Für mehr als eine Handvoll Euros

Cannes, Viennale, Oscar-Zittern: Der österreichische Film hat wieder Saison. Und die Branche? Fürchtet sich vor dem ORF-Ausfall und hofft auf eine neue Förderung, die klarmacht, dass Filmemacher mehr als Bittsteller sind. Nämlich ein Wirtschaftsfaktor.

Filmwunder Österreich“: Das viel strapazierte Schlagwort hört man oft und demnächst noch öfter. Denn wieder einmal läuft es gut für den heimischen Film: Michael Haneke hat zuletzt in Cannes gewonnen. Das Wiener Filmfestival Viennale, das kommende Woche startet, eröffnet erstmals mit einer österreichischen Produktion („La pivellina“). Und im Jänner darf man erneut freudig zittern: Gelingt Arash T. Riahi mit „Ein Augenblick Freiheit“ eine Nominierung für den Auslands-Oscar?

Eine spannende Frage, an die sich eine noch spannendere knüpft: Wie viele Preise braucht es eigentlich, bis man anerkennt, dass Film nicht nur ein (wenn auch notorisch unterschätztes) Kulturgut ist, sondern Dreharbeiten trotz Förderung auch ein wichtiger Wirtschaftsfaktor sind? Tatsächlich mehren sich seit den Neunzigern, als sich Österreicher im internationalen Festivalzirkus etablieren konnten, nicht nur die Preise. Laut dem Österreichischen Filmförderungsinstitut (ÖFI) sind in den vergangenen acht Jahren auch die Umsätze der gesamten Filmproduktion (Kino, TV, Werbung etc.) inflationsbereinigt um 50 Prozent gestiegen – auf 351 Mio. Euro für den Zeitraum 2007/2008. Ebenfalls gewachsen ist der Marktanteil von österreichischen Filmen im Kino: von mageren zwei auf sieben Prozent im Vorjahr. Für 2009 rechnet ÖFI-Leiter Roland Teichmann gar mit einem „zweistelligen Anteil“. Die wahre Überraschung könnte aber Ende des Jahres verkündet werden: Spät, aber doch soll Österreich eine Filmförderung mit ökonomischem Schwerpunkt bekommen, wie sie im restlichen Europa längst üblich ist. Denn, sagt Teichmann: „Filmproduktionen sind wie ein Wanderzirkus, sie gehen dorthin, wo es Geld gibt.“

Cruise und Diaz. Im Wirtschaftsministerium wird derzeit deshalb an einer Variante des Rabattmodells des Deutschen Filmförderfonds (DFFF) gearbeitet. Der jährlich mit 60 Mio. Euro dotierte DFFF erstattet, grob gesagt, einen Teil der in Deutschland ausgegeben Produktionskosten zurück, wenn die Produktion gewisse Kriterien (Beschäftigung deutscher Mitarbeiter etc.) erfüllt. Der Erfolg kann sich sehen lassen: Laut DFFF wurde im Endeffekt das Sechsfache (!) der Fördersumme in Deutschland ausgegeben. Ähnliches erhofft man auch für Österreich. Freilich: „Hollywood-Produktionen werden uns trotzdem nicht die Türe einrennen“, sagt Teichmann, „aber vielleicht gibt es eine pro Jahr.“ Bis dato steht allerdings weder die Fördersumme fest – die österreichische Wirtschaftskammer wünscht sich 20 Mio. Euro –, noch kann man den Multiplikatoreffekt 1:1 umlegen. Vielmehr geht man bei der Wertschöpfung eines Filmes hierzulande vom Dreifachen der Herstellungskosten aus. Das Geld fließt schließlich in Arbeitsplätze, Subaufträge an Dienstleistungsfirmen, Transport und Unterbringung, auch das Image des Drehorts profitiert. Die gesamte Wertschöpfung exakt aufzuschlüsseln sei aber unmöglich, sagt Peter Zawrel, Chef des Filmfonds Wien, denn: Welche Kaufimpulse ein Film beispielsweise auslöst, lässt sich weder abschätzen noch seriös abrechnen. Als Erfahrungsbeispiel verweist Zawrel lieber auf den „territorialen Filmbrancheneffekt“, den der Filmfonds Wien einfordert: Demnach muss die geförderte Summe zu 100 Prozent in Wien ausgegeben werden: „Aus den Endabrechnungen wissen wir aber, dass es meist 250, im Höchstfall sogar 900 Prozent sind.“

Früher als das Wirtschaftsministerium erkannte der Tourismus das Wertschöpfungspotenzial: Mit 300.000 Euro lockt die Salzburger „StandortAgentur (zuständig für die Förderung des kommerziellen Films) aktuell „The Unkown Wichita Project“, so der Arbeitstitel eines Films mit Tom Cruise und Cameron Diaz, in die Stadt. Ende November, Anfang Dezember sollen die Dreharbeiten starten und werden Salzburg – so ist es im Vertrag festgelegt – 1,2 Mio. Euro bringen (den Werbeeffekt von bis zu 20 Minuten Salzburgkulisse im Leinwandformat nicht eingerechnet). Der Hauptteil der Ausgaben entfällt jedoch auf Hotelübernachtungen, Fuhrpark, Sicherheit. Dinge, die mit der Filmbranche nicht wirklich viel zu tun haben.

Tom und Cameron – gut und schön, aber „strukturbildend“, wie das Werner Müller, Geschäftsführer des Fachverbands der Audiovisions- und Filmindustrie nennt, ist derlei nicht. Beim Rabattmodell, das natürlich auch heimische Filmemacher in Anspruch nehmen sollen, soll das anders sein: Man hofft, dass die ansässige Filmbranche Aufträge lukriert und es zu Know-how-Transfer kommt. Noch mehr Möglichkeiten gäbe es, sagt Teichmann, hätte Österreich ein großes Filmstudio. Das aber fehlt nach wie vor.

Ein Problem namens ORF. Und es ist nicht das Einzige, was man vermisst. Denn das neue Rabattmodell kann nicht über das große Problem der Branche hinwegtäuschen, das auch jede Krisen-Diskussion verdrängt: den ORF. Dessen marode Finanzen sind aus zwei Gründen gefährlich. Erstens: Das Film- und Fernsehabkommen, mit dem der ORF Kinofilme fördert (5,9 Mio. Euro pro Jahr), wackelt. Ob und wie hoch man es künftig dotieren könne, sagt ORF-Sprecher Pius Strobl, werde sich erst mit dem Budgetvorschlag Mitte November entscheiden. Zweitens: Der ORF wird seine gesamten Aufträge für Serien, Shows, Dokus oder TV-Filme, von denen die Branche stark abhängig ist (Auftragsvolumen heuer: über 90 Mio. Euro), einschränken. Massiv einschränken? „Definieren Sie massiv“, sagt Strobl. Ab minus 25 Prozent. „Dann wird es massiv.“ „Wenn der ORF das Budget für Fernsehfilme weiter kürzt, haben wir ein echtes Problem“, meint Produzent Helmut Grasser (Allegro Film), „das hätte dramatische Auswirkungen auf die ganze Branche. Denn die meisten Arbeitsplätze, das Alltägliche passiert im Bereich der Fernsehfilme.“

Im Verein „Film Austria“ wollen sich die Produzenten gegen die Einsparungen wehren. Sprecher und Anwalt Alfred Noll sagt: „Wir wollen, dass der ORF im Rahmen des Film- und Fernsehabkommens zehn Millionen Euro pro Jahr in Film investiert. Weiters sollte eine finanzielle Unterstützung vonseiten der Regierung nur zweckgebunden vergeben werden. 25 Prozent des Programmbudgets sollten in die Produktion österreichischer Filme, Serien und Dokus fließen. Da wird es eine Quotenregelung brauchen.“

Dominoeffekt. Auswirken würde sich ein ORF-Ausfall auch auf den Fernsehfonds der Rundfunk- und Fernsehfilmregulierungs Gmbh (RTR), der auf dem TV-Sektor – ähnlich wie der geplante Rabatt im Kinobereich – einen Anreiz für ausländische Koproduktionen schafft. Jedoch nur, wenn 50 Prozent vom Inland bezahlt werden. Bislang haben der RTR 20 und der ORF 30 Prozent beigesteuert. Fällt der ORF aus, brechen – dominogleich – auch die ausländischen Partner weg. Eventuell, vermutet Teichmann, werden TV-Regisseure und Produzenten deshalb nun in Richtung Kino(förderung) drängen. Im Durchschnitt ist jeder österreichische Kinofilm zu achtzig Prozent gefördert. Klingt viel, ist aber in ganz Europa so. Denn um die Herstellungskosten einzuspielen, bräuchte ein Film etwa zwei Millionen Besucher (s. Zahlen links.). Und das gelingt selbst großen Ländern wie Deutschland und Frankreich nur selten.

Ganz normaler Filmalltag. Insgesamt (inkl. ORF, RTR) wurden 2008 über 42 Mio. Euro an Förderungen zugesagt. Bei einem Kinofilm teilen sich ÖFI und Bundesländerfonds in der Regel 80 Prozent, 20 Prozent sollten vom ORF kommen. Die Einreichung ist ein langwieriger Prozess, wie das Beispiel von Arash T. Riahi zeigt: 2003 reichte Riahi „Ein Augenblick Freiheit“ zur Drehbuchförderung ein und wurde abgelehnt. 2004 kam es zur Projektentwicklung, und 2006 gab es die Zusage zur Herstellung: Mit 3,5 Mio. Euro ist „Ein Augenblick Freiheit“ eines der teuersten heimischen Spielfilmdebüts. Im Schnitt liegen zwischen Projektentwicklung und Herstellung sechs bis achtzehn Monate. Europäischer Standard, sagt Zawrel. Regisseure klagen dennoch häufig über das „Loch“ in das sie zwischen den einzelnen Produktionen fallen – Drehpausen von bis zu zwei Jahren sind durchaus üblich. „Stimmt“, so Zawrel, „aber das ist ein österreichisches Schicksal. Im Vergleich zu anderen Ländern haben wir einfach sehr viele Filmschaffende. Der Markt ist übersättigt.“

Was also tun? Bei der Produktion selbst zu sparen fällt schwer. Dokumentarfilmern, bei denen die Materialkosten den Großteil des Budgets ausmachen, hilft jedoch die Technik. Peter Schreiner hat seinen Film „Totó“ digital gedreht: „Mit einer HD-Kamera ab 8000 Euro ist man fit, Kino zu machen. Bei Dokus ist die Produktion auf Film fast schon obsolet“, sagt er. Fürs Kino muss Schreiner sein Werk wieder teuer auf Film kopieren. Noch. Denn die Digitalisierung der Kinos (in Österreich 40 Prozent) nimmt zu und damit als Nebeneffekt auch die Zahl der Kopien. Begannen heimische Filme 2007 mit neun Kopien, sind es heuer bis zu 80, ein Wert, der mit US-Produktionen vergleichbar ist. Das schlägt sich auch in den Besucherzahlen positiv nieder.

Apropos neu und positiv: Seit heuer verfügt auch die Bundeshauptstadt über eine Vienna Film Commission (VFC), die Filmemachern unter anderem den Alltag bei den Dreharbeiten erleichtern soll. Laut dem Obmann der österreichischen Aufnahmeleiter, Peter Altendorfer, klappt die Zusammenarbeit – und dank ihr auch jene mit „Problembezirken“ – sehr gut. Für massiven Unmut sorgt aber aktuell die Magistratsabteilung 46, die für Drehgenehmigungen auf Verkehrsflächen zuständig ist.

Noch mehr Alltag. „Die Antragsfristen für Drehgenehmigungen wurden auf bis zu vier Wochen verdoppelt, das vernichtet die Branche“, sagt Altendorfer. Stimmt nicht, heißt es aus der MA 46. Die Fristen hätten sich nicht verändert. In Wahrheit habe der früher zuständige Beamte Anträge „im kurzen Weg“ erledigt, was nicht korrekt gewesen sei. Seine Nachfolger (jetzt zu dritt) würden den Amtsweg einhalten, „aber sich trotzdem bemühen, dass es schneller geht“. Altendorfer plant nun einen Protest, VFC-Leiterin Marijana Stoisits einen runden Tisch.

Es wird nicht ihr letzter sein. Stoisits will auch Institutionen wie Spitäler und Verkehrsbetriebe überzeugen, nicht aus Imageängsten Drehgenehmigungen zu verweigern. Denn wofür die Tourismusregion Salzburg zahlt, das macht den ÖBB Sorge. Für seine Drogenkomödie „Contact High“ wollte Regisseur Michael Glawogger am Wiener Südbahnhof drehen. Jedoch: Das Script erschien der Pressestelle bedenklich. Weil eben Drogen usw. „Ich kann mich an den Fall nicht genau erinnern“, sagt ÖBB-Sprecher Alfred Ruhaltinger, „aber kann schon sein, dass wir aus Imagegründen abgelehnt haben. Wir prüfen intern jedes Skript genau. Das Thema Drogenmissbrauch ist heikel.“ Ebenso wie das Thema Gewalt und damit potenziell jeder „Tatort“ oder „James Bond“. Filmwunderland Österreich – bisweilen ganz schön wunderlich.
Viennale-Tipps: Seite 42

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.10.2009)

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