Leo Windtner: „Investiert wird nur noch, wo es massive Förderungen gibt“

„Die Liberalisierung des Strommarkts ist Großteils ad absurdum geführt“, sagt der scheidende Vorstandschef der Energie AG, Leo Windtner.
„Die Liberalisierung des Strommarkts ist Großteils ad absurdum geführt“, sagt der scheidende Vorstandschef der Energie AG, Leo Windtner.(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Die Stromversorgung des Landes sei schon sicherer gewesen, warnt Energie-AG-Chef Windtner. Die Politik verdränge das Problem.

Die Presse: Sie gehen nach fast vier Jahrzehnten in der Energiebranche in Pension. Ist unser Stromsystem heute besser und sicherer als damals?

Leo Windtner: Die Branche hat sich komplett verändert. Aus Tarifen wurden Preise, aus Abnehmern Kunden und bald „Prosumer“ – eine Mischung aus Kunden und Produzenten. Die Versorgung ist zwar noch sicher, aber es ist erkennbar, dass sich mehr und mehr Unsicherheitsfaktoren im System ausbreiten. Im ersten Boom der Energiewende und blindwütigen Förderpolitik wurde nicht selektiv genug vorgegangen. Man wollte mit allen Mitteln entsprechende Kapazitäten schaffen. Jetzt haben wir keine zentrale Versorgung mehr, sondern eine starke Dezentralisierung, die die Netze vor gewaltige Herausforderungen stellt.

Beunruhigt Sie das?

Mit der Versorgungssicherheit ist es wie mit der Gesundheit. Erst, wenn sie nicht mehr da ist, spürt man, wie sehr sie fehlt. Ich kann nur an die Politik appellieren, nicht nur jeden Monat darüber zu berichten, wie sich Kunden ein paar Euro ersparen können, sondern sich auch darum zu kümmern, dass die Versorgung sicher bleibt. Das brauchen die Menschen und der Standort.

Gleichzeitig macht der politische Wunsch nach mehr Ökostromanlagen genau das schwieriger. Je mehr Menschen Solaranlagen kaufen, um sich selbst zu versorgen, desto weniger bleiben übrig, um das Netz zu finanzieren. Wie lässt sich das lösen?

Das ist die Grundsatzfrage: Wer wird die höheren Kosten der Dezentralisierung tragen? Der Netzbetreiber kann es nicht sein. Diese Kosten wird man jenen zuordnen müssen, die sie verursachen. Schließlich profitieren sie auch von der Versorgungssicherheit, die die konventionellen Kraftwerke bereitstellen.

Das heißt im Klartext: Wer sich heute eine Solaranlage auf das Dach schraubt, muss damit rechnen, morgen deutlich höhere Netzgebühren zu bezahlen.

Ja, weil die Autarkie in dieser Form letztlich eine Fiktion ist.

Der Bundeskanzler hat vergangene Woche erklärt, Österreich solle sich im Jahr 2030 komplett mit Ökostrom selbstversorgen. Was halten Sie davon?

Ich kann den Ansatz nachvollziehen, und wir werden alles tun, um das zu erreichen. Wesentlich ist aber, dass der Bundeskanzler nicht nur über schöne Ziele redet, sondern auch Rahmenbedingungen und Planungssicherheit schafft, damit die Unternehmen wieder investieren können.

Im Moment fehlt diese Planungssicherheit. Neue Kraftwerke werden kaum gebaut, weil sie sich nicht rechnen.

So ist es in der Tat. Investiert wird nur da, wo massiv gefördert wird. Auch die konventionellen Unternehmen der Branche weichen dahin aus. Es ist deshalb unumgänglich, dass sich geförderte Energieträger bald unter Marktbedingungen bewähren müssen. Sonst ist die Liberalisierung ad absurdum geführt.

Ist sie das noch nicht? Ohne Hilfe des Staats wird kein neues Kraftwerk gebaut, in der EU entstehen wieder künstliche Grenzen, und das Netz bleibt nur stabil, weil staatliche Netzbetreiber massiv Leistung zukaufen . . .

Die Liberalisierung ist tatsächlich zum Großteil ad absurdum geführt. Wenn wir uns ansehen, wie viele Netzbetreiber Kraftwerkskapazitäten zukaufen müssen, ist der Kernpunkt der Liberalisierung damit brutal verwischt. Ganz abgesehen davon, dass man ständig Deregulierung versprochen hat, ist oft genau das Gegenteil passiert. Bestes Beispiel dafür ist das Energieeffizienzgesetz.

Das Gesetz zwingt Energieversorger, für ihre Kunden Energie zu sparen. Hier wünscht der Kanzler eine Verschärfung, weil die Wirkung der gesetzten Maßnahmen bisher kaum nachprüfbar seien.

Ich halte es für eine gefährliche Drohung, wenn hier in den Raum gestellt wird, dass jede einzelne Maßnahme, die wir setzen, mit einem Gutachten zu belegen ist. Das Energieeffizienzgesetz bringt hohen bürokratischen Aufwand. Man muss alles tun, um eine weitere Verschärfung zu verhindern. Es wäre heller Wahnsinn, was hier auf die Branche zukommen würde. Unnötig wäre es noch dazu.

Die Branche ist seit Jahren auf Sparkurs. Sie haben auch bessere Zeiten in der E-Wirtschaft erlebt. Kommen diese je zurück?

Der Energiemarkt wird noch lang klamm bleiben. Und auch der Strompreis wird sich in den nächsten Jahren nicht erholen. Darum müssen sich unsere Geschäftsmodelle ändern. Niemand wird davon leben können, nur Strom zu liefern. Wir müssen in ganz andere Bereiche vordringen: Infrastruktur, Ladestationen, Smart-Homes. All das wäre vor zwanzig Jahren noch undenkbar gewesen.

Zur Person

Leo Windtner (* 1950) geht Anfang März als Vorstandschef der Energie AG Oberösterreich in Pension. Er war 38 Jahre in der Branche tätig, 22 Jahre führte er den Landesenergieversorger. Als Präsident des Österreichischen Fußballbundes macht Windtner weiter.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.01.2017)

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