Die Wahrheit zwischen Investitionsboom und Betriebsaus

Themenbild
Themenbild(c) Die Presse - Clemens Fabry
  • Drucken

Ein Viertel der Hotels steht laut Branchenvertretern vor dem Aus. Minister Mitterlehner feiert 2016 als erstes krisenfestes Tourismusjahr.

Wien. Geht es Österreichs Tourismus gut? Das kommt ganz darauf an, wen man fragt. Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner (ÖVP) freute sich am Freitag vor Journalisten, dass die Branche ein neuer Investitionsboom erfasst hat. Die Wirtschaftskrise sei im Tourismus überwunden. Die Österreichische Hotel- und Tourismusbank (ÖHT), die im Auftrag des Bundes die Förderungen abwickelt, finanzierte 2016 Investitionen in Höhe von 660 Mio. Euro – 63 Prozent mehr als 2015. Von den 1900 Kreditnehmern der ÖHT seien im Vorjahr nur 46 nicht in der Lage gewesen, ihre Kredite termingerecht zu begleichen, ergänzt ÖHT-Chef Wolfgang Kleemann. „Das ist ein marginaler Anteil. Wir sind ungeheuer stabil aufgestellt.“ Um der verbesserten Ertragslage und Eigenkapitalquote der Betriebe entgegenzukommen, werde man 2017 sowohl den Haftungsrahmen der ÖHT auf 500 Mio. Euro verdoppeln als auch die Summe der vergebenen Kredite von 222 auf 235 Mio. Euro steigern.

Der Konter der Österreichischen Hoteliervereinigung (ÖHV) kam postwendend: Die präsentierte Auswahl investitionsfreudiger Top-Betriebe spiegle nur einen Teil der Realität wider, hieß es in ihrer Aussendung. „25 Prozent der Betriebe sind fertig“, konstatierte Michaela Reitterer gegenüber der „Presse“. „Es freut mich, dass die ÖHT mehr Förderanträge bekommen hat, aber das ist ein kleiner Ausschnitt aus einem großen Bild.“ Das Niveau, von dem die Investitionen nun anziehen, liege zudem tief. Die ÖHT-Zahlen bestätigen das. 2011 investierten Österreichs Hoteliers mit ihrer Hilfe bereits 880 Mio. Euro – obwohl die Wirtschaftskrise da noch nicht so lange zurücklag.

Der Tourismus sei jedenfalls auf dem richtigen Weg, betont Mitterlehner. Das werde durch Wifo-Daten bestätigt, die 2016 ein nominelles Umsatzwachstum von 4,4 Prozent (real 2,1 Prozent) beschienen. Auch der Trend zum Ganzjahresgeschäft – 75 Prozent der ÖHT-Investitionsgelder flossen 2016 an ganzjährig geöffnete Betriebe – sei ein wichtiger Schritt. Er helfe gegen den Fachkräftemangel in der von Saisonarbeit geprägten Branche.

Streit um die Köche

Damit sprach der Minister ein heiß diskutiertes Thema an. Nachdem den Tourismusvertretern kürzlich ihr Wunsch nach Aufnahme der Berufe Kellner und Koch in die Mangelberufsliste abgeschlagen wurde, herrscht dicke Luft. Diese Einstufung hätte es den Betrieben in den westlichen Tourismusregionen erleichtert, Personal aus Drittstaaten mittels Rot-Weiß-Rot-Karte nach Österreich zu holen. Da die Stellenzahlen aber bundesweit erhoben werden und in Wien viele Köche und Kellner nach Arbeit suchen, hatten sie keinen Erfolg. In Vorarlberg, Tirol oder Salzburg kommen auf eine Stelle laut Wirtschaftskammer 0,6 Bewerber – in Wien bewerben sich hingegen 4,5 Mann. „Wir sind vom Sozialminister im Stich gelassen worden“, sagt Tourismusobfrau Petra Nocker-Schwarzenbacher. Die Politik stelle sich gern mit den steigenden Nächtigungszahlen vor die Kamera, aber wenn die Betriebe eine regionale Sonderregelung für die Mangelberufsliste brauchten, stünden sie auf verlorenem Posten.

In einem Punkt ist man sich einig: Nocker-Schwarzenbacher wie Mitterlehner fordern Anreizsysteme, um die Arbeitnehmermobilität zu erhöhen und das Ost-West-Gefälle zu verringern. Von einem Lohnschutzgesetz, wie es Bundeskanzler Kern (SPÖ) bei der Präsentation seines Plan A vorschlug, hält Mitterlehner nichts. Es sei EU-widrig, Arbeitnehmer aus Niedriglohnländern vom Markt fernzuhalten.

Der Grund für den akuten Koch- und Kellnermangel in Westösterreich ist auch nicht nur im Inland zu suchen. 93 Prozent des ausländischen Personals kommt laut Wirtschaftskammer aus Deutschland. Nachdem sich die Arbeitslosigkeit dort in den vergangenen zehn Jahren halbierte, sank auch die Zahl der Deutschen, die im Saisonbetrieb vor allem in Tirol, Salzburg und Vorarlberg arbeiteten, von 40.500 auf 36.700. Tendenz weiter sinkend. Der Blick über die Grenze zeigt zudem: Das Problem teilen Österreichs Hoteliers mit dem Rest Europas. Aktuell werden über das europäische Berufsportal EURES 14.367 Köche in Österreich gesucht. In Deutschland sind es 208.000, in der gesamten EU 433.575.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.01.2017)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Ein Koch des Teams der Junior Nationalmannschaft der Schweiz waehrend der Internationalen Kochkunsta
Österreich

"Tourismus darf sich nicht wundern, wenn Mitarbeiter davonlaufen"

Die Tourismusbranche soll die Probleme nicht weiter leugnen. Die Gewerkschafter kritisieren vor allem die fehlende Dienstplansicherheit.
Österreich

Tourismus: "Personalmangel nicht kleinreden"

Eine AMS-Auswertung zeigt, dass es in Österreich deutlich mehr arbeitssuchende Köche und Kellner als ausgeschriebene Jobs gibt. Warum Touristiker trotzdem einen akuten Personalmangel sehen.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.