"Kanzler Kern hat das sicher gut überlegt"

Bundespräsident Alexander Van der Bellen
Bundespräsident Alexander Van der Bellen (c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Bundespräsident Alexander Van der Bellen über die Regierungskrise, die Beschneidung seiner Rechte, die Bedeutung der Nato, Probleme bei der Integration und sein Verhältnis zu Sebastian Kurz.

Herr Bundespräsident, Sie hatten nach der Angelobung ein Sechs-Augen-Gespräch mit dem Bundeskanzler und dem Vizekanzler, in Ihrer Rede davor haben Sie gemahnt, nicht nur über Pläne zu reden, sondern auch Taten folgen zu lassen. Wie sehen Sie denn nun die aktuelle Regierungskrise?

Alexander Van der Bellen: Ich habe den Eindruck, dass die beiden Regierungsfraktionen ernsthaft bemüht sind, zu verschiedenen Punkten einen Konsens zu erzielen.

Das war jetzt sehr diplomatisch. Was haben Sie denn den beiden Herren hinter der Tapetentür gesagt?

Der Sinn eines vertraulichen Gesprächs ist, dass man es nachher nicht öffentlich macht.

Aber es war zu hören, dass es schon auch sanften Druck von Ihrer Seite gab, dass es zu einer Einigung und nicht zu einer Neuwahl kommt.

Wenn ich die Umfragen richtig gedeutet habe, ist auch der Wunsch in der Bevölkerung nach Neuwahlen nicht sehr weit verbreitet. Ich habe schon in meiner Rede angedeutet, dass es eine Zeit für Pläne gibt – und dann auch eine für die handwerkliche Umsetzung.

War es aus staatspolitischer Sicht die richtige Entscheidung vom Bundeskanzler, den Staatsbesuch in Israel abzusagen?

Bundeskanzler Kern hat das sicher gut überlegt. So eine Absage kommt immer wieder vor. Und die Reise wird dann eben bei Gelegenheit nachgeholt werden. Es ist ja auch wirklich ein entscheidender Moment heute und morgen. Und ich glaube schon, dass seine Anwesenheit jetzt richtig und wichtig ist.

Aber steht es dafür, eine derartige Situation mit Ultimaten, Krisengesprächen und Ähnlichem aufzuladen?

Das – also welche Taktik eine Regierungsfraktion nun im Einzelnen einschlägt – werde ich jetzt nicht kommentieren. Wichtig ist, dass am Ende etwas herauskommen muss.

Wie werden Sie denn Ihre Rolle als Präsident nun anlegen? So wie Sie jetzt klingen werden Sie den Macht-braucht-Kontrolle-Anspruch eines Thomas Klestil eher nicht erheben. Werden Sie eher der Fadenzieher im Hintergrund wie Heinz Fischer oder der Mahner wie Rudolf Kirchschläger?

Sie werden es schon merken im Lauf der Zeit. Jeder hat so seine individuellen Fähigkeiten und Eigenheiten. Man kann sich von allen – also den drei Genannten – etwas mitnehmen.

Es gibt Pläne, Ihr Amt zu beschneiden. Sie haben das im Wahlkampf auch begrüßt. Was ließen Sie sich denn wegnehmen?

Ich habe es nicht begrüßt, die Rechte und Pflichten des Bundespräsidenten zu beschneiden. Ich habe gesagt, es wäre sinnvoll, sich zu überlegen, was dem 21. Jahrhundert noch angemessen ist. Das ist dann die Sache des Parlaments, das neu zu definieren – oder auch nicht.

Dass der Bundespräsident der Oberbefehlshaber des Heeres ist – ist das sinnvoll?

Diese Funktion ist im Wesentlichen ein ehrenvoller Titel, den ich gern annehme. Ich sehe mich wirklich auch als Unterstützer und Schirmherr des Bundesheeres. Die Rechte des Bundespräsidenten sind hier aber sehr beschränkt. Er kann dem Verteidigungsminister keine Befehle erteilen.

Was wären Sie gern los?

Na ja, da kann man im Einzelnen schon reden: Am Freitag habe ich etwa über hundert Ernennungen zur Titelvergabe – vom Ökonomierat bis zum Medizinalrat – unterschrieben. Wobei: Ich will das jetzt nicht kleinreden, denn für die Betroffenen ist es ein Ehrentitel. Und es macht vielleicht einen Unterschied, ob der Bundespräsident das unterschreibt oder jemand anderer.

Sie haben ebenfalls am Freitag in Bezug auf den Akademikerball gemeint: „Lasst sie doch!“ Also tanzen. Kehrt jetzt der alte Van der Bellen aus seiner Autobiografie aus der Vorwahlzeit zurück, in der Sie sich etwa sehr konziliant über Burschenschafter geäußert haben? In dem Buch waren Sie auch noch für Freihandelsabkommen.

Es ist schon klar, ich bin jetzt in einer neuen Rolle. Als Bundespräsident werde ich meine Person so weit es geht zurücknehmen und diplomatisch handeln.

Sie könnten jetzt also wieder für TTIP und Ceta sein.

TTIP ist tot. Bei Ceta bleiben die Bedenken aufrecht, die vernünftige Menschen schon vorgetragen haben – etwa bei der Lebensmittelsicherheit oder der Schiedsgerichtsbarkeit.

Bei Letzterem ist man den Kritikern aber schon auch entgegengekommen.

Lassen wir das noch die Verfassungsrechtler klären.

Rainer Nowak, Alexander Van der Bellen, Oliver Pink
Rainer Nowak, Alexander Van der Bellen, Oliver Pink(c) Die Presse (Clemens Fabry)

Was sagen Sie zum neuen US-Präsidenten? Manche Zeitungen haben Sie ja schon als „Anti-Trump“ abgefeiert.

Ist das so? Jedenfalls stellt sich die Frage: Was bedeutet es, wenn er sagt, die Nato sei obsolet? Meint er das wörtlich? Oder meint er nun, dass die europäischen Mitglieder mehr beitragen sollen?

Das ist aber interessant, dass sich ausgerechnet ein Parteichef der Grünen – Entschuldigung, ein ehemaliger Parteichef der Grünen – in erster Linie um die Nato sorgt.

Brav! Ehemaliger.

So präzise müssen wir sein.

Das ist schon von eminenter Bedeutung für Europa. Wir haben uns an das transatlantische Verhältnis gewöhnt. Die USA hatten ja nach dem Zweiten Weltkrieg auch eine Art Schutzmachtfunktion.

Gibt es in Europa zu wenig gemeinsame Sicherheitspolitik?

Das ist ja offenkundig, dass die außenpolitische und militärische Zusammenarbeit eine schwierige ist und immer lang dauert.

Es gibt den Plan der ÖVP, die Obergrenze bei den Flüchtlingen zu senken. Würden Sie das für gut empfinden?

Ich würde zuerst einmal sagen: In welchem Gesetz steht die Obergrenze?

Noch in keinem.

Genau. Insofern ist das eine merkwürdige Diskussion. Das Parlament hat vergangenes Jahr auch die Möglichkeit einer Notverordnung beschlossen – für den Fall, dass die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet ist. Auch diese ist bis heute nicht in Kraft. Also ist auch die innere Sicherheit und Ordnung nicht gefährdet.

Alexander Van der Bellen in der Hofburg
Alexander Van der Bellen in der Hofburg(c) Die Presse (Clemens Fabry)

Sie haben in Ihrer Angelobungsrede gemeint, Sie seien kein „indigener“ Österreicher, aber hier angekommen. Nun gibt es viele Zuwanderer, die – Stichwort Parallelgesellschaft – hier noch nicht angekommen sind. Ein Problem, das mittlerweile auch die SPÖ erkannt hat. Wie sehen Sie das?

Das ist richtig. Die Integration ist eine zweiseitige Angelegenheit. Sie umfasst Rechte und Pflichten auf beiden Seiten. Ich behaupte, in meinem Fall ist das gut gegangen, weil sich beide Seiten richtig verhalten haben. Bei anderen ist das nicht der Fall. Da müssen wir schon genau hinsehen.

Und was tun wir da?

Spontan würde ich den Fokus auf die Kinder legen. Mit den Erwachsenen werden wir in der Integration noch Probleme genug haben – auf dem Arbeitsmarkt etwa, das wird uns über Jahre begleiten. Aber die Kinder lernen schnell, sie sind sehr schnell zweisprachig. Ich habe einen Fall im Kopf, wo die zehnjährige Tochter einer afghanischen Familie schon zwei Klassen in der Volksschule übersprungen hat.

Sie haben einmal gemeint, Sie werden Ihre Ironie im Amt des Bundespräsidenten eindämmen müssen. Das klang in Ihrer Rede bei der Angelobung dann nicht so.

Es freut mich sehr, dass die Rede so gut angekommen ist. Da zahlt sich mehr als 20 Jahre Parlamentserfahrung aus. Wenn die selbstironischen Züge also gut angekommen sind, dann finde ich das schön. Es geht ja auch oft schief.

Ihre Frau hat eine Führungsposition bei den Grünen inne, Sie sind unabhängiger Bundespräsident. Manche, auch bei den Grünen, sehen das als Problem.

Sie hat eine Managementposition vor allem im Personalbereich und der Kluborganisation (Doris Schmidauer ist Geschäftsführerin des grünen Parlamentsklubs, Anm.). Da sehe ich keine Unvereinbarkeit.

Wie ist Ihr Verhältnis zu Sebastian Kurz?

Gut.

Für viele Grüne ist Kurz ja ein schwarzer Gottseibeiuns.

Der Bundespräsident hat ja mit dem Außenminister zu tun. Und zwar sehr viel. Und das funktioniert aus meiner Sicht bisher sehr gut. Und wir werden uns auch künftig immer aufs Engste absprechen.

Wurde Norbert Hofer eigentlich Unrecht getan? Er wurde im Wahlkampf schon sehr ins rechte Eck gestellt.

Der Wahlkampf ist vorbei. Als Bundespräsident werde ich mit dem Nationalratspräsidium das Gespräch suchen.

Das Interview fand gemeinsam mit der „Kleinen Zeitung“ statt.

Alexander Van der Bellen

Geboren am 18. Jänner 1944 in Wien. Dekan und Uni-Professor für Wirtschaftswissenschaften. Von 1997 bis 2008 Bundessprecher der Grünen und Klubchef im Parlament. Danach einfacher Nationalratsabgeordneter. Von 2012 bis 2015 Mitglied des Wiener Gemeinderates. Seit 26. Jänner 2017 Bundespräsident, nachdem er die Stichwahl am 4. Dezember mit 53,8 Prozent gewonnen hatte.

(Print-Ausgabe, 29.01.2017)

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