Die SPD zwischen Wunsch und Wirklichkeit

Martin Schulz stellt den Führungsanspruch für die SPD. Aber seit Willy Brandt haben sich die Zeiten stark geändert.
Martin Schulz stellt den Führungsanspruch für die SPD. Aber seit Willy Brandt haben sich die Zeiten stark geändert.(c) APA/AFP/TOBIAS SCHWARZ
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Der Machtwechsel von Sigmar Gabriel zu Martin Schulz lässt die Partei wieder vom Kanzleramt träumen. Realistisch ist das nicht. Die SPD kämpft bei der Bundestagswahl gegen den Abstieg.

Berlin. Sigmar Gabriel steht im Ruf, komplexe Sachverhalte mit einfachen Worten erklären zu können. Dieses Mal benutzte er eine Fußballmetapher, um die Situation der SPD zu beschreiben: „Wenn der Verein immer im Keller spielt“, sagte Gabriel dem „Stern“, „dann ist irgendwann der Trainer dran.“ So seien auch in der Politik die Spielregeln. „Und das ist in Ordnung.“

Spinnt man das weiter, dann ist in der SPD am Dienstag ein Trainereffekt eingetreten. Der Neue, Martin Schulz, hat einer lethargischen und an sich selbst zweifelnden Partei einen Motivationsschub verpasst. Dafür musste er noch nicht einmal seine rhetorischen Fähigkeiten einsetzen. Allein die Tatsache, dass der ungeliebte Gabriel geht und der innenpolitisch unverbrauchte Schulz kommt, reichte aus, um verschämte Kanzlerträume wieder zum Leben zu erwecken.

In der Bundestagsfraktion wurde Schulz am Mittwoch mit einem minutenlangen Beifall empfangen. Die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer, berichtete euphorisiert, der 61-Jährige sei in der SPD „wirklich beliebt“, und sagte damit auch viel über Gabriel aus. Sogar die Jusos nannten Schulz den „richtigen Kandidaten in der richtigen Zeit“. Er könne Angela Merkel „auf jeden Fall schlagen“. Aber kann er das wirklich?

Großer Rückstand auf Merkel

Theoretisch ist in einem Wahlkampf alles möglich. Realistisch ist ein SPD-Kanzler aus heutiger Sicht aber nicht. In den jüngsten Umfragen kommt die Partei nur noch auf 20 bzw. 21 Prozent, während CDU und CSU von der Sicherheitsdebatte profitieren und auf 36 bzw. 37 Prozent davongezogen sind. Schulz muss also in acht Monaten (bis zum Wahltermin am 24. September) rund 15 Prozentpunkte aufholen. Dazu bräuchte es schon einen sehr großen „Trainereffekt“.

Auch ein rot-rot-grünes Bündnis gegen die Union geht sich – Stand jetzt – nicht einmal ansatzweise aus. Zumal keiner der beiden Wunschpartner, weder Linkspartei noch Grüne, über zehn Prozent hinauskommt. Schulz hat trotzdem den Führungsanspruch gestellt, allein schon aus strategischen Gründen. Und weil man das von einem SPD-Vorsitzenden erwartet. Den Abgeordneten rief er gestern zu: „Wenn wir Sozis den Menschen zeigen, dass wir an sie denken, dann gewinnen wir die Wahl.“

In erster Linie geht es für Schulz aber darum, den Absturz der SPD aufzuhalten. Die Partei befindet sich seit Jahren in der Krise, wenn nicht bereits in einem Existenzkampf. Dafür gibt es eine Reihe von Gründen: Eine – auch im europäischen Trend liegende – Entfremdung der Partei von ihrer Kernklientel, die sich in Deutschland spätestens nach Gerhard Schröders Arbeitsmarktreformen („Agenda 2010“) gezeigt hat. Eine nach wie vor beliebte Kanzlerin, die vielen auch mit Blick auf die internationalen Entwicklungen eine Sicherheitsgarantie zu sein scheint. Und eine neue, rechtspopulistische Konkurrenz durch die AfD.

Was Schulz dagegen zu unternehmen gedenkt, will er am Sonntag, nach der Klausur des SPD-Vorstands, in einer ersten programmatischen Rede darlegen. Bisher versprach er nur „mehr soziale Gerechtigkeit“, aber das gehört zu einem sozialdemokratischen Politiker wie das Amen zum Gebet.

Innerhalb der SPD wird Schulz jedenfalls nicht dem linken Flügel zugerechnet. Er gilt, wie Gabriel, als Pragmatiker. Nach der Fraktionssitzung am Mittwoch definierte er zwei Leitlinien: Erstens müsse die SPD die Alltagssorgen der Menschen ernst nehmen – das habe er in seinen elf Jahren als Bürgermeister der nordrhein-westfälischen Stadt Würselen gelernt. Und zweitens ein „Schutzwall gegen die Feinde der Demokratie“ sein.

Innenpolitisch ist der ehemalige Präsident des EU-Parlaments ein Neuling. Das kann ein Vor- und ein Nachteil sein. In seiner Kritik an Merkel wird er glaubwürdiger sein als Gabriel, der seit 2013 mit der Union koaliert. Doch Schulz muss sich erst einmal in die Materie einarbeiten. Ist er beim Thema Rentenangleichung firm? Kann er das Gesundheitssystem erklären?

Neuland betritt auch Gabriel. Er bleibt zwar Vizekanzler, wechselt aber schon am Freitag ins Außenministerium. Dort löst er Frank-Walter Steinmeier ab, der im Februar zum Bundespräsidenten aufsteigen soll. Im Wirtschaftsministerium folgt Gabriel die frühere Justizministerin Brigitte Zypries nach.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.01.2017)

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