Tourismusbranche: Sklavenhalter oder Trinkgeldparadies?

Was ein Soziologe bei seiner Kritik am Arbeitgeber Gastgewerbe alles übersehen hat.

Franz Astleithner malte am 5. Jänner an dieser Stelle ein düsteres Bild von den Arbeitsbedingungen im Gastgewerbe. Vor ihm hatte der Neos-Politiker Sepp Schellhorn in einem Interview von 4500-Euro-Jobs geschwärmt. Was stimmt nun?

Auf gerade einmal 7899 Euro brutto im Jahr sollen Kellnerinnen hierzulande kommen, bloß 564 Euro monatlich? Astleithner spricht von „60-, 70-Stunden-Wochen“ und einer „Branchenkultur langer Arbeitszeiten“. Vieles klingt empörend, ist es aber nicht. Denn die 564-Euro-Löhne der Servierdamen sind ein Branchenschnitt, der sich aus dem hohen Anteil an Teilzeitkräften ergibt. Der Wiener Kollektivvertrag sieht schon im ersten Jahr 1471 Euro vor.

Dazu kommt noch das Trinkgeld, das der Soziologe übersieht. Gerade dieses begeistert viele Menschen für den Serviceberuf. In Kaffeehäusern sind das oft 1000 Euro (steuerfrei). Zusammen mit dem Mindestlohn entspricht das 3300 Euro brutto im Monat.

Auch bei den „70-Wochenstunden“ differenziert Astleithner nicht. Multi-Worker gibt es bloß in der Ferienhotellerie (etwa am Arlberg), in der Stadt bleibt es bei etwa 40 Stunden. Tatsächlich aber hat die Branche ein Stundenproblem. Es liegt aber abseits der angedeuteten Ausbeuterkultur.

Maschineneinsatz unmöglich

Der Tourismus ist eben eine kleinteilige Handwerkerbranche. Jedes Schnitzel muss von Hand geklopft, jedes Bier von Hand serviert werden – der Einsatz von Maschinen ist unmöglich. Da hat es die Industrie schon leichter: Sie kann mit großen Kapitalien riesige Anlagen betreiben, die rund um die Uhr produzieren.

Wer Bilanzen liest, erfährt: Handwerker (wie Mechaniker, Schuster oder eben Köche) schaffen in Österreich gerade einmal 70.000 Euro Jahresumsatz. Ein Arbeiter bei der Voest macht das Zehnfache – 700.000 Euro. Klar tut sich Letztere bei der Bezahlung ihrer Mitarbeiter leichter.

Und ja, auch im Tourismus gibt es schwarze Schafe. Solche, die Mitarbeiter um ihre Überstunden betrügen – oder ein unmenschliches Klima in der Küche zulassen. Aber sie werden weniger. Heute müssen Topbetriebe um den Gastro-Nachwuchs kämpfen – Stichwort Mitarbeiterhaus und Bildungsakademie.

Problem Ostöffnung

Eine Branchenweisheit sagt: „Österreich hat nicht zu viele Betten, es hat zu viele Betriebe.“ Je größer und damit effizienter Firmen sind, desto mehr bleibt dann für alle über. Großhotels wie das von Herrn Schellhorn können sich tatsächlich 4500-Euro-Köche leisten, in kleinen Gasthäusern verdient der Zahlkellner aber nicht selten besser als der Wirt.

Dass Köche und Stubenmädchen heute unter stagnierenden Reallöhnen leiden, liegt am heißen Thema Ostöffnung. Denn „einfache“ Dienstleistungsjobs eignen sich perfekt für Einwanderer: Zum Aufbetten braucht es genauso wenige (Sprach-)Kenntnisse wie als Abwäscher oder Gemüseschnipsler. Und mit dem Lohnniveau sind Neo-Österreicher, die gerade der bitteren Armut entkommen sind, meist mehr als glücklich.

Vermutlich wird sich eine Arbeitsteilung ähnlich der Industrie entwickeln (einfache Tätigkeiten gehen ins Ausland, spezialisierte bleiben). Ein Seehotel kann aber nicht verlagert werden, darum erledigt es Hilfstätigkeiten mit Zuwanderern. Die Alternative von Herrn Astleithner – Lohnzuwächse über den Umsatzmöglichkeiten der Branche zu erzwingen – ergibt ein Massensterben bei Kleinbetrieben – und vergibt die Chance, Zehntausende Zuwanderer zu integrieren.

MMag. Michael Hörl ist Betriebswirt und Wirtschaftspädagoge. Er unterrichtet an
den renommierten Tourismusschulen
Klessheim seit 20 Jahren Hotel- und Gastronomiemanagement.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.01.2017)

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