Das neue Regierungsprogramm ist zwar zweifellos ein Fortschritt, spart aber die großen Reformbaustellen aus, die dieses Land so schrecklich lähmen.
Beginnen wir mit dem Positiven: Mit dem nun vorgelegten Arbeitsprogramm 2017/18 beginnt sich die Regierung sehr, sehr spät, aber doch ein wenig zu bewegen. Noch dazu in die richtige Richtung. Und sie meint es offenbar auch noch ernst: Immerhin sind viele der nun getroffenen Koalitionsvereinbarungen mit konkreten Zeitangaben versehen, man kann nachträglich also leicht feststellen, ob sie umgesetzt wurden. Sieht nach verbessertem Projektmanagement aus.
Im bisher geltenden, noch von Faymann und Spindelegger ausgehandelten Koalitionsabkommen, aus dem zumindest im Wirtschaftsbereich nicht wenige Punkte in die neue Vereinbarung übernommen wurden, war das ja nicht der Fall. Das war eher eine unverbindliche Überschriftensammlung. Wenn auch eine viel umfangreichere als der jetzige Kern/Mitterlehner-Pakt. Man könnte jetzt natürlich darüber philosophieren, wieso das Faymann/Spindelegger-Abkommen aus dem Jahr 2013 bis gestern gegolten hat, obwohl die damals handelnden Personen längst nicht mehr an Bord sind. Und wieso auf dem Ballhausplatz zuletzt eine derartige Wochenendgeschäftigkeit ausgebrochen ist, nachdem die vorangegangenen ersten acht Kern-Monate eher ruhig und ohne übertriebene Reformhektik über die Bühne gegangen sind.
Aber sehen wir auch das positiv: Gehen wir davon aus, dass die Regierung Kern/Mitterlehner den Ernst der Lage erkannt hat und bis zum nächsten Wahltermin einen Reformprobegalopp versucht. Um herauszufinden, ob sie sich dann gemeinsam auch an die großen Brocken wagen kann, um dem lähmenden Stillstand im Land wirklich den Garaus zu machen. Denn davon ist leider auch in diesem Regierungsprogramm keine Rede. Alle für das Land wichtigen Vorhaben, bei denen man den großen Reformbremsklötzen Länder und Sozialpartner in die Quere kommen könnte, sind säuberlich ausgespart. Dort, wo es sich nicht vermeiden ließ, wurde an die Sozialpartner delegiert.
Etwa beim gesetzlichen Mindestlohn. Ganz abgesehen davon, ob ein solcher in der gegebenen Situation sinnvoll ist oder nicht: Niemand hat die Sozialpartner, die ja Tarifhoheit haben, bisher daran gehindert, Kollektivverträge mit einer 1500-Euro-Lohnuntergrenze abzuschließen. Das haben sie nicht getan. Sie werden dafür ihre Gründe gehabt haben. Wenn die Regierung also einen gesetzlichen Mindestlohn will, dann muss sie ihn einfach beschließen. Dass sie das nicht tut, sagt einiges über die wahren Stärkeverhältnisse in dieser Republik aus. Das große Problem dieses Landes ist ja nicht, dass es keine Bewegung im Kleinen gibt. Auch die vorherigen Regierungen haben die eine oder andere sinnvolle Maßnahme auf den Weg gebracht.
Das Problem ist, dass die Republik von sklerotischen Strukturen gelähmt ist, in denen sich alle größeren Reformversuche sehr bald festlaufen. Gerade diese Strukturen bleiben vom Regierungspakt aber weitgehend unberührt. Ja, man hat sogar den Eindruck, dass versucht wurde, jedes Anecken an diesen Strukturen verzweifelt zu vermeiden. Und so finden sich in dem Papier auch keine wirklichen Ansätze einer umfassenden Föderalismusreform mit Kompetenzbereinigung und Zurückdrängen der unangemessenen Ländermacht. Es finden sich keine umfassenden Ansätze für eine echte Verwaltungsreform, keine Spuren einer Steuerstrukturreform, nur sehr nebulose Ansätze für eine Reform des ausufernden intransparenten Fördersystems. Selbst die Pensionsreform, deren Notwendigkeit niemand bestreitet, wird nur als vages Randsätzchen erwähnt.
Alles, was diese Republik zum Stillstand bringt, ist also ausgespart. Selbst wenn dieses Programm eins zu eins umgesetzt wird, bringt es zwar anerkennenswerterweise punktuelle Erleichterungen, beseitigt aber die großen Probleme dieses Landes nicht. Wenn wir jetzt also des Kaisers neue Reformkleider, die man uns gestern präsentiert hat, genauer ansehen, müssen wir feststellen: Eigentlich ist der Kaiser noch immer ziemlich nackt.
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