200.000 Bürger gingen in Rumänien landesweit auf die Straße, um gegen die Aufweichung der Korruptionsgesetze zu demonstrieren. Aus Protest gegen seine Mitte-links-Regierung trat der parteilose Handelsminister zurück.
Belgrad/Bukarest. Selbst eisige Temperaturen und Schneematsch können sie nicht schrecken. Bei den größten Massendemonstrationen in Rumänien seit dem blutigen Sturz des kommunistischen Machthabers Nicolae Ceauşescu machten am Mittwochabend weit über 200.000 Menschen im ganzen Land ihrer Empörung über die von der neuen Mitte-links-Regierung durchgepeitschte Lockerung der Anti-Korruptions-Gesetze Luft: Allein in Bukarest zogen nach Schätzung der Polizei über 100.000 Menschen durch die Straßen.
Trotz der sich mehrenden Proteste hatte die von der sozialdemokratischen PSD geführte Regierung von Premier Sorin Grindeanu am Dienstag in den späten Abendstunden per Eilverordnung den dreisten Straferlass für die schwarzen Schafe in den eigenen Reihen durchgepeitscht – und die Proteste erst richtig eskalieren lassen. „Korrupte ins Gefängnis!“ und „Demokratie, nicht Amnestie!“ skandieren im ganzen Land Demonstranten.
Doch die noch nicht einmal einen Monat amtierende Regierung will sich von ihrem Weg zurück in den ungestraften Korruptionssumpf nicht abhalten lassen. So soll Amtsmissbrauch künftig nur dann bestraft werden können, wenn der Schaden mehr als 200.000 Lei (44.000 Euro) beträgt, was einer Amnestie von Hunderten bereits verurteilter Würdenträger gleichkommt – darunter auch PSD-Chef Liviu Dragnea, den bisher eine Bewährungsstrafe an der Übernahme des Premieramts hindert. Gleichzeitig soll die Begünstigung einer Straftat für Verwandte des ersten und zweiten Grads künftig straflos bleiben. Das von der PSD kontrollierte Parlament soll zudem noch über eine Amnestie von Straftätern entscheiden, die zu weniger als fünf Jahren Gefängnis verurteilt worden sind: Auch dies würde zahlreichen Politikern und ihnen nahestehenden Geschäftsleuten eine vorzeitige Haftentlassung bescheren.
Mahnung aus Brüssel
Erschüttert sprach Staatschef Klaus Johannis nach den Eilverordnungen von einem „Trauertag für den Rechtsstaat“. Rumäniens höchstes Justizgremium, der Magistraturrat (CSM), kündigte eine Verfassungsklage gegen die eigene Regierung wegen des schweren Verstoßes gegen die Gewaltenteilung an. „Der Kampf gegen die Korruption muss vorangebracht, nicht rückgängig gemacht werden“, mahnte EU-Kommissionspräsident Juncker: Brüssel verfolge die Entwicklungen in Rumänien mit „großer Sorge“.
Nicht nur bei der Demonstration in Bukarest kam es zu Ausschreitungen, die offenbar gedungene Hooligans anzettelten. Tumultartige Szenen waren am Donnerstag auch im Parlament zu beobachten. „Abtritt, Abtritt“, riefen die Abgeordneten der Anti-Korruptions-Partei USR und blockierten minutenlang das Rednerpult. Nachdem selbst mehrere lokale PSD-Würdenträger aus Protest gegen die umstrittenen Dekrete zurückgetreten waren, verkündete am Donnerstag als erstes Kabinettsmitglied der parteilose Handelsminister, Florin Jianu, per Facebook seinen Abtritt aus Gewissensgründen.
Er habe darüber „reflektiert“, was er seinem Kind später einmal sagen sollte, erläuterte er seinen Schritt: „Werde ich ihm sagen, dass sein Vater ein Feigling war, der Maßnahmen unterstützte, an die er nicht glaubte? Oder werde ich ihm sagen, dass sein Vater erhobenen Hauptes eine Geschichte verließ, die nicht die seine war?“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.02.2017)