„Wir müssen uns Sorgen machen“

„Er ist hoffentlich Geschäftsmann genug, um einzusehen, dass er sich mit Zöllen ins eigene Fleisch schneiden würde“, so Krämer über US-Präsident Trump.
„Er ist hoffentlich Geschäftsmann genug, um einzusehen, dass er sich mit Zöllen ins eigene Fleisch schneiden würde“, so Krämer über US-Präsident Trump.(c) Die Presse (Clemens Fabry)
  • Drucken

Der Protektionismus von US-Präsident Trump sei ein Damoklesschwert für die Weltwirtschaft, sagt Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. Europa sollte in Verhandlungen mit Washington daher die „Folterwerkzeuge auf den Tisch legen“.

Der neue US-Präsident, Donald Trump, stellte seine Antrittsrede unter das Motto „America First“. Auch Protektionismus hob er in diesem Zusammenhang positiv hervor. Müssen sich exportorientierte Volkswirtschaften wie Deutschland und Österreich jetzt Sorgen machen?

Jörg Krämer: Ja, wir müssen uns schon Sorgen machen. Denn der Welthandel wächst seit der Finanzkrise nur noch sehr wenig. Der Raum, den frühere Freihandelsabkommen geschaffen haben, ist schon längst ausgefüllt. Eigentlich brauchten wir jetzt neue Freihandelsabkommen, um dem Welthandel die dringend notwendigen Impulse zu geben. Die wird es aber nicht geben – übrigens nicht nur wegen Trump, sondern auch wegen der vielen Freihandelsgegner hier in Europa. Hinzu kommt das Risiko, dass Trump einen Handelskrieg anfängt, die Globalisierung also zurückdreht.

Das österreichische Wifo hat errechnet, dass ein neuer Protektionismus hierzulande 80.000 Jobs gefährden könnte.

Das kann man meiner Meinung nach nicht quantifizieren. Die Europäer sollten aber auf jeden Fall selbstbewusst auftreten und die Folterwerkzeuge auf den Tisch legen. Wenn die USA mit Strafzöllen anfangen, wäre die EU gezwungen, zurückzuschlagen. Das soll Trump auch wissen. Er ist hoffentlich Geschäftsmann genug, um einzusehen, dass er sich mit Zöllen ins eigene Fleisch schneiden würde.

Verstärkt werden die Sorgen durch die wirtschaftliche Stärke der USA. Sie können es sich erlauben, auch nur in ausgewählten Bereichen protektionistisch zu sein, dort, wo es den USA nützt, heißt es. Ist das möglich?

Die USA sind nach wie vor die größte Volkswirtschaft der Welt, das ist richtig. Viele US-Firmen produzieren allerdings im Ausland und erwerben Vorprodukte von dort. Wenn die US-Regierung nun auf breiter Basis Zölle einführt, dann würde sie damit auch die großen, global aufgestellten US-Konzerne treffen. Dadurch würden sie sich selbst schaden. Ich gehe davon aus, dass Trump hoch pokert, schlussendlich aber nicht alles so hart umsetzt wie angekündigt.

Auch in Europa wünschen sich viele Menschen einen Protektionismus light. Bei diesem solle die Globalisierung nicht komplett zurückgedreht, aber in einzelnen Bereichen gestoppt werden. Ist das möglich?

Das ist kaum möglich. In der Summe gewinnen alle durch die Globalisierung. Sie hat etwa in China Hunderte Millionen Menschen aus der Armut geholt und auch im Westen, etwa in Deutschland mehr Wohlstand geschaffen. Es stimmt aber auch, dass der Mehrheit an Gewinnern eine Minderheit an Verlierern gegenübersteht. Die Antwort darauf ist jedoch nicht, die internationale Arbeitsteilung zu beschränken, sondern einen Teil des größer gewordenen Kuchens der Gruppe der Verlierer zu geben. In den USA sollten sie etwa dabei unterstützt werden, neue Qualifikationen zu erhalten, um in anderen Bereichen der nahezu vollbeschäftigten US-Wirtschaft einen Job zu erhalten.

Aber ist es realistisch, dass aus einem 45-jährigen Fabrikarbeiter künftig ein App-Designer wird?

Das ist natürlich nicht realistisch. Aber die amerikanische Volkswirtschaft schafft jeden Monat fast 200.000 neue Jobs. Die Regierung hat bisher den Fehler gemacht, die Arbeitslosen beim Finden neuer Jobs weitgehend allein zu lassen. Es wurden auch keine Investitionen in die betroffenen Regionen des sogenannten Rust-Belt umgeleitet, sondern man hat sie sich selbst überlassen. Die Mehrheit der Globalisierungs-Gewinner muss sich um die Minderheit der Verlierer einfach mehr kümmern.

Passiert es hierzulande genügend, dass auf die Verlierer geachtet wird?

Wir haben in Europa ein Steuern- und Abgabensystem, das massiv umverteilt. Das fängt schon sehr viel auf. Wir haben zudem eine aktive Arbeitsmarktpolitik. Da wird viel mehr gemacht als in den USA. Trotzdem gibt es eine zunehmende Gegnerschaft gegenüber dem Freihandel. Das hat aber nicht nur wirtschaftliche, sondern auch politische Gründe. So hat die Finanzkrise von 2008 das Vertrauen vieler Menschen in die Marktwirtschaft erschüttert – und damit auch das Vertrauen in den Freihandel. Das zieht sich bis weit in bürgerliche Kreise.

Wie stellt man das Vertrauen wieder her?

Die Banken müssen ordentlich reguliert werden, und es braucht eine Geldpolitik, die die Märkte nicht weiter mit billigem Geld flutet, sondern alles tut, um neue Blasen an den Finanz- und Immobilienmärkten zu verhindern.

Einen Schlag gegen die offene Wirtschaft setzte es im Vorjahr ja auch in Europa mit dem Brexit. Erst jüngst erklärte Premierministerin Theresa May, dass Großbritannien den Binnenmarkt komplett verlassen werde. Was wird das bedeuten?

Zuerst einmal: Die Volksabstimmung der Briten, die EU zu verlassen, ist meiner Meinung nach kein Votum gegen den Freihandel. Stattdessen ist es ein Votum gegen die Personenfreizügigkeit innerhalb der EU, die die Briten nicht wollen. Die Brexit-Befürworter wollen vor allem die Hoheit über ihre Grenzen zurückerlangen. Dass sie nicht gegen den Freihandel sind, erkennt man auch daran, dass sie ja ein Freihandelsabkommen mit der EU haben wollen. Darauf sollte die EU eingehen, statt die Briten für ihren Entscheid abzustrafen. Schließlich ist es auch im Interesse der EU, Zölle zwischen ihr und Großbritannien zu vermeiden und zu einer gütlichen Einigung zu kommen. Die EU sollte sich auf ihre Stärken besinnen und an ihren Schwächen arbeiten – etwa an den löchrigen Außengrenzen oder an ihrem Hang zu übertriebener Bürokratie und Zentralisierung.

Die Ablehnung von Freihandel und die Ablehnung von offenen Grenzen und Migration werden in der politischen Diskussion jedoch oft vermischt, obwohl sie kausal nichts miteinander gemein haben.

Viele Politiker vermischen diese beiden Themen. Aber es handelt sich um zwei verschiedene Dinge. Dass Staaten ihre Außengrenzen schützen, ist völlig legitim und üblich. Aber das hat nichts damit zu tun, sich vom weltweiten Waren- und Dienstleistungsverkehr abzuschotten.

Im Vorfeld von Brexit und US-Wahl waren negative Folgen für die Wirtschaft befürchtet worden. Bisher ist aber weder in Großbritannien noch in den USA etwas davon zu spüren. Die Finanzmärkte legen indes sogar zu. Wird der Schock noch kommen?

Ich gehörte nicht zu denen, die am Morgen nach der Brexit-Entscheidung in politisch korrekte Schnappatmung verfallen sind. Das war ein ur-demokratisches Votum. Und das Land hat weiterhin einen Anreiz daran, ohne Zölle auszukommen. Die Märkte haben das Brexit-Votum deswegen nach einer kurzen Schockphase schnell verdaut. Schließlich wollen die Briten nach dem Verlassen des Binnenmarktes ein Freihandelsabkommen mit der EU aushandeln. Und es dürfte ein Übergangsarrangement geben, bis das Freihandelsabkommen steht. Dass die Märkte auch Trump so leicht weggesteckt haben, empfinde ich als nicht ganz so berechtigt. Ich will seine Wirtschaftspolitik nicht per se verteufeln. Sie hat auch positive Elemente, wie den Abbau von Steuern oder Regulierungen. Aber über allem hängt das Damoklesschwert des Protektionismus. Die Märkte unterschätzen noch immer die Risken, die von Trumps Protektionismus ausgehen.

Definitiv getroffen wird vom Brexit das Finanzzentrum London. Viele Städte buhlen nun um die dortigen Banken. Wer wird das Rennen gewinnen?

Das ist alles noch sehr unsicher. Es ist auch möglich, dass ein neues Freihandelsabkommen zwischen der EU und Großbritannien Bankdienstleistungen umfasst, schließlich braucht die EU den Zugang zu angelsächsischen Investoren. Dass man jetzt also meint, der halbe Londoner Finanzdistrikt würde nach Frankfurt oder Paris ziehen, ist sicherlich Wunschdenken. Man sollte sich dort nicht voreilig die Hände reiben.

Zum Abschluss noch ein Themenwechsel: Sie waren 2008 einer der wenigen Ökonomen, der sich gegen staatliche Konjunkturpakete aussprach. Wie beurteilen Sie die aktuelle Politik der EZB mit Niedrigzinsen und Anleihenkäufen in Milliardenhöhe?

Die EZB hat 2008 auf dem Höhepunkt der Krise einen sehr guten Job gemacht. Sie hat die Märkte mit Liquidität geflutet und wesentlich dazu beigetragen, dass der Unsicherheitsschock der Lehman-Pleite nach einem halben Jahr abgeklungen war. Aber in der folgenden Staatsschuldenkrise hat sich die EZB als wirtschaftspolitischer Ausputzer der hochverschuldeten Staaten einspannen lassen. 2010 gab der damalige EZB-Präsident Jean-Claude Trichet dem Drängen von Merkel und Sarkozy nach, Staatsanleihen zu kaufen. Seitdem hängt die EZB am Haken der Politik und nimmt so den Reformdruck von den Regierungen. Deswegen fehlen in Italien durchgreifende Reformen. In Portugal wurden sie sogar teilweise zurückgenommen. Außerdem verteilt die EZB mit ihrer Negativzinspolitik Einkommen von den Staaten im Norden zu jenen im Süden um. Das sorgt bei vielen Wählern für Verdruss über die Währungsunion, wie man am Aufschwung der AfD in Deutschland oder der FPÖ in Österreich sieht. Zudem schürt die lockere Geldpolitik das Risiko neuer Blasen an Finanz- oder Häusermärkten. Aber beim erneuten Platzen einer Blase könnte unsere Demokratie schweren Schaden nehmen.

Ist es überhaupt noch möglich, ohne harte Landung herauszukommen?

Es ist nicht zu spät. Aber es wird natürlich immer schwieriger, je länger man zuwartet. Letztendlich brauchten wir eine neue geldpolitische Strategie, die sich von kurzfristigen Inflationsprognosen löst. Nach dem Platzen einer Krise ist die Inflation immer gering. Wenn die EZB gegen die unvermeidlich niedrige Inflation kämpft, fachen ihre Milliarden nur die Preise an den Immobilien- oder Aktienmärkten an. Es ist überfällig, dass die EZB den Ausstieg aus der lockeren Geldpolitik vorbereitet.

Steckbrief

Jörg Krämer ist seit 2006 Chefvolkswirt der zweitgrößten deutschen Bank – der Commerzbank. In dieser Funktion gilt er als einer der renommiertesten Ökonomen des Landes abseits der Wirtschaftsforschungsinstitute.

Seine Karriere begann der 1966 Geborene nach dem Studium der Volkswirtschaft 1992 am Institut für Weltwirtschaft in Kiel. 1996 wechselte er zur Investmentbank Merrill Lynch, später zum Investmentunternehmen Invesco. 2005 wurde er Chefvolkswirt der bayrischen Hypovereinsbank, bevor er im Jahr darauf zur Commerzbank wechselte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.01.2017)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

EZB-Chef Mario Draghi
Österreich

EZB will Nullzinsen noch lange beibehalten

Die Europäische Zentralbank hat erwartungsgemäß ihre Leitzinsen nicht verändert. Der Schlüsselsatz zur Geld-Versorgung der Geschäftsbanken bleibt bei 0,0 Prozent

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.