Kommunikation

"Senioren spielen nicht - Senioren brauchen einen Weg"

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»Die Sprache kann durchaus endgeil und vollfett sein – man muss sie nur in ihrem entsprechenden Biotop sprechen.«

Wolfgang J. Reus

„Ich bin am fly, Bae! Isso! Gemma auf an Hopfensmoothie, oder ärgerst‘ dich noch mit deiner Bambusleitung?!“ So, oder so ähnlich sollten sich Jugendliche 2016 anhören. Zumindest wenn man die Top 5 Jugendwörter des letzten Jahres ernst nimmt. Jedes Jahr führt Langenscheidt diese Wahl durch. Das Ergebnis besteht dann oft aus einem Wort oder einer Phrase, die niemand zu kennen scheint. Kommt sicher auch darauf an, wen man fragt. Aber eines ist klar: Jugendliche sprechen anders als alte Menschen - vor allem untereinander. Sie verwenden andere Füllwörter, Verkürzungen und einen anderen Satzbau.

Voneinander profitieren

Auch in der sprachlich eher konservativen Gruppe der Älteren gibt es einen offenen Umgang mit Sprache und Veränderung. Annette Gerstenberg, Linguistin an der Freien Universität Berlin, hört von ihren Gesprächspartnern oft, dass die Sprache sich ändere, aber dass das normal und gut sei. „Die Älteren partizipieren auch an diesen Entwicklungen. Sprache gestaltet sich ständig neu, findet immer neue Formen und Funktionen und das passiert auch in der Auseinandersetzung mit den Jüngeren.“ Vor allem innerhalb der eigenen Familie. Und auch die Jungen würden profitieren. „Mit den Großeltern sprechen sie in vollen Sätzen und anstatt der Abkürzung verwenden sie das ganze Wort und das trägt definitiv zur sprachlichen Prägung der Kinder bei.“, sagt Gerstenberg.

Zwei vom österreichischen Sozialministerium in Auftrag gegebene Studien aus den Jahren 1998 und 2005 – nicht mehr topaktuell, aber repräsentativ und vergleichbar – zeigen, dass das Gefühl des Miteinanders zwischen den Generationen steigt.

Sprache

Metzler-Lexikon 1993: Wichtigstes und artspezifisches Kommunikationsmittel der Menschen, das dem Austausch von Informationen sowie epistemische, kognitive und affektive Funktionen erfüllt.

Wikipedia: Komplexes Regelsystem als zentrales menschliches Verständigungsmittel

Duden: (historisch entstandenes und sich entwickelndes) System von Zeichen und Regeln, das einer Sprachgemeinschaft als Verständigungsmittel dient

Um miteinander aus zu kommen, überhaupt in Beziehung zu treten, braucht es Kommunikation. Die meisten Definitionen von Sprache zielen auf ihre Funktion als wichtigstes Kommunikationsmittel ab. Nun entwickelt sich die Sprache zwar von Generation zu Generation, aber die Abweichungen sind nicht so stark, dass sich Jung und Alt nicht mehr verständigen können.

Wenn aber vom Kommunikationsmittel die Rede ist, muss auch der Weg, den die Sprache vom Absender zum Empfänger nimmt mitgedacht werden. Gerade in Zeiten, in denen die Mittel und die Geschwindigkeit der Kommunikation zunehmen, stellt sich die Frage, ob ältere Menschen noch mithalten können und wollen, wenn schon mancher Mitt-20er darüber klagt, dass er zu alt für Snapchat sei.

Was ist WLAN?

Karin Niederhofer betreibt auf der Praterstraße ihr Seniorencolleg. Sie bietet Computerkurse für Senioren an. „Manchmal tun sie mir schon leid, weil sie praktisch gezwungen werden sich mit der Technik zu beschäftigen. Und die Werbung, die ist fies. Sie gaukelt ihnen vor, ein Tablet gehe sowieso von allein. Aber wenn du nicht weißt, was WLAN ist, wie du eine Seite öffnest oder etwas suchst, dann kannst du das Gerät nicht bedienen.“

Niederhofer hat die Erfahrung gemacht, dass es oft schwierig ist, wenn die Jungen den Älteren den Laptop oder das Tablet erklären wollen. „Wenn die Jungen sich ein Mailkonto einrichten, dann kommen sie schon irgendwie ans Ziel. Aber die Oma will den genauen Weg wissen. Sie braucht Struktur und die können ihr die Jungen in ihrer Ungeduld und ihrer Selbstverständlichkeit im Umgang mit den Geräten nicht geben.“ Da mangle es an der Kommunikation und dem Verständnis füreinander. Auch innerhalb der Familie.

Das Internet ist omnipräsent. Alte wie junge Menschen schalten den Fernseher an – ältere sogar häufiger – und sehen Hashtags, Links und QR-Codes. „Bestellen übers Internet, Kommunikation, Bankgeschäfte, alles läuft übes Netz. Viele ältere Menschen kommen an einen Punkt, da wollen sie nicht mehr nur zusehen. Sie wollen verstehen, warum ihre Enkel über den Bildschirm wischen, was Facebook ist und was dort passiert. Sie wollen mithalten und mitreden.“, sagt Niederhofer. „Die meisten verlieren ihre Aversion gegenüber Facebook sehr schnell. Spätestens, wenn sie am Leben ihrer Enkelkinder, die vielleicht gerade in den USA studieren, teilhaben können. Sie freuen sich, dass sie so viele Fotos bekommen. Sie sind stolz. Und der Enkel ist auch stolz auf seine Oma."

Senioren brauchen einen Weg.

Oft kommen die Menschen mit Tablets zu Niederhofer, die ihnen der Sohn oder die Tochter geschenkt haben. „Der Sohn sagt dann: ‚Spiel dich doch einfach ein bissl damit!‘, aber Senioren spielen nicht. Senioren brauchen einen Weg. Das ist einfach so. Ein Phänomen. Sie probieren nicht einfach irgendetwas aus. Sie gehen nur einen gezielten Weg. Sie wissen entweder, wie etwas geht, oder sie lassen es. So wurden sie erzogen.“

Jung und Alt
Jung und AltIris Reiß

Franz Kolland, Soziologe an der Universität Wien, forscht zur Nutzung von neuen Technologien im Alter. „Bei einem 70 oder 80-jährigen Menschen steht das Experimentieren nicht mehr im Vordergrund. Wenn etwas nicht funktioniert, ist der Frust gleich sehr groß und oft ist ja auch der Nutzen eines PCs oder Tablets völlig unklar.“ Schon das Kaufen einer Fahrkarte ist für ältere Menschen oft nur mehr schwer möglich: An manchen Bahnhöfen gibt es keinen Schalter, nur noch Automaten, und die zu bedienen ist für sie nicht einfach. „Wie sie online eine Karte kaufen wissen sie auch nicht, also was machen sie? Sie bleiben zuhause.“, sagt Kolland.

Brücken.

„Dieses Phänomen führt nicht unbedingt dazu, dass es heute mehr einsame Menschen gibt als früher, es führt aber dazu, dass diejenigen, die einsam sind, es noch schwerer haben.“, sagt Kolland. Sie haben niemanden, der ihnen neue Dinge erklären und zeigen kann. „Die Technik ist aber, wenn Kontakte da sind, eine wesentliche Brücke zwischen den Generationen. Es gibt kaum einen älteren Menschen, der nicht automatisch die Enkelkinder mit neuer Technologie verbindet. Die Familie ist sicher das Einfallstor für neue Technologien in das Leben Älterer. Über diese Schiene haben die Generationen auch wieder viel Gesprächsstoff miteinander.“

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Um Sprache und das Miteinander geht es auch bei den Englischkursen der Aktiven SeniorInnen im WUK. Einmal pro Woche kommt im Kurs von Irene Kostelecky eine Gruppe von ca. 15 Senioren zusammen. Die meisten sind schon eine halbe Stunde vor Beginn hier. Zum Plaudern. Kommen kann, wer möchte und Zeit hat. Pro Stunde zahlen die Teilnehmer zwei Euro. Wer nicht da ist, der zahlt auch nicht.

Warum lernen?

Aufgrund der lockeren Organisation ist es schwierig, Grammatik durchzunehmen. „Ich kann schwer auf etwas aufbauen. Ich habe hier Leute, die bei Adam und Eva anfangen. Wieder andere haben vielleicht Verwandte in Amerika und sprechen schon ein bisschen Englisch. Viele vergessen auch bis zur nächsten Stunde alles.“ Kostelecky würde dann eben sehr individuell arbeiten, sehr viel wiederholen und sich einfach nach den Fragen, die während der Stunde auftauchten richten, und diese abarbeiten.

Auch Kolland beschäftigt sich mit Bildung im Alter. Er bestätigt diese Beobachtung Kosteleckys. „Der wesentliche Unterschied ist der Grund, warum ich lerne.“ Bis zur Pensionierung sei Bildung berufs- und zweckorientiert. Wir wollen einen besseren Job, mehr Geld verdienen, oder aufsteigen. Nach der Pensionierung sei Bildung aber Sinngebung. Lange Zeit wurde in der Altenbildung darauf abgestellt, dass der alte Mensch schlechter hört, schlechter sieht und sich Dinge schlechter merkt, und daraus wurde ein eigener Bildungszweig abgeleitet. „Es ist aber der Beweggrund und das Ziel der Bildung, das sich ab der Pensionierung komplett ändert und tatsächlich den Unterschied ausmacht.“

Fehlerkultur.

Kostelecky fällt noch etwas auf: Ältere könnten sehr schwer mit Fehlern umgehen. „Wir haben in Österreich überhaupt keine Fehlerkultur. Aber die ältere Generation, die sieht das ja direkt als Verbrechen an, Fehler zu machen. Diese Generation hat gelernt, dass sie keine Fehler machen darf. Ich versuche ihnen ein bisschen die Angst zu nehmen und sie zum Reden zu bringen.“

Wie im Compterkurs von Niederhofer, hat auch Kostelecky die Erfahrung gemacht, dass die Jüngeren ihre Eltern und Großeltern zwar unterstützen wollen, aber oft ungeduldig sind oder sie bevormunden. „Die Senioren kommen dann zu mir und sagen: ‚Meine Tochter hat gesagt, das gehört so nicht‘, aber warum können sie nicht erklären.“ Damit werde ihnen die Chance genommen, aus ihren eigenen Fehlern zu lernen und selbständig Lösungen zu erarbeiten.

Social Impact Studie – A1

Seit 1999 führt A1 zusammen mit GfK Austria jährlich ihre Social Impact Studie durch. Die Studie befasst sich mit dem Nutzungsverhalten und den sozialen Veränderungen durch den vermehrten Einsatz von Smartphones und Internet. Diese Erhebungen werden immer im Zusammenhang zu gewissen Schwerpunkten gestellt. 2014 betraf dieser Schwerpunkt die digitale Kommunikation und das Sprachverhalten. Befragt wurden 1000 Handynutzer ab 12 Jahren.

Erzählen.

Es gibt aber auch Bereiche, in denen die Jüngeren etwas von den Älteren lernen können. Gerstenberg, der Linguistin aus Berlin, hat für ihre Arbeit Erzählungen aufgezeichnet und untersucht. „Es fällt auf, wenn Geschichten oft erzählt wurden. Sie finden dann eine sehr ausgereifte Form. Genau nach den klassischen Elementen der Erzählung: Es gibt eine Einleitung, einen Hauptteil, einen Schluss.“ Diese Geschichten seien sehr schön anzuhören und man finde diese ausgereifte Erzählweise nur bei älteren Menschen. „Es gibt Passagen mit wörtlicher Rede, die der Geschichte Charakter verleiht. Es macht richtig Spaß zuzuhören. Erst durch die ständige Wiedergabe hat die Erzählung diese perfekte Form gefunden.“, sagt Gerstenberg.

Um einen Vergleich aufstellen zu können, hat Gerstenberg auch mit Studenten gearbeitet und sie Geschichten aus ihrem Leben erzählen lassen. Die konsequente Bauweise der Erzählungen sei weniger ausgeprägt. Vor allem im Schlussteil. „Die Geschichten waren auch formal etwas knapper und einfacher. Außerdem ist mir aufgefallen, dass die Älteren eine explizite Bewertung ihrer Lebensgeschichte haben.“ Bei den Jüngeren fehle diese noch. „Eine Bewertung des eigenen Lebens, die kommt erst in späteren Jahren dazu.“

(Von Iris Reiß)

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