Die Kirche wird schon 2059 reformiert

Das Einsperren der Kardinäle hatte ursprünglich einen kuriosen Grund: Auftakt zur Papstwahl 2013.
Das Einsperren der Kardinäle hatte ursprünglich einen kuriosen Grund: Auftakt zur Papstwahl 2013.(c) REUTERS (Osservatore Romano / Reuters)
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Keiner verwertet Funde in den vatikanischen Archiven so spannend wie Hubert Wolf, in Büchern wie "Index" oder "Papst und Teufel". Sein Buch "Konklave" führt - höchst gegenwartskritisch - hinter die Kulissen der Papstwahl.

Bald vier Jahre ist es her, dass ein Papst der staunenden Weltöffentlichkeit seinen Rücktritt verkündete. Das wurde 2013 als unerhörtes Vorgehen aufgenommen. Wird es etwa zur Regel? Er habe das Gefühl, sein Pontifikat werde kurz währen, „vier oder fünf Jahre“, sagte Franziskus 2015. Und er hat klargemacht, dass der Rücktritt auch für ihn sehr denkbar ist. Das bedeutet, dass auch das nächste Konklave bald folgen könnte: jenes alte Ritual hinter verschlossenen Türen mit seinen immer gleichen, für die Ausgesperrten geheimnisvollen Abläufen.

Immer gleich? Man braucht nur in die ersten Seiten von Hubert Wolfs neuem Buch einzutauchen, um zu sehen, was in diesem angeblichen „immer gleich“ Platz hatte und hat. Das beginnt schon damit, dass das feierlich zelebrierte Einsperren der Kardinäle, das heute auch spirituellen Zwecken dienen soll, ursprünglich aus einem profanen Grund erfolgte: als Reaktion unter anderem auf eine unglückliche finanzielle Regel des 13. Jahrhunderts. Damals erhielten die Kardinäle die Einkünfte des Heiligen Stuhls, solange dieser frei war – was sie, wie vieles andere, nicht zur Eile verführte. Als sie sich im damaligen Wahlort Viterbo jahrelang Zeit ließen, verloren die Stadtväter die Geduld. Sie sperrten die Kardinäle ein, kappten Essen, Wasser, deckten das Dach des Versammlungsraums ab. Da war der Papst schnell gewählt.

Benedikts weiße Soutane „katastrophal“

Im neuen Buch des heute 57-jährigen, in Münster lehrenden Kirchenhistorikers und stilistisch gewandten Bestsellerautors Hubert Wolf wimmelt es von derlei anschaulichen kirchenhistorischen Details. Aber auch von pointierter Kritik an kirchlichen Gegenwartsphänomen, stets mit historischen Argumenten unterfüttert. Wolf schildert etwa die Anfänge der Papstwahl, in denen nicht Bischöfe oder Kardinäle, sondern das Volk das Kirchenhaupt wählte. Er plädiert dafür, an diese verschüttete Tradition anzuknüpfen. Man könnte etwa für die Papstwahl neben dem Kardinalskollegium noch ein zweites Gremium aus Laien einrichten, das die Weltkirche repräsentiere.

Auch eine scharfe Attacke gegen Benedikt XVI. findet sich im Buch – weil er trotz seines Rücktritts weiterhin auf seinem Papstnamen und auf der Anrede „Eure Heiligkeit“ bestehe, nach wie vor die dem Papst vorbehaltene weiße Soutane trage: „Gab es im gesamten Vatikan tatsächlich keine einzige schwarze Soutane, die dem zurückgetretenen Papst gepasst hätte?“, fragt Wolf. Dies sei eine „katastrophale symbolische Kommunikation“. Anders als das durch ein Sakrament übertragene Amt des Bischofs sei das Papstamt „ein Bündel an Rechten und Pflichten“, das mit dem Rücktritt abgelegt werde. Auch der an die Professorenwürde erinnernde Titel „emeritierter Papst“ („papa emerita“) sei nicht stimmig; bei der Niederlegung des Papstamtes könne es nicht darum gehen, „die lästigen Pflichten loszuwerden ..., die Rechte jedoch zu behalten.“ Benedikts Verhalten stellt Wolf der Kirchengeschichte gegenüber. Als zur Zeit des Großen Abendländischen Schismas im 15. Jahrhundert, als es drei Päpste gab, einer der drei, nämlich Gregor XII., freiwillig zurücktrat, legte er wieder sein Kardinalspurpur an, wurde wieder „Eure Eminenz“ und Kardinal genannt. Dasselbe geschah auch beim Rücktritt des bisher letzten Gegenpapstes, Felix V.

Mit Tradition gegen die Traditionalisten

Gegen Ende wirft Wolf einen ironisch-optimistischen Blick auf das Jahr 2059 und einen Papst Hadrian VII., der – wie im 16. Jahrhundert Hadrian VI. – endlich die nötigen radikalen Reformen, zuallererst der Kurie wagt. Die Tradition sei kein Monolith, sondern ein mit Verschiedenstem „reich gedeckter Tisch“, sagte Wolf 2015 in einem „Presse“-Interview. Vieles auf diesem Tisch hat Wolf in den vatikanischen Archiven gefunden, sie waren immer wieder sein zweites Zuhause, und das nicht erst seit ihrer Öffnung 1999. Schon sieben Jahre davor, als 34-jähriger Professor für Kirchengeschichte in Frankfurt, durchsuchte Wolf die Archivbestände zu seinem damaligen Hauptforschungsgebiet: die Bücherzensur durch die Inquisition. Er machte sich mit der Auswertung dieser Akten einen Ruf als Kirchenhistoriker, zunächst in Fachkreisen, seit dem Buch „Index. „Der Vatikan und die verbotenen Bücher“ (2006) auch bei einer breiteren Öffentlichkeit. Es folgten etwa „Papst und Teufel“ über den Vatikan und das Dritte Reich und „Krypta“ über unterdrückte Traditionen der Kirchengeschichte.

Bücher, die in dunklen Kapiteln der Kirchengeschichte wühlen, gibt es wie Sand am Meer – und je dämonischer sie die katholische Kirche porträtieren, desto eher haben sie Erfolg. Auch Hubert Wolf hat ein Gespür für öffentlichkeitswirksame Themen; doch er schreibt als besonnener Insider, der nie das Kind mit dem Bad ausschüttet. Weil er mit den Verästelungen der Kirchengeschichte vertraut ist wie nur wenige, deckt er – im wahrsten Sinn des Wortes – kirchenhistorische Traditionen auf, an denen sich die Kirche bedienen kann: gerade wenn es um Reformen geht. So hilft er, die Tradition aus der Geiselhaft der Traditionalisten zu befreien. Sie tun sich schwer mit ihm – denn er kennt die Tradition vermutlich besser als sie.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.01.2017)

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