Der Sonnen-Landeshauptmann tritt tatsächlich ab

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Ohne Revolution gibt der vorletzte barocke Feudalherrscher mit dem Titel Landeshauptmann die Macht ab. Es war nicht alles schlecht.

Also doch Hermann Hesse. „Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe bereit zum Abschied sein und Neubeginne. [. . .] Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft zu leben.“ Zumindest glaubt Erwin Pröll an die Wahrheit des Gedichts „Stufen“, das einer seiner Söhne auf seinem herrschaftlichen 70. Geburtstagfest, Verzeihung: bei der Abdankungsmesse in der Göttweiger Stiftskirche vorgetragen hat. Beim Festakt kurz vor Weihnachten zelebrierte Pröll noch sein Amtsverständnis: Kirchenoberste, alle ÖVP-Politiker, halb Österreich und ganz Niederösterreich huldigten dem Landesvater.

Sogar die schwarzen Kollegen aus den anderen ÖVP-geführten Ländern rieben sich angesichts der Szenen wie aus einem längst vergangenen Jahrhundert verdattert die Augen. Aber was für Erwin Pröll und die Seinen ganz selbstverständlich war und ist, verstand und versteht außerhalb des größten Bundeslandes kaum einer. So ist auch der Schluss völlig falsch, Pröll würde gehen, weil der „Falter“ über eine absurde, nach modernen Gesichtspunkten unmögliche Privatstiftung berichtete, die aus dem Landesbudget (mit Stimmen der Opposition) gefördert wurde. Wobei in Niederösterreich viele von diesem Reptilienfonds, wie solche Kassen in Geheimdiensten genannt wurden, gewusst hatten. Der Name Pröll und die sozialen und kulturellen Zwecke der Stiftung reichten, dass niemand blöd fragte. Für Pröll war und ist die Veröffentlichung ärgerlich, aber er verschob die Ankündigung des Rücktritts nicht. Auf die Idee, Journalisten könnten einen Zusammenhang zwischen den Vorfällen sehen, kommt er gar nicht.

Nein, Pröll denkt und dachte immer anders als der Wiener Wasserkopf, das war zum Teil sein Erfolgsrezept. Das machte ihn bei Wahlen auf dem flachen Land so unglaublich erfolgreich. Wenigen Politikern gelang diese Identifikation: Für viele Niederösterreicher verkörperte der Mann, der so charmant wie brutal, lustig wie bierernst sein kann, das Bundesland. Er gab ihm eine neue selbstbewusste Identität, die völlige Abnabelung von der alten Hauptstadt Wien war sein Erfolg. Und: Die unglaubliche Großzügigkeit mit Geld, das via Finanzausgleich nach St. Pölten floss, lockte Künstler und Unternehmer an, die bei den freundlichen, unterhaltsamen Worten des Landeshauptmannes jeden Widerstand aufgaben. Kritische Medien oder eine echte Opposition gab es nicht, dafür sorgten Abhängigkeiten dank einer gut geölten Machtmaschinerie bis ins kleinste Dorf plus Mitarbeiter, die für ihren Chef mittels subtiler und weniger subtiler Drohungen gegebenenfalls Widerstand brachen. Pröll musste auch die FPÖ nie fürchten. Rechts und links vom alleinregierenden Fürsten gab es nie viel Platz. Und: Sein Füllhorn an Investitionen plus wirtschaftlich positive Auswirkungen des Falls des Eisernen Vorhangs sorgten dafür, dass das Land in jeder Hinsicht aufblühte. Pröll war auch zur rechten Zeit im rechten Bundesland.

Seine bundespolitische Bedeutung wurde mitunter übertrieben dargestellt, war aber groß: Dank ähnlicher (finanzieller) Interessen regierten er und seine Kollegen, allen voran Best-Heurigen-Buddy Michael Häupl, ihre Parteien skrupellos und zynisch spielerisch. Dabei nahmen Pröll und die anderen Landeshauptleute die Beschädigung der Kanzler, Vizekanzler und vor allem jeweiligen Parteichefs immer in Kauf. In der ÖVP-Bundeszentrale müssen Chef und Generalsekretär unter heftigen Phantomschmerzen leiden. Wie solle eine Obmanndebatte ohne Erwin Pröll funktionieren? Kaum vorstellbar. Aber: In einer Zeit, in der Politiker nur Phrasen dreschen, posen und möglichst wenig Konkretes oder gar leicht Missverständliches zu formulieren wagen, wird der Archetyp Pröll als Reibebaum fehlen. Und als schneller und kluger Sparringpartner für andere Politiker wie Journalisten.

Pröll hat seinen Rücktritt lang vorbereitet, die Amtsübergabe an Johanna Mikl-Leitner, der er wohl als väterlicher Freund einige Zeit beistehen wird, hat er seit Monaten geplant. Aber er war bis zum Schluss – siehe Absage der Präsidentschaftskandidatur – immer für Überraschungen gut. Dass er tatsächlich gehen und die Macht abgeben könnte, ist für viele wohl eine der größten.

E-Mails an:rainer.nowak@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.01.2017)

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