Experten fordern Diskussion über Impfpflicht

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Der Nachweis eines kompletten Impfschutzes vor Eintritt in den Kindergarten oder in die Schule wäre laut Experten sinnvoll. In Ländern wie den USA oder Italien habe man gute Erfahrungen mit einer Impfpflicht gemacht.

Wien. Ein verpflichtender Impfschutz für Kinder bei Eintritt in Betreuungseinrichtungen wäre in Österreich diskussionswürdig. Im Gesundheitswesen sollte das eigentlich gar nicht mehr zur Diskussion stehen, sagten am Mittwoch Experten bei einer Pressekonferenz in Wien. Am Wochenende hatte bereits Volksanwalt Günther Kräuter eine Impfpflicht in Kindergärten und Schulen bezüglich der Masern-Mumps-Röteln-Immunisierung gefordert – vor dem Hintergrund, dass in Österreich in den ersten Wochen des Jahres 2017 bereits mehr Masernfälle als im gesamten Vorjahr registriert wurden.

Zustimmung dafür gab es nun bei einer Pressekonferenz des Österreichischen Verbandes der Impfstoffhersteller (ÖVIH). „Der Nachweis eines kompletten Impfschutzes wie in angelsächsischen Ländern und in den USA vor Eintritt in den Kindergarten, in die Schule oder in die Universität würde absolut Sinn machen. Diese Diskussion ist zu führen“, sagt Ursula Köller vom Institut für Labormedizin des Krankenhauses Hietzing in Wien und Vorsitzende der Arbeitsgruppe „Impfen“ der Bioethikkommission des Bundeskanzleramtes.

Die Möglichkeit, auch Angehörige des Gesundheitspersonals zu Impfungen zu verpflichten, „steht außer Diskussion“, betont Köller. Der Wiener Impfspezialist und Tropenmediziner Herwig Kollaritsch nannte dazu mehrere Beispiele: „In Süditalien hat man vor einigen Jahren eine Impfpflicht gegen Hepatitis B eingeführt. Man hat Hepatitis B damit praktisch eliminiert. Ohne Impfpflicht ehemals bei uns in Österreich wären die Pocken nie ausgerottet worden.“

Vergleich mit den USA

Kollaritsch will beispielsweise auch in Sachen Influenzaimpfung die Ärzte und das Pflegepersonal in die Pflicht nehmen. „Im Bereich des Gesundheitswesens sehen wir hier in Österreich vielleicht Durchimpfungsraten von 15 bis 20 Prozent. In den USA liegt die Influenza-Durchimpfungsrate unter den Ärzten bei 96 Prozent.“ Die Immunisierung verhindert die Übertragung der potenziell gefährlichen Erkrankung. Auf möglichst hohe Durchimpfungsraten und den sogenannten „Herdenschutz“ kommt es auch in Österreich immer mehr an, wenn es um die Verhinderung von Krankheitsausbrüchen geht. Säuglinge und Kleinkinder profitieren vom Impfschutz der Älteren, solange sie selbst noch nicht geimpft werden können.

Immer mehr Menschen leben mit geschwächtem Immunsystem als Folge von Therapien, die Immunreaktionen des Körpers unterdrücken (bei Erkrankungen etwa, die das Immunsystem selbst betreffen). Bei ihnen sind manche Impfungen (Lebendimpfstoffe) oft nicht möglich oder sie sprechen schlechter auf Impfungen an. Für einen „Herdenschutz“ sind zumeist Durchimpfungsraten von 95 Prozent (etwa bei Masern) notwendig.

Geschwächtes Immunsystem

Schließlich fallen auch Betagte und Hochbetagte unter die wachsende Gruppe der Personen mit einem geschwächten Immunsystem. Bei ihnen sollte auf die Aufrechterhaltung des Impfschutzes geachtet werden. Außerdem kann eine Verkürzung der Impfintervalle wegen des oft schwächeren Ansprechens des alternden Immunsystems auf die Vakzine notwendig sein. Das ist zum Beispiel bei der FSME-Impfung der Fall.

Bei den Influenza-Vakzinen setzt man für einen besseren Effekt auf höhere Dosierungen, sogenannte adjuvierte Vakzine oder Impfstoffe, die in die Haut und nicht in den Muskel injiziert werden. (APA/red.)

AUF EINEN BLICK

Vorstoß. Bei einer Pressekonferenz des Österreichischen Verbandes der Impfstoffhersteller (ÖVIH) sprachen sich Experten am Mittwoch für eine Diskussion über die Impfpflicht aus. Am Wochenende hatte bereits Volksanwalt Günther Kräuter eine Impfpflicht in Kindergarten und Schulen gefordert. Das erfolgte vor dem Hintergrund, dass in Österreich seit Anfang des Jahres 2017 bereits mehr Masernfälle als im gesamten Jahr 2016 registriert wurden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.02.2017)

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