Ein Quartett älterer Männer gestand im Rabenhof-Theater, wie es zu Old Shatterhand und Winnetou steht.
Wenn diese Melodien ertönen, stellt sich bei Menschen, die seit den Sechzigerjahren als Kinder sozialisiert wurden, vertrautes Fernweh ein: Musik aus den damaligen Verfilmungen der Abenteuerromane von Karl May, die vor allem Martin Böttcher komponiert hat. Also wählten Thomas Glavinic, Thomas Maurer, Armin Wolf und Guido Tartarotti eine solche zum Auftakt ihrer multimedialen (Talk)-Show „Blutsbrüder“, die am Donnerstag im Rabenhof uraufgeführt wurde.
Der Autor, der Kabarettist, der ORF- und der Kulturjournalist des „Kurier“ stellen sich an die Rampe und machen (mit Ausnahme von Glavinic) zur Musik den Winnetou-Gruß, bei dem der Häuptling der Apachen, vom Herzen ausgehend, die Hand ausstreckt und mit zwei Fingern in die Weiten der Prärie weist. Es folgt ein Jagdhieb wie von Old Shatterhand: Kaum ist die Melodie verklungen, kaum haben sich die vier an ihre Tischchen auf der Bühne gesetzt, distanzieren sie sich bereits von der Geste. Die komme in den Büchern niemals vor, und die Filme seien ohnehin unter jeder Kritik.
Letztes „Ave Maria“ für den Häuptling
In gut zwei Stunden zeigt das Quartett erstaunliches Fachwissen. Alle beichten die erste Begegnung mit dem Werk dieses erfolgreichsten deutschen Autors (Auflage: 400 Millionen) – in Innsbruck, Wien und Hinterbrühl. Sie prüfen sich und das Publikum, lesen mit Feuereifer Lieblingsstellen, analysieren Bleichgesichter, Rothäute und den Schut. Auch scheut man sich nicht, Enttäuschungen und andere Blößen einzugestehen. Wie skalpiert man richtig? (Langsam.) Soll man Blutsbrüderschaft schließen? (Nicht mit Glavinic.) War May latent schwul, und hat Hitler ihn geliebt? (Ja.) Persönliche Vorlieben der vier Bekenner lassen tief blicken. Pshaw! Tartarotti wie Maurer tendieren schwärmerisch gar zum verschwurbelten, späten May, Glavinic schätzt das Perverse, Wolf das Praktische in den Büchern. Bei heiklen Fragen werden zur Klärung Fachleute per Video eingespielt. Der Koch, der Trainer, der Linguist und der Sänger: Am Ende trägt Konstantin Wecker ein religiöses Lied von May vor. Ja, genau das, zu dem Winnetou stirbt! Wer kennt es nicht? Gut, auch darüber geredet zu haben.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.01.2017)