In der Angst wird Merkel zur Freundin

Rückten am Dienstag näher zusammen: Deutschlands Kanzlerin Merkel und Polens Ministerpräsidentin Beata Szydlo.
Rückten am Dienstag näher zusammen: Deutschlands Kanzlerin Merkel und Polens Ministerpräsidentin Beata Szydlo. (c) APA/AFP/JANEK SKARZYNSKI (JANEK SKARZYNSKI)
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Polens rechtskonservative Regierung hat ihre Haltung zu Angela Merkel überdacht. Der Grund: Jetzt, da Donald Trump die USA regiert, soll Deutschland Schutz vor Wladimir Putin garantieren.

Berlin/Warschau. Die ersten beiden Termine dienten mehr dem Protokoll als dem Zweck. Angela Merkels Besuch in Warschau führte sie am Dienstag zunächst zu Regierungschefin Beata Szydlo und dann zu Staatspräsident Andrzej Duda. Polens graue Eminenz traf sie erst danach im Hotel Bristol: Jarosław Kaczyński, Gründer der rechtsnationalen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), offiziell derzeit ohne Staatsamt, inoffiziell aber der mächtigste Mann des Landes. Ohne ihn geht an der Weichsel nichts.

Das Verhältnis der beiden war nie sonderlich innig gewesen. Kaczyński hatte Merkel unter anderem imperiales Machtstreben vorgeworfen. Doch die Zeiten haben sich geändert. Neuerdings sind aus Kaczyńskis Mund erstaunlich freundliche Worte über die deutsche Kanzlerin zu hören: „Es gilt, dass Frau Merkel das Beste für uns wäre“, sagte er der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ im Hinblick auf die Bundestagswahl am 24. September. Denn Martin Schulz, der von der Spitze des EU-Parlaments vor Kurzem an die Spitze der SPD gewechselt ist, habe einen „Hang zu Russland“.

Wobei Schulz hier nur eine Randnotiz ist. Kaczyńskis Problem ist vor allem, dass Donald Trump einen Hang zu Wladimir Putin zu haben scheint und nebenbei die Nato anzweifelt. Seit Russland die Krim annektiert hat, geht nicht nur in Warschau die Angst um. Auch die baltischen Staaten – Estland, Lettland und Litauen – fürchten, dass Putin Gebietsansprüche aus Zeiten der Sowjetunion stellen könnte, wenn die USA als Schutzmacht wegfallen. Und niemand weiß, welche Nato-Politik Trump verfolgen wird.

Daher gründen sich die Hoffnungen nun auf Deutschland. Kaczyński erwähnte lobend, dass sich Merkel im Ukraine-Konflikt für Sanktionen gegen Russland eingesetzt habe, und meinte dann fast nebenbei: „Auch dass Deutschland Soldaten an die Ostflanke der Nato entsendet, ist positiv.“ Das Militärbündnis hatte im Vorjahr beschlossen, je 1000 Soldaten in die baltischen Staaten und nach Polen zu schicken. Der Truppenverband in Litauen wird von Deutschland angeführt, das allein 450 Soldaten stellt. Am Dienstag wurden sie, im Beisein von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, auf dem Stützpunkt Rukla begrüßt. Während der Zeremonie waren ähnliche Töne wie in Polen zu hören: Deutschland werde im gegenwärtigen geopolitischen Umfeld mehr und mehr zur europäischen Führungsnation mit vielerlei Verantwortung, sagte Litauens Staatspräsidentin, Dalia Grybauskaitė. Das sei symbolisch und sehr wichtig.

Warschau sucht Verbündete

Hinter Polens plötzlichen Sympathiebekundungen für Merkel steckt aber noch mehr Kalkül: Die rechtskonservative PiS-Regierung hat keine Verbündeten in Europa. Eigentlich wollte sie das Land außenpolitisch neu ausrichten und Großbritannien, das man in seiner EU-Kritik immer bewundert hat, als Partner gewinnen. Durch den Brexit ist dieser Plan jedoch obsolet geworden.

Die Visegrád-Gruppe, zu der auch Ungarn, Tschechien und die Slowakei zählen, hält zwar in der Flüchtlingspolitik zusammen, aber sonst nicht unbedingt. Mit Kaczyńskis Vision vom „Europa der Nationalstaaten“ können Tschechen und Slowaken nicht sonderlich viel anfangen. Alle vier Staaten sind außerdem auf Transferzahlungen aus Brüssel angewiesen. Am stärksten profitiert Polen mit jährlich rund 14 Milliarden Euro. Das ist wohl der Grund, warum ein EU-Austritt für Kaczyński nicht infrage kommt.

Der Brexit zwinge die polnische Regierung, ihre Beziehungen zu den verbleibenden Partnern zu stärken, sagte Agnieszka Łada vom Warschauer Institut für öffentliche Angelegenheiten der Deutschen Presse-Agentur. Vor allem Deutschland und Frankreich seien wichtig. Der PiS sei bewusst geworden, dass Verbalattacken gegen Merkel dabei nicht sonderlich hilfreich seien.

Das stärkt natürlich die Verhandlungsposition der deutschen Kanzlerin, die mit einigen Forderungen ins Nachbarland gereist ist. Erstens will sie Polen überzeugen, Flüchtlinge aufzunehmen. Zweitens setzt sich Merkel für eine zweite Amtszeit des polnischen EU-Ratspräsidenten, Donald Tusk, eines Erzfeindes Kaczyńskis, ein. Drittens wirft sie der polnischen Regierung vor, das Verfassungsgericht entmachtet zu haben. Parallel dazu läuft ein Rechtsstaatsverfahren der EU.

Kaczyński empfand die Kritik von außen stets als anmaßend. Ob, und wenn ja, wie er Merkel jetzt entgegenkommen möchte, war vorerst unklar. Dahinter stehen – auf beiden Seiten – auch noch wirtschaftliche Interessen. Die Handelsbeziehungen zwischen Berlin und Warschau beliefen sich im Vorjahr auf rund 100 Milliarden Euro.

Zumindest die polnische Ministerpräsidentin zeigte sich am Dienstag aufgeschlossen. Beata Szydlo versprach Merkel eine enge Kooperation in der europäischen Migrations- und Verteidigungspolitik. Die Details blieben geheim. Merkel will im Gegenzug die deutschen Verteidigungsausgaben erhöhen, die sich im Moment auf 1,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts belaufen. Das innerhalb der Nato vereinbarte Ziel liegt bei zwei Prozent.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.02.2017)

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