funktionären aus dem ganzen Land wurden auch sämtliche Welser Bürger eingeladen. Per Postwurf bat man sie zur Rede in die Messehalle. Die vielen Arbeiter, die von der Sozialdemokratie enttäuscht zur FPÖ überschwappten, müssen zurückgeholt werden – nicht nur, aber auch in Wels. Anders als Vizekanzler und ÖVP-Parteichef Reinhold Mitterlehner versucht Kern das nicht mit einer weiteren Abgrenzung, sondern mit einer Annäherung an die FPÖ zu erreichen.
1500 Besucher wurden in der Messehalle erwartet. Schon vom Parkplatz aus grüßte sie der Bundeskanzler – nämlich via Videowall. In den Saal führte ein roter Teppich. „Wie in einem Fernsehstudio“, hörte man Funktionäre beim Betreten immer wieder sagen. Tatsächlich erinnerte die Halle an eine Mischung aus TV-Studio und Boxkampfarena: in der Mitte die runde, rot-weiß-rote Bühne mit einem Pult im Zentrum. Darüber hing ein Videowall-Würfel – auch von diesem lachte Kern, während er einem Arbeiter die Hand schüttelte. Rundherum blickten die Zuschauer von den Tribünen auf den Kanzler, die Parteifreunde, die noch Platz bekommen haben, der Rest musste die Rede wegen des großen Andrangs im Foyer verfolgen.
Auch die Parteiprominenz nahm in der Messehalle Platz: Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil, Staatssekretärin Muna Duzdar, Nationalratspräsidentin Doris Bures und die SPÖ-Landeschefs. Einer fiel durch seine Abwesenheit auf: Wiens Bürgermeister, Michael Häupl (SPÖ). Er dürfte den Urlaub, so munkelte man, der Rede des Bundeskanzlers vorgezogen haben.
Kern will auch in Ländern reden
Die Rede des Kanzlers war nur der Auftakt. Nachdem sich Kern in den vergangenen Wochen mit öffentlichen Auftritten durchaus zurückgehalten hat, stehen in nächster Zeit mehr Termine an. Noch am Mittwochabend stand ein „ZiB 2“-Interview an. Einen Tag später hält er einen ähnlichen Vortrag vor Studenten der Fachhochschule Hagenberg, und in den kommenden Wochen dürfte die Rede auch bei der einen oder anderen Bundesländerveranstaltung wiederholt werden.
(Print-Ausgabe, 12.01.2017)