Fleischkonsum

Ob Fleischessen gesund ist oder nicht, ist weiterhin umstritten. Dass wir heute wahre Fleischberge verspeisen, ist jedenfalls eine junge Entwicklung.

Menschen, die viel Fleisch essen, sterben früher, vermeldeten schwedische Forscher diese Woche. Gleichzeitig berichteten amerikanische und australische Wissenschaftler, dass es keinen Zusammenhang zwischen Fleischkonsum und Herz-Kreislauf-Erkrankungen gebe. Wie gesund Fleischessen ist, ist also weiterhin eine offene Frage – die die Wissenschaft noch länger beschäftigen wird.

Faktum ist jedenfalls, dass der Mensch heute viel mehr Fleisch konsumiert als jemals zuvor. Nutztiere waren in früheren Zeiten vorwiegend Arbeitstiere und Materiallieferanten (Wolle, Fette, Leder etc.). Tierische Proteine wurden v. a. in Form von Milch und Eiern verzehrt. Fleisch zu essen war in breiten Gesellschaftsschichten die Ausnahme, es war ein Privileg der (männlichen) Eliten.

Dass wir heute wahre Fleischberge verspeisen, ist eine recht junge Entwicklung: Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begann sich laut dem Wirtschaftshistoriker Ernst Langthaler (Uni Linz), die industrielle Produktion in einem „Fleischkomplex“ herauszubilden – darunter versteht er ein „weltumspannendes Netzwerk von Orten des Futteranbaus, der Mastviehhaltung und des Fleischkonsums“. Wie er im „Jahrbuch für Geschichte des ländlichen Raums 2016“ („Tiere nutzen“, 209 S., 29,90 Euro, Studien-Verlag) erläutert, begann das in den USA. Im Zuge des Vorrückens gen Westen entwickelte sich – ermöglicht durch die Eisenbahn – eine Arbeitsteilung: Aufgezogen wurden Rinder in den Great Plains, gemästet im Corn Belt, geschlachtet und verarbeitet in Chicago. Als es ab den 1880er-Jahren Kühlschiffe gab, drängten Fleischüberschüsse auch nach Westeuropa und ermöglichten hier eine rasante Ausweitung des Pro-Kopf-Konsums.

Die arbeitsteilige Massenproduktion mit Mastbetrieben und Futtermonokulturen setzte sich weltweit durch. Die Fleischexpansion („meatification“), stellte den „tiefgreifendsten Umbruch der Ernährungspraxis seit der Neolithischen Revolution“ dar, so Langthaler. In der Nachkriegszeit formte sich erneut ein Fleischkomplex, der in der jüngsten Globalisierungswelle eine ungeahnte Größe erreichte – mit all seinen negativen Folgen für Emissionen, Abholzung, Tiere und wohl auch Gesundheit.

Eine deutliche Reduktion des Fleischkonsums, wie diese Woche von österreichischen Ernährungsmedizinern gefordert, wäre in diesem historischen Licht besehen also auch eine Rückkehr zu früheren Verhältnissen – als die tierische Produktion noch nicht durch und durch industrialisiert war.


Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Chefredakteur des „Universum Magazins“.

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diepresse.com/wortderwoche

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.01.2017)

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