Der Musterschüler

Estland: Unabhängigkeit um jeden Preis

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Kein anderer Staat hat so eine geringe Staatsverschuldung wie Estland. Warum das so ist - und was es Estland gekostet hat.

In Estland betragen die Staatsschulden gerade einmal 10,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, von solchen Zahlen kann der Rest der Eurozone nur träumen. Effiziente Verwaltung, eine Vorreiterrolle bei der Digitalisierung und vor allem die strenge Sparpolitik brachten dem baltischen Land den Ruf als Musterschüler der Eurozone ein. Das ging nicht ohne große Entbehrungen für die rund 1,3 Millionen Einwohner: Als während der Finanzkrise die Wirtschaft im Jahr 2009 um 14,7 Prozent eingebrochen ist, bemühte Estland nicht die Staatskasse. Im Gegenteil: Die Beamtengehälter wurden um 20 Prozent gekürzt, der Kündigungsschutz gelockert, die Arbeitslosenrate schnellte in die Höhe. Nur die Staatsschulden schrumpften.

Das Nulldefizit wurde in Estland schon fast wie eine Religion gepredigt. Warum man es nicht anderen gleichtut und Schulden macht anstatt schwere Entbehrungen auf sich nimmt? Die einfachste Erklärung, die man in Estland dafür bekommt: Schulden bedeuten Abhängigkeit. Und davon hatten die Esten in der Geschichte bereits mehr als genug. In 800 Jahren war das Land gerade einmal 50 Jahre lang nicht fremdbestimmt. Da ist Unabhängigkeit ein hohes Gut.

Nun stehen wohl einige Änderungen bevor: Seit November 2016 ist die liberale Reformpartei nach 17 Jahren erstmals nicht in der Regierung, der neue Premier Jüri Ratas kommt von der Zentrumspartei, die vor allem bei der benachteiligten russischen Minderheit beliebt ist. Wie sich das auf die Wirtschaftspolitik des Landes auswirken wird, ist noch schwer abzuschätzen. Den Spitzenplatz bei der niedrigsten Gesamtverschuldung in der EU wird Estland jedenfalls vorerst kein Land streitig machen. Luxemburg liegt mit einem Respektabstand (22,2 Prozent vom BIP) auf Platz zwei.

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