Arbeiten in der Pension

Erfolgskonzept: Kuchen von der Oma 

Blick in die Vollpension
Blick in die Vollpension(c) Presse Digital
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»“Im Ruhestand muss man nicht mehr tun, was sich rentiert, sondern kann tun, was sich lohnt.”«

Ernst Reinhardt

Maria ist an einem Donnerstagnachmittag gerade dabei, die fertigen Apfelstrudel aus dem Backrohr zu nehmen. Sie richtet sich ihre weiße Schürze und öffnet das Backrohr mit Neonlicht. Heiße Luft und der Duft von gebratenen Äpfeln und frisch gebackenem Teig strömen ihr entgegen. Aus den Boxen tönt Musik aus ihrer Jugendzeit. Maria ist 62 Jahre alt und stammt ursprünglich aus einem Dorf im Weinviertel. Heute hat sie zusammen mit Christine Dienst in der „Vollpension“. Sie teilen sich zusammen die offene Schau-Küche und backen frische Kuchen und Mehlspeisen für die Gäste. Der Apfelstrudel zählt zu einer Spezialität von Maria und ist bei den Gästen sehr beliebt. Nach ihrem Pensionsantritt 2013, suchte sie eine neue Herausforderung im Leben und fand ihren Platz hier.

Die „Vollpension“ ist ein Generationenkaffeehaus und befindet sich seit dem Frühjahr 2015 in der Schleifmühlgasse im 4. Wiener Bezirk. Seite an Seite arbeiten dort junge Servicekräfte mit Senioren zusammen, die geringfügig angestellt sind. „Die Ursprungsidee kam von Moritz und Mike, den Gebrüdern Stich,“ erzählt Julia Krenmayr, die das Kaffeehaus mit Hannah Lux und Cornelia Kamleitner leitet. Im Rahmen der Vienna Design Week 2012 haben die beiden Jungunternehmer, die sonst für ihre Organic Maß-Jeans bekannt sind, die „Vollpension“ erstmals ins Leben gerufen. Ganz nach dem Motto „Wo gibt es die beste Mehlspeise? – bei der Oma“ haben Seniorinnen im Zeitraum des Events zehn Tage lang gebacken. Um für das Event Senioren zu finden, die gerne backen, wurde eine Anzeige in einer Tageszeitung geschalten. Das Interesse war groß. „Und das ist damals so gut angekommen, also auch im Team bei den Seniorinnen, dass es dann mehrere Vollpension-Pop-ups gab“, sagt Krenmayr.

Christine und Maria in der Vollpension
Christine und Maria in der Vollpension(c) Presse Digital

Social Business

Ein Social Business ist eine Mischung aus Non-Profit-Organisation mit sozialem Hintergrund und gewinnorientiertem Unternehmen. Das Unternehmen muss als Hauptziel ein soziales Ziel anstreben. Das Sozialministerium startete im September 2016 zusammen mit der Nationalstiftung für Forschung und Technologieentwicklung und der Förderbank des Bundes, dem Austria Wirtschaftsservice (aws) das neue Programm „aws Social Business Call“, um mit drei Millionen Euro Start-ups mit gesellschaftlichem Mehrwert zu fördern.


So hatten auch die Konferenz-Teilnehmer vom Europäischen Forum Alpbach die Möglichkeit, sich mit Kuchen von den Omas verwöhnen zu lassen. 2014 tourte die „Vollpension“ in einem VW-Bus plus Wohnwagen durch Österreich. Um den Omas eine fixe Backstube zu geben, wurde noch im selben Jahr, neben den bereits bestehenden Verein, die „Vollpension“ Generationencafé GmbH als Gastgewerbe im Rahmen eines Social Business gegründet und nach einem Standort in Wien gesucht. Hannah Lux wurde zur Geschäftsführerin ernannt und betreibt nun mit Julia Krenmayr und Cornelia Kamleitner zusammen die „Vollpension“. Als primäres Ziel haben sie sich gesetzt, sinnerfüllte Arbeitsplätze für Senioren zu schaffen. „Es gibt ja sehr viele Angebote für Senioren wie Seniorenclubs und Kartenspielen. Das sind so die Klassiker. Der Unterschied zu uns ist aber, dass es sich hier um einen Job handelt. Alle sind bei uns angestellt und verdienen ihr Geld. Es gibt fixe Dienstpläne. Also man muss auch etwas leisten,“ betont Krenmayr.

Paradebeispiel „Vollpension“

Aktuell arbeitet in der „Vollpension“ ein 35-köpfiges Team. Neben der Geschäftsführung sind zehn jungen Servicekräfte, 17 Seniorinnen und drei Senioren angestellt. Die Senioren arbeiten entweder fünf oder zehn Stunden pro Woche. „Das ist deshalb so, weil wir schauen möchten, dass wir so viele wie möglich einbinden und es auch für die Senioren eine Regelmäßigkeit gibt,“ sagt Krenmayr. Die Dienstzeit ist auch deshalb auf fünf Stunden beschränkt, damit es für die Senioren körperlich nicht zu anstrengend wird. Die Freude an der Arbeit soll so weiterhin bestehen bleiben.

Für die Senioren gibt es zwei unterschiedliche Rollen: Es gibt Back-Omas und –Opas und die Hosts. Die Back-Omas und –Opas backen in ihrer Arbeitszeit sechs bis zwölf Kuchen. Ursprünglich war geplant, dass jeder von ihnen zehn Rezepte hat, für die die entsprechenden Zutaten eingekauft werden. Da sich diese Methode aber nicht bewährt hat (Omas improvisieren auch einfach einmal gern), wird den Senioren beim Backen sehr viel Freiraum gelassen. „Aber das ist auch Teil des Konzepts, weil wenn du die Oma besuchst, weißt du schließlich auch nicht, welchen Kuchen du bekommst“, so Krenmayr.

Eine zentrale Rolle im Generationencafé spielt auch die Einrichtung. Alte Möbel treffen auf kitschige Schirmlampen, Weihwasser-Madonnen aus Lourdes und kleine Keramikfiguren. Die meisten stammen von Flohmärkten und dem Anzeigenportal „willhaben.at“. An der Wand reihen sich neben Farb- auch Schwarz-Weiß-Fotografien, die an frühere Zeiten erinnern. Einen Kontrast zu den alten Polstermöbeln bilden die jungen Gäste, die darauf Platz genommen haben.

Täglich gibt es einen Schichtwechsel bei Jung und Alt. Die Omas und Opas, die als Hosts eingesetzt werden, treten ihren Dienst täglich um 15 Uhr an. Sie übernehmen die Rolle der kommunizierenden Gastgeber. Sie begrüßen neu eingetroffene Gäste, weisen Plätze zu und servieren ab. Im Vordergrund steht dabei immer der Community-Gedanke. Der Gastronomiebetrieb wird sehr familiär geführt. So ist auch das Potential für Konflikte gegeben. „Manchmal gibt es Phasen, in denen es mehr kracht und manchmal ist es wieder harmonischer. Doch der Konflikt ist tagtäglich da. Es gibt keinen Tag, an dem sich nicht irgendjemand über irgendwen aufregt“, sagt Krenmayr. Doch werden in der „Vollpension“ Konflikte direkt angesprochen. „Wir versuchen sehr offen damit umzugehen. Wenn Menschen, egal welchen Alters, zusammenkommen, dann ist es ganz normal, dass es kracht,“ erklärt Krenmayr.

Die Gründe, weshalb die Senioren trotz ihrer Pension noch in der „Vollpension“ arbeiten, sind unterschiedlich. „Manche leben von der Mindestpension, andere wiederum bekommen ein wenig mehr. Bei ihnen geht es vielmehr darum, dass sie noch einmal rauskommen möchten, um sich selbst in der Pension noch einmal neu kennen zu lernen,“ sagt Krenmayr.

„Ich wollte nicht einfach aufhören“

Sitta ist heute als Host im Einsatz. Sie räumt das schmutzige Geschirr vom Tisch, stellt es auf ihr Tablett und geht damit zurück in die Küche. Obwohl sie anfangs keine Ahnung vom Gastgewerbe hatte, hat sie sich schon 2012 im Rahmen der Vienna Design Week für einen Arbeitsplatz in der „Vollpension“ beworben. Nun läuft sie eilig mit dem beladenen Tablett durch den Raum und begrüßt neu eingetroffene Gäste. 68 Jahre ist sie alt und war fast 40 Jahre lang im Unterrichtsministerium tätig. Das Alter sieht man ihr nicht an. Sie hat rot lackierte Fingernägel und trägt eine modische, grau-schwarze Weste. Gleich nach ihrem Pensionsantritt hat sie sich nach einer neuen Aufgabe umgesehen und Volksschüler in Deutsch in einer Privatschule unterrichtet. „Ich wollte nicht einfach aufhören,“ sagt sie. Durch eine ihrer beiden Töchter, die die Anzeige entdeckte, ist sie auf die „Vollpension“ aufmerksam geworden.

Sitta arbeitet nicht aus finanziellen Gründen in der „Vollpension“, sondern weil sie unter Menschen sein möchte. Allerdings gebe es zu wenige Möglichkeiten für Pensionisten, die gerne noch einer Beschäftigung nachgehen möchten. „Ich habe viele Freundinnen, die eigentlich etwas machen möchten, aber nicht wissen was. Wir leben in einer Gesellschaft, die sehr auf Profit und Beschleunigung aus ist. Für alte Leute geht das nicht. Es gibt eigentlich sonst keine Betätigungsfelder, wo man weniger als 20 Stunden arbeiten kann,“ erklärt Sitta. An das Aufhören denkt sie noch nicht. „So lange ich noch denken, gehen und vor allem mich bewegen kann, werde ich das noch möglichst lange machen,“ sagt die 68-Jährige.                                  

Senioren, die auch in ihrer Pension weiterarbeiten möchten, unterstützt auch Ingrid Korosec (ÖVP). Als Präsidentin des Österreichischen Seniorenbundes vertritt sie die Interessen der älteren Bevölkerung in Österreich. Sie ist der Ansicht, dass die Pension als immer länger werdende Lebensperiode „exakt vorbereitet“ und „genau vorgedacht werden“ müsse. Sie sieht das Generationenkaffeehaus als „eine tolle nachahmungswerte Idee.“

Jung und Alt ­– ein positives Miteinander

Auch wenn es wie in jedem Betrieb zu Konflikten zwischen Mitarbeitern kommt, ist sich Krenmayr sicher, dass die Vorteile des altersgemischten Teams überwiegen. „In Zeiten wie diesen ist es etwas Seltenes, Diversität positiv vorgelebt zu bekommen.“ Krenmayr ist davon überzeugt, dass gerade die Konstellation von Jung und Alt den Charme der „Vollpension“ ausmacht. „Manche Gäste fragen, ob wir miteinander verwandt sind. Wir sind zwar schon ein wenig wie ein Familienbetrieb, doch sind wir nicht miteinander verwandt,“ sagt Krenmayr. Der 29-jährige David Haller, der sich um die Eventgestaltung kümmert und immer wieder im Service aushilft, meint, dass die Zusammenarbeit in der „Vollpension“ deshalb so gut funktioniert, weil „jeder eine klar definierte Rolle hat, aber trotzdem genug Freiheiten hat, um sein persönliches Ich zu integrieren.“ Er findet die Lebenseinstellung seiner älteren Arbeitskollegen sehr inspirierend und möchte so wie sie auch im hohen Alter noch lachen können. 

(Von Victoria Abulesz)

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