Die zelluläre Landkarte des Gehirns wird genauer

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Medizin.Neurowissenschaftler der Med-Uni Wien konnten bisher unbekannte Neuronen im Hypothalamus identifizieren. Unter anderem Dopaminzellen, die den Tag-Nacht-Rhythmus beeinflussen.

Von vielen Zellen unseres Gehirns wissen wir nicht, was sie tun und wozu sie gut sind, manche sind uns sogar gänzlich unbekannt. Neurowissenschaftler arbeiten unermüdlich an der zellulären Landkarte des Gehirns, um das Zusammenspiel der Billionen von Zellen zu verstehen. Forscher der Abteilung für Molekulare Neurowissenschaften im Zentrum für Hirnforschung haben nun etliche neue Arten von Zellen entdeckt und katalogisiert, einige davon sind bisher unbekannte Dopaminneuronen. Die Forscher nahmen in der kürzlich im Journal „Nature Neuroscience“ veröffentlichten Studie den Hypothalamus und die darin vorkommenden Zellen mit neuen molekularen Methoden unter die Lupe.

Reguliert Körperfunktionen

Der Hypothalamus ist eine Hirnregion, die ungefähr in der Mitte des Kopfes zwischen den Ohren zu finden ist. Als oberstes Regulationszentrum ist er für unsere lebenswichtigsten Körperfunktionen zuständig. Schlaf-Wach-Rhythmus, Stressantwort, Appetit, Sexualtrieb und Körpertemperatur werden hier von vielen verschiedenen Hormonen gesteuert. „Der Hypothalamus steht in der Hierarchie des Gehirns ganz oben. Die Zellen, aus denen er besteht, sind unglaublich vielfältig“, erklärt Roman Romanov, Erstautor der Studie. Er und seine Kollegen entdeckten dort 62 Subgruppen von Zellen, viele davon waren bisher noch nicht beschrieben. Der Forscher vermutet allerdings noch weit mehr Arten, das Limit sei noch lang nicht erreicht.

Besonderes Interesse weckten spezifische Dopaminneuronen, die im Hypothalamus bisher unbekannt waren und sich von anderen Zellen ihrer Art unterscheiden. Dopamin, im Volksmund als Glückshormon bezeichnet, weil es in Antrieb und Motivation involviert ist, ist ein wichtiger Botenstoff des Gehirns, ein sogenannter Neurotransmitter. Es kommt in vielen verschiedenen Bereichen vor, Krankheitsbilder wie Morbus Parkinson, Schizophrenie und das Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitäts-Syndrom (ADHS) zum Beispiel stehen mit Störungen im Dopaminhaushalt in Verbindung.

Das Besondere an den neuen Dopaminneuronen: Sie scheinen direkte Verbindungen zu jenen Zellen zu haben, die den Schlaf-Wach-Rhythmus, auch zirkadiane Rhythmik genannt, kontrollieren. Wie genau das Zusammenspiel dieser Zellen aussieht, ist noch unklar und wird Thema weiterer Forschung sein.

Eine mögliche praktische Anwendung in der Medizin kann sich Roman Romanov jetzt schon vorstellen, zur Linderung von Nebenwirkungen der medikamentösen Therapie mit Methylphenidat bei ADHS etwa. Methylphenidat (Ritalin) verändert den Dopamin-Haushalt im Gehirn und führt dadurch häufig zu Schlafstörungen und Appetitverlust. „Bei ADHS behandeln wir den Mangel an Dopamin in bestimmten Hirnregionen, beeinflussen die für die zirkadiane Rhythmik verantwortlichen Zellen im Hypothalamus aber ebenfalls“, so Romanov.

Angriffspunkt für Substanzen

Besonders in der Behandlung von Kindern mit ADHS sind Schlaflosigkeit, fehlender Appetit und Gewichtsverlust ein großes Problem, aufgrund dessen die Behandlung manchmal abgebrochen werden muss. Die neu entdeckten Dopaminzellen könnten möglicherweise Angriffspunkt für Substanzen sein, die diese Nebenwirkungen bekämpfen. Auch für zukünftige Medikamente gegen Adipositas oder Narkolepsie könnten die Entdeckungen eine Rolle spielen. (jam)

LEXIKON

Dopamin gehört wie auch das Adrenalin zu den Katecholaminen und ist ein vorwiegend erregend wirkender Neurotransmitter. Verschiedene Krankheitsbilder werden mit Dopamin in Verbindung gebracht: Bei Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätssyndrom (ADHS) und Morbus Parkinson wurde ein Mangel, bei Schizophrenie und Psychosen ein Überschuss in bestimmten Hirnregionen beobachtet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.01.2017)


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