Von Macron bis Le Pen: Welcher Kandidat die Stichwahl der französischen Präsidentschaftswahlen im Mai gewinnt, entscheidet über das Schicksal der Union.
20.04.2017 um 21:24
Frankreich ist seit der Gründung der Europäischen Union gemeinsam mit Deutschland Motor der Integration. In zahlreichen Politikfeldern – von der Agrar- über die Währungs- bis zur Außenpolitik – waren die beiden Länder stets tonangebend. Die französische Präsidentenwahl, so betonte zuletzt der Direktor des Brüsseler Thinktank Bruegel, Guntram Wolff, im Gespräch mit der „Presse“, sei für die EU schicksalsentscheidend: Sollte die Stichwahl am 7. Mai zugunsten der Nationalisten ausgehen, könnte dies im schlimmsten Fall sogar zur Auflösung der Union führen. Theoretische Chancen auf den Sieg haben vier Kandidaten. Für die „Presse“ ein Anlass, die Europapolitik dieser Politiker zu bewerten.
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Er ist der am stärksten europäisch orientierte Kandidat in diesem Wahlkampf: Emmanuel Macron, der keiner Partei angehört, glaubt, die aktuellen Probleme nur gemeinsam in der EU lösen zu können. Das betrifft die Flüchtlingswelle ebenso wie die Sicherheitspolitik. Er lobte die deutsche Flüchtlingspolitik und tritt für eine gemeinsame Asylpolitik ein. Die deutsch-französische Zusammenarbeit möchte er wieder verbessern. „Wir brauchen einander, und Europa braucht uns zusammen.“ Die EU will Macron reformieren, dabei will er auch vor einem neuen Unionsvertrag nicht zurückschrecken. Für einen starken Euro müsse auch Paris seine Haushaltsführung verbessern.
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Der konservative Kandidat François Fillon hat ebenso wie seine Partei eine zurückhaltende Einstellung zum gemeinsamen Europa. Die EU soll funktionieren, aber nicht dominieren. Fillon tritt für mehr Selbstbewusstsein gegenüber den USA ein und fordert eine tief gehende Reform. Für Fillon steckt die EU „in einer Sackgasse“. Der drohenden Desintegration will er mit Investitionen in (digitale) Unternehmen und einer gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik begegnen, die er auch „angesichts des islamistischen Totalitarismus“ für unverzichtbar hält. Fillon befürwortet ein Europa der Nationen und ist gegen starke Institutionen in Brüssel.
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Die Vorsitzende des Front National, Marine Le Pen, lehnt die EU ab. Ihr erklärtes Ziel ist deren Ende und die Rückkehr zu einem Europa der Nationalstaaten. Im Fall ihrer Wahl will sie nach britischem Modell in Frankreich eine Volksabstimmung zum Austritt aus der Gemeinschaft abhalten. Der Front National stellt sich zudem gegen den Euro. Auch darüber soll ein Referendum abgehalten werden. Mit dem neu gewählten US-Präsidenten, Donald Trump, hat Le Pen einen massiven Hang zu Protektionismus gemein. Sie will nicht nur den Zugang von ausländischen Arbeitnehmern, sondern auch von ausländischen Waren beschränken. Hauptbetroffen wären EU-Länder.
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Der Kandidat der Linken, Jean-Luc Mélenchon, ist fast so EU-skeptisch wie die rechtsnationale Le Pen, ohne aber ausdrücklich einen Austritt aus der Gemeinschaft oder dem Euro zu fordern. Seit Längerem spricht Mélenchon von einem „Plan B“ und einer Neufassung des Unionsvertrags. Er fordert den Abbruch der Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit den USA sowie außerdem einen europäischen Plan für den Klima- und Energiewandel. Das Verhältnis zu Russland möchte er verbessern und die Austeritätspolitik europaweit beenden. Mélenchon kritisiert Deutschland wegen seines Leistungsbilanzüberschusses und fordert mehr solidarischen Ausgleich in der Eurozone.
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Ihm werden keine Chancen mehr zugerechnet, es in die Stichwahl zu schaffen. Mit einer klar linken Europapolitik wollte der Kandidat der Sozialisten, Bennoît Hamon, punkten. Doch linke Wähler laufen in Scharen zu Mélenchon oder auch Macron zu. Hamon wünscht sich ein Moratorium für den Stabilitätspakt zur Haushaltspolitik. Er fordert einen Erlass der seit der Finanzkrise 2008 akkumulierten Schulden für die am stärksten betroffenen Mitgliedstaaten sowie einen ehrgeizigen Plan zur Finanzierung des ökologischen Energiewandels mit Investitionen in der Höhe von 1000 Milliarden Euro. Zur Bekämpfung des Lohndumpings innerhalb der EU schlägt er einen Minimallohn in der Höhe des europaweiten Durchschnitts vor. Kritisch steht er zu den Handelsabkommen mit den USA und Kanada. Letzteres will er vorerst aussetzen.