Tempojagd im Idyll aus Eis und Beton

Thomas Steu/Lorenz Koller (im Bild) holten am Samstag den U23-Titel. Peter Penz/Georg Fischler schrammten beim deutschen Dreifacherfolg an Bronze vorbei.
Thomas Steu/Lorenz Koller (im Bild) holten am Samstag den U23-Titel. Peter Penz/Georg Fischler schrammten beim deutschen Dreifacherfolg an Bronze vorbei.GEPA pictures
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In Innsbruck-Igls läuft derzeit die Rodel-WM. Die heimischen Athleten stellen sich dem Kampf um Anerkennung mit Erfolgen und Geduld. Die Idee von Olympia 2026 in Österreich findet im Verband Anklang.

Ein echtes winterliches Idyll erwartet Besucher in Innsbruck. Vorbei an der Bergisel-Sprungschanze schlängelt sich die Straße zur Bob- und Rodelbahn in Igls hinauf, ringsum erstrahlen die schneebedeckten Berge im Sonnenlicht. Schon lange wird am Fuße des Patscherkofels gerodelt, seit über vier Jahrzehnten thront hier der künstliche Eiskanal, erbaut anlässlich der zweiten Olympischen Spiele 1976. Eine imposante Konstruktion aus Beton: über einen Kilometer lang und in Kurven bis zu sieben Meter hoch. 80 Kilometer Kühlrohre, durch die Ammoniak gepumpt wird, garantieren für die 5500 m? große Eisfläche, die Präparierung erfolgt mit Hobeln und Besen größtenteils in Handarbeit. Das Ergebnis erscheint Außenstehenden als eine spiegelglatte Oberfläche, die Athleten lesen darin freilich einen weichen oder harten, spröden oder schmierigen, trockenen oder saftigen Untergrund.

Zum fünften Mal gastiert die Rodel-WM heuer auf der traditionsreichen Bahn. Der Aufstieg zum Start wärmt kalte Füße, in Kreisel und Zielraum dominieren rot-weiß-rote, deutsche und italienische Fahnen, auch Korea ist vereinzelt vertreten – die Vorzeichen von Olympia 2018 in Pyeongchang. Mit Geschwindigkeiten über 100 km/h jagen die Rodler knatternd vorbei, Tröten, Glocken und Ratschen lärmen, der eigene Respekt wächst angesichts von Tempo und Schräglage.


Medaillen als Werbung. Für den gelungenen Auftakt der Heim-WM haben Wolfgang Kindl mit Gold und Peter Penz/Georg Fischler mit Silber in den Sprintbewerben gesorgt. Am Samstag wurde eine weitere Medaille hauchdünn verpasst, nichtsdestotrotz sind es schon vor dem Schlusstag die erfolgreichsten Titelkämpfe seit 1996 (zweimal Gold). Zudem kann Neo-Weltmeister Kindl heute im Einzel (10.15 Uhr, live in ORF Sport +) bzw. gemeinsam mit Penz/Fischler und Birgit Platzer im Teambewerb nachlegen.

Trotz aller Erfolge fristet Rodeln in Österreich ein Randsportdasein, „bei uns muss schon eine Olympiamedaille her, um registriert zu werden“, weiß Rekordmann Markus Prock. Als Sportdirektor des heimischen Verbandes und tragende Figur der WM-Organisation ist er dieser Tage ständig und überall im Einsatz. Seiner Aufforderung kommen die Athleten mit Regelmäßigkeit nach, seit den Winterspielen 1992 wurde stets zumindest eine Medaille gewonnen. „Wir haben viel aufgebaut in den letzten Jahren, darauf sind wir stolz“, erzählt Prock und verweist auf eine Verfünffachung des Budgets, die Eröffnung eines Kompetenzzentrum zur Materialforschung in Innsbruck sowie den für März geplanten Spatenstich einer neuen Trainingsbahn in Vorarlberg.

Noch kann die aktuelle Generation nicht ganz an die Glanzzeiten, als Prock der Gejagte war, oder Andreas und Wolfgang Linger zweimal in Folge zum Olympiasieg (2006, 2010) fuhren, anschließen, das Tempo gibt seit Jahren Deutschland vor. Nach einer Erklärung braucht Prock nicht lange zu suchen. „In Deutschland hat Sport generell einen ganz anderen Stellenwert, vor allem die olympischen Disziplinen“, sagt der 52-Jährige im Hinblick auf die finanzielle Unterstützung. „Dort heißt es: ,Was braucht ihr?‘ und mit Maß und Ziel wird das erfüllt.“ Hierzulande bedürfe es hingegen viel Geduld, Kampf und Eigeninitiative, die Förderungen würden zu wenig zielgerichtet erfolgen. „Mit semiprofessionellem Umfeld gewinnt man keine Medaillen“, betont Prock, dem die von Sportminister Hans Peter Doskozil initiierte Umstrukturierung „Hoffnung macht“.


Olympia in Innsbruck? Natürlich! Die Idee von dritten Olympischen Winterspielen in Österreich nach 1964 und 1976 unterstützt die Rodel-Legende „zu 100 Prozent“. Innsbruck und Umgebung evaluieren derzeit eine Bewerbung für 2026, eine Machbarkeitsstudie ist in Auftrag gegeben. Mit der bestehenden Kunsteisbahn in Igls würde ein gewichtiger Kostenfaktor wegfallen. „Wo, wenn nicht bei uns?“, meint der Ex-Sportler aus Mieders. „Sehr viel Infrastruktur ist vorhanden, außerdem haben wir top ausgebildete Funktionäre.“ Er ist von einem Umdenken im IOC – weg vom Gigantismus in Sotschi oder Peking – überzeugt und glaubt die Bevölkerung mit einer transparenten Kostenaufstellung überzeugen zu können. „Wenn ich nur wirklich Nötiges hineinrechne, dann ist Olympia kein Minus“, erklärt Prock. Für ihn wäre es vielmehr ein logisches Gewinngeschäft. „Tirol lebt vom Tourismus und Olympia ist, wie jeder weiß, eine Wahnsinnswerbung.“

Der Eiskanal in Zahlen

1975 Eröffnung
Als erste kombinierte Bob- und Rodelbahn war sie Schauplatz der zweiten Olympischen Spiele in Innsbruck 1976 und wurde mehrmals adaptiert.

14 Kurven samt Kreisel
gilt es im Einsitzer zu bewältigen, für Frauen und Doppelsitzer sind es je zehn. Tückisch sind die Kurven neun bzw. elf bis 13, auch „Labyrinth“ genannt.

1242 Meter
ist die Bahn lang. Die Kunsteisfläche beträgt rund 5500 m2.

Steckbrief

Markus Prock, 52, feierte als Aktiver 33 Weltcupsiege, kürte sich zweimal zum Einzelweltmeister (1987, 1996) und gewann drei Olympiamedaillen (zweimal Silber, einmal Bronze). 2002 trat der Tiroler zurück. Heute fungiert er als Sportdirektor im Rodelverband und betreibt eine Sportagentur.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.01.2017)

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