Demografie

Country for old men: Wie ein Dorf gegen die Vergreisung kämpft

Eja Kapeller
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»Die Migration innerhalb des Landes steht im Zusammenhang mit unterschiedlichen Lebensphasen.
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Konrad Pesendorfer, Statistik Austria


Es ist Anfang Dezember als Julia Kurzreiter das erste Mal die Nummer einer Cateringfirma anwählt. Den Aufbau werde die Landjugend wie jedes Jahr selbst übernehmen, nur das Essen für die Weihnachtsfeier, Schnitzel und Pommes, würden sie diesmal liefern lassen und nicht im Gasthaus Lenz abholen. Denn auf der Tür des gelben Hauses in der Mitte des Dorfplatzes klebt seit einem Jahr ein in Glassichtfolie gepackter Zettel: Zu verkaufen. Die alten Betreiber sind in Pension gegangen und in der Gemeinde Langau an der tschechischen Grenze im Waldviertel gab es niemanden, der das einzige Gasthaus des Ortes übernehmen konnte.

Das Waldviertel stirbt aus, heißt es. Und auch, dass es damit nicht alleine ist. Ganze Landstriche haben sich in Österreich in den letzten Jahren geleert, die Menschen zieht es von den Dörfern in die Stadt. Entlang des Alpenhauptkammes bis ins südliche Salzburg und Oberösterreich sowie entlang des ehemaligen Eisernen Vorhangs könnten auf der Landkarte bald weiße Flecken entstehen. Zwei Drittel der österreichischen Bevölkerung lebt bereits in Städten, und es werden mehr werden. Vor allem die Jungen wandern ab, zurückbleiben oft Dörfer, in den Pensionisten über dreißig Prozent an der Bevölkerung ausmachen.

Die Geschichte vom sterbenden und alternden Land ist schon oft erzählt worden. Wenn man jedoch verstehen will, welche Entwicklungen hinter diesem groben Befund vor sich gehen, lohnt es sich einen Blick auf das kleine Langau im nördlichen Waldviertel und drei Generation von Langauern zu werfen.

Vom Kommen und Gehen

Still und winzig liegt Langau Anfang Dezember zwischen einem Teppich aus gefrorenen Äckern und Wiesen vor der Grenze zu Tschechien. Das Dorf im Norden des Waldviertels hat in den letzten Jahren 40 Jahren rund ein Drittel seiner Bevölkerung verloren, heute sind über 260 Personen der 676 Einwohner über 60 Jahre alt. Laut Raumplanerin Gerlind Weber sind es vor allem Menschen zwischen 20 und 30 Jahren, die auf der Suche nach Ausbildungsplätzen abwandern.Der Sog der Städte erklärt sich auch durch die Entwicklung unsere Gesellschaft hin zu einer Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft. Wer höhere Ausbildungsstätten sucht, findet diese selten am Land.



Auch die neunzehnjährige Julia Kurzreiter hat vor eineinhalb Jahren ihre Sachen gepackt, und ist von Langau für das Jusstudium nach Wien gezogen. Wenn sie im Wiener Kaffeehaus Stadtkind von ihrer Heimatgemeinde erzählt, und davon, dass sie jedes Wochenende nachhause fährt, um als Leiterin der Landjugend Feste zu organisieren oder an Proben der Blasmusikkapelle teilzunehmen, merkt man aber, dass es kein endgültiger Abschied sein soll. Die meisten Jungen wollen nicht weg, sagt sie, und viele, die gehen, haben vor wiederzukommen. 

»„Das Land hat sein schlechtes Image abgelegt, auch bei den Jungen“, «

Franz Linsbauer, Bürgermeister von Langau



Es ist ein Befund, der Bürgermeister ländlicher Regionen wohl vorsichtig hoffen lässt. 2016 kann das Waldviertel erstmals eine leicht positive Wanderungsbilanz vorweisen. Und auch wenn man noch weit davon entfernt ist, von einer tatsächlichen Trendwende zu sprechen, hat sich in den letzten Jahren viel getan. „Das Land hat sein schlechtes Image abgelegt, auch bei den Jungen“, sagt Langaus Bürgermeister Franz Linsbauer.

In der Nachkriegszeit lebten zeitweise 1050 Menschen in Langau. 900 Meter vor der tschechischen Grenze wurde Braunkohle abgebaut, es gab eine Molkerei, insgesamt waren damals an die 650 Menschen im Ort beschäftigt. Wenn man heute durch Langau fährt, vorbei am verfallenen Molkereigebäude an der Ortseinfahrt, Dort wo früher Edamer und Gouda produziert wurde, lagern heute Bretter und Autoreifen. Als der Braunkohle Vorrat zu Neige ging, wurde der Tagebau in Langau eingestellt, die Molkerei Anfang der 70er Jahre geschlossen. Und mit den Arbeitsplätzen gingen auch die Menschen. Die verlassenen Häuser, die fast überall die Straßen im Waldviertel säumen, sind Zeugen der Landflucht von damals. „Als ich mit der Schule fertig war, wollten alle meine Schulkollegen nur weg aus Langau, weg aus der gesamten Region“, sagt Linsbauer. Ans Zurückkehren dachte damals niemand. Das Dorf erlebte Jahre, in denen es keine einzige Geburt gab.

Im braun vertäfeltem Besprechungssaal des Gemeindeamtes erzählt Linsbauer vom Exodus der letzten Jahre, aber auch von den Dorferneuerungsprozessen und Anstrengungen, mit denen es gelang, die Stimmung zu drehen. An der Mulde, die der Braunkohleabbau in die Erde schlug und die sich im Laufe der Jahre nach und nach mit Wasser füllte, wurde ein Freizeitzentrum mit Kletterpark und Liegewiesen errichtet. Im Sommer feiert die Landjugend hier ihren Summer Flash, ein Fest mit Wasserskifahren und Strandbar, und am Dorfplatz steht nun seit einem Jahr ein Elektroauto, dass es auch Gemeindebürgern ohne eigenen Wagen ermöglichen soll, flexibel zu sein. Linsbauer tritt mit dem alternde Langau auch bei mehreren Jugendbewerben an, und 2013 wird just jene Gemeinde, in der über 32 Prozent der Einwohner über 65 Jahre alt sind, als jugendfreundlichste Gemeinde Niederösterreichs ausgezeichnet.

„Zentral für die Gemeinde sind unsere Vereine“, sagt Linsbauer. Denn obwohl die Bevölkerung über die Jahre enorm geschrumpft ist, wachsen Langaus Vereine. Landjugend, Sportverein, Blasmusikkapelle, Laientheater oder Faschingsgilde, durch die Vereine sei es gelungen, ein identitätsstiftendes Gefühl aufzubauen, das die Jungen an den Ort bindet. Auch noch dann, wenn sie für die Ausbildung in die Stadt abwandern. Viele würden so wie Julia Kurzreiter zwar wegen dem Studium wegziehen, am Wochenende aber regelmäßig nach Langau kommen, an Festen teilnehmen, und sich in der Gemeinde einbringen. Wenn sie dann, nach dem Wochenende, wieder in die Stadt aufbrechen, bleibt zumindest die Hoffnung, dass sie eines Tages wiederkommen, um dauerhaft zu bleiben.

Fünfzehn Stunden

Die große Stadt hat uns abgeworfen, sagt Daniel Mayerhofer an diesem Abend im Langauer Gemeindeamt. Und, dass er froh darüber sei, dass es so gekommen ist. Seine Kinder können nun in derselben Umgebung aufwachsen wie er, mit den kurzen Wegen und kleinen Schulklassen. Vor vier Jahren ist der 40-Jährige IT-Techniker von Wien wieder zurück in seine Heimatgemeinde gezogen. Als aus der größeren Wohnung in Wien nichts wird, meldet er seine zwei Töchter hier im Ort für den Kindergarten an und beginnt mit der Renovierung des Hauses der Großmutter im Langauer Ortskern.

Aber auch wenn seine Kinder jetzt als Testimonials für das Glück am Land von Broschüren lachen, ganz von der Stadt lösen konnte sich Daniel Mayerhofer nicht. Jeden Sonntagabend fährt er nach Wien zum Arbeiten, mittwochs wieder zurück nach Langau. In einem Ort, wo der Postbus nur alle zwei Stunden hält und die nächst gelegene Zuganbindung nach Wien eine halbe Stunde entfernt ist, braucht es zum Pendeln Ausdauer.

»Auf die Abwanderung der letzten Jahrzehnte wurde seitens des Staates mit Rationalisierung geantwortet.«



Auch wenn die Stimmung in der Region nun eine bessere ist, fehlt es nach wie vor an Arbeitsplätzen, vor allem für besser qualifizierte Rückkehrer. In Langau selbst gibt es 59 Arbeitsstätten, davon 28 in der Forst-und Landwirtschaft. Das gesamte Waldviertel kann kaum Betriebsneuansiedlungen vorweisen, dafür fehlt es an Infrastruktur. Auf die Abwanderung der letzten Jahrzehnte wurde seitens des Staates mit Rationalisierung geantwortet. Postämter wurden geschlossen, Bezirksgerichte konzentriert, ganze Regionen kamen in Raumplanungskonzepten gar nicht mehr vor, meint Raumplanerin Weber. „Weil man davon ausgeht, dass ein investierter Euro in Ballungszentren mehr bewirkt als in strukturschwachen Regionen.“ Gutbezahlte Dienstleistungsjobs wurden damit sukzessiv vom Land in die Stadt verlagert. Für jene, die sich nach abgeschlossener Ausbildung entscheiden zurückzukehren, bedeutet das, schnell günstigen und schönen Wohnraum zu finden, dafür aber lange Wege zur Arbeit in Kauf zu nehmen.

25 km von Langau entfernt, fährt in der Gemeinde Retz jede halbe Stunde ein Zug nach Wien. Und während man in Langau auf die Schienen der Nostalgiebahn des Reblausexpress blickt, ist in Retz die Bevölkerung in den letzten 5 Jahren um 2,5 Prozent gewachsen. Die leicht positive Wanderungsbilanz im Waldviertel ist keineswegs gleichmäßig verteilt. So sind es vor allem strukturstarke Regionen und Gemeinden mit guter Verkehrsanbindung in die Stadt, die im Waldviertel und österreichweit Menschen anziehen.

Wenn Junge gehen und alt zurückkehren

Langaus Bevölkerungspyramide steht auf dem Kopf. Im einzigen Kaffeehaus sitzen um halb fünf am Nachmittag ausschließlich älte Männer und spielen Karten. Und auch wenn in Zukunft viele der Abwanderer wirklich wieder zurückkehren sollten, wird sich daran nicht viel ändern. Setzt sich der Trend fort, den Statistiker der Statistik Austria in den letzten Jahren verzeichnet haben, werden Rückkehrer wie Daniel Mayerhofer die Ausnahme bleiben. Denn während bis zum 40. Lebensjahr die Zuwanderung vom Land in die Stadt überwiegt, kehrt sich die Wanderung erst ab dem 60. Lebensjahr um. Das bedeutet: Es sind nicht nur die Alten, die bleiben, es werden vor allem auch die Alten sein, die wieder kommen. Ländliche Regionen ohne Arbeits-und Ausbildungsplätze und Infrastruktur werden somit zur Lebensabschnittsregionen für Zeiten außerhalb des Erwerbsalters.

Auch Herbert Freundorfer ist in seiner Pension von Wien nach Langau gezogen. „Wien hat für mich immer nur Arbeit bedeutet“, sagt er, „Langau Freizeit und Leben.“ Es sei für ihn damit immer klar gewesen, wieder nach Langau zurück zu kommen, sobald er seine Goldschmiede in Wien schließt. In der Stadt mit ihrer Anonymität und den Geschichten von vereinsamten Alten, deren Tod erst nach zwei Wochen von den Nachbarn entdeckt wurde, wollte er nicht alt werden. In Langau, sagt Freundorfer, könne so etwas nicht passieren, da müsse man schon „darauf bestehen, einsam zu sterben“.

»Auch wenn es verständlich ist, dass Gemeinden um die Jungen buhlen, darf der Wert von Pensionisten gerade für kleine Gemeinden nicht unterschätzt werden.«

Gerlind Weber, Raumplanerin



Jeden dritten Samstag im Monat um neun Uhr steigt der 73- jährige Obmann des Seniorenverbandes in den Lieferwagen am Langauer Hauptplatz. Zu Mittag wird er gemeinsam mit einem Kollegen 85 Kilometer zurückgelegt und 40 Portionen Essen ausgeliefert haben. Über 50 Personen engagieren sich in der Pfarre Langau ehrenamtlich beim Service „Essen auf Rädern“, die meisten davon sind Senioren. „Auch wenn es verständlich ist, dass Gemeinden um die Jungen buhlen, darf der Wert von Pensionisten gerade für kleine Gemeinden nicht unterschätzt werden", sagt Raumplanerin Weber. Menschen, die in der Pension in ihre Heimatgemeinde zurückkehren, würden mit ihrem Geld oft Altbauten renovieren und Gemeinden dadurch aufwerten. Zudem gibt es immer noch zu viele ungenutzte Ressourcen bei älteren Gemeindebürgern. Senioren sind heute länger gesund, sie haben viel frei verfügbare Zeit, und wollen sich einbringen. Gerade im Angesicht der demographischen Entwicklung im ländlichen Raum könnte das freiwillige Engagement von Senioren in der Nachbarschaftshilfe bis hin zur Kinderbetreuung oder der Übernahme von Stabsaufgaben in Vereinen einen positiven Nebeneffekt der Überalterung darstellen, den Gemeinden nutzen sollten.

In Langau werden Anfang Jänner Julia Kurzreiter und Herbert Freundorfer mit den anderen Vereinsleitern wie zu Beginn jedes Monats am runden Tisch im Gemeindeamt Platz nehmen und die Veranstaltungen ihrer Vereine aufeinander abstimmen. Den Vorsitz dabei wird dann, wie jedes Mal bei diesem monatlichen Zusammenkommen, der Vater von Daniel Mayerhofer übernehmen. Er gibt die Vereinszeitung der Gemeinde seit seiner Pensionierung ehrenamtlich heraus.

(Von Eja Kapeller)

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