„Impfen ist keine Glaubensfrage“

Durch die Weigerung vieler Eltern, ihre Kinder zu impfen, kommt es derzeit zu einer Rückkehr von Kinderkrankheiten wie Masern.
Durch die Weigerung vieler Eltern, ihre Kinder zu impfen, kommt es derzeit zu einer Rückkehr von Kinderkrankheiten wie Masern.(c) APA/AFP/DOUGLAS MAGNO (DOUGLAS MAGNO)
  • Drucken

Impflücken führen derzeit beinahe täglich zu neuen Masernfällen. Experten fordern eine Impfpflicht. Ist das sinnvoll? Und welche Erfahrungen haben andere Länder damit gemacht?

Wien. 32 Masernerkrankungen seit Jahresbeginn haben die Debatte um eine Impfpflicht voll entfacht. Zum Vergleich: Im gesamten Vorjahr wurden 28 Masernfälle registriert. Aber was würde eine Impfpflicht bringen? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

1. Ist in Österreich irgendjemand verpflichtet, sich impfen zu lassen?

Nein, nicht einmal Gesundheitspersonal muss sich impfen lassen. In diesem Bereich wäre laut dem Wiener Kinder- und Jugendarzt Rudolf Schmitzberger wegen der besonders hohen Ansteckungsgefahr der verpflichtende Nachweis eines Impfschutzes sinnvoll. Bei Nichterbringen dieses Nachweises wäre ein Arbeitsverbot auf bestimmten Abteilungen wie etwa Neugeborenenstationen, Geburts- und onkologischen Abteilungen notwendig. Von einer generellen Impfpflicht hält er hingegen nichts, da ein solcher Zwang Impfungen „emotionalisieren“ würde, und es in der Folge noch mehr Impfgegner gäbe. Dieser Effekt wurde in den 80er-Jahren in Italien beobachtet, als nach Einführung einer Impfpflicht die Zahl der Masernerkrankungen stark stieg, weil sich viele Eltern weigerten, ihre Kinder impfen zu lassen. Andererseits hat die Impfpflicht in Italien Hepatitis B weitgehend eliminiert. Sehr wohl diskutiert werden sollte laut Schmitzberger der Nachweis eines Impfschutzes vor dem Eintritt in Einrichtungen wie Kindergärten, Schulen und Universitäten. In angelsächsischen Ländern und den USA wird das bereits sehr erfolgreich praktiziert.

2. Haben Flüchtlinge zu den jüngsten Masernfällen beigetragen?

Nein. Die meisten syrischen Flüchtlinge sind geimpft. Bei einem nicht bekannten Impfstatus (vor allem bei Flüchtlingen aus Pakistan und Afghanistan) erfolgt vorschriftsmäßig zumindest eine Kombinationsimpfung gegen Masern, Mumps, Röteln, Diphtherie, Tetanus, Kinderlähmung und Keuchhusten. Impfskepsis ist unter Flüchtlingen so gut wie nicht vorhanden. Bei Migranten aus Ex-Jugoslawien und Rumänien hingegen schon – zumeist aufgrund negativer Erfahrungen mit Impfungen in ihren Heimatstaaten. Sonst ist die Impfskepsis laut Schmitzberger zumeist auf unseriöse Informationen aus dem Internet zurückzuführen, die Impfungen zu einer Glaubensfrage machten. Aber Medizin habe mit Glauben nichts zu tun. Schmitzberger: „Bei diesen Impfungen ist die Angst vor Nebenwirkungen irrational und unbegründet.“

3. Wie gefährlich sind die Masern eigentlich?

Masern sind keine harmlose Kinderkrankheit. In 20 Prozent der Fälle treten Komplikationen wie Mittelohr- und Lungenentzündungen auf. Bei zwei von 1000 Fällen sind Gehirnentzündungen die Folge – mit dramatischen Verläufen bis hin zu Todesfällen. Die meldepflichtige Viruserkrankung wird durch Tröpfcheninfektion übertragen. Die Inkubationszeit beträgt acht bis zehn Tage (maximal 21 Tage). Die ersten Symptome sind Fieber, Husten, Schnupfen und gerötete Augen. Nach etwa 14 Tagen beginnt der Hautausschlag, das Masernexanthem. Vier Tage vor bis vier Tage nach dem Auftreten des Hautausschlags ist die Erkrankung ansteckend.

4. Eine Masernerkrankung stärkt das Immunsystem – stimmt das?

Nein, das Gegenteil ist der Fall. Einer aktuellen Studie zufolge schwächt eine Masernerkrankung das Immunsystem nachhaltig, sodass die Betroffenen jahrelang deutlich anfälliger sind auf alltägliche Infektionskrankheiten.

5. Wie ist es um den Masern-Impfschutz in Österreich bestellt?

In Österreich sollten an sich mehr als 95 Prozent („Herdenschutz“) der Kinder zweimal (im Abstand von einem Monat) gegen Masern (Masern, Mumps, Röteln; MMR-Dreifachimpfung) immunisiert werden. Das ist aber nicht der Fall, wodurch die Impfrate zu gering ist, um Übertragungen und Ausbrüche zu vermeiden. Sechs Prozent der Zwei- bis Fünfjährigen, das sind etwas mehr als 20.000 Kinder, sind gar nicht gegen Masern geimpft. Etwa zehn Prozent aller geimpften Kinder sind kein zweites Mal geimpft. Das sind fast 39.000 Kleinkinder und mehr als 37.000 Schulkinder. Dabei ist die MMR-Impfung ab dem zehnten Lebensmonat für alle gratis, nach einer zweimaligen Impfung besteht in der Regel ein lebenslanger Impfschutz.

6. Sind neben den Masern andere Krankheiten auf dem Vormarsch?

Neben Masern und Mumps nahm in den jüngsten Jahren auch die Zahl der an Keuchhusten erkrankten Erwachsenen deutlich zu, besonders betroffen sind Menschen über 60. Der Keuchhusten ist eine ebenfalls durch Tröpfcheninfektion übertragbare Erkrankung. Erwachsene sind die häufigste Infektionsquelle für Säuglinge, für die Keuchhusten sehr gefährlich sein kann. Daher werden regelmäßige Auffrischungsimpfungen (alle zehn Jahre) für Jugendliche und Erwachsene dringend angeraten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.02.2017)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Schule

Schulärzte impfen nicht: Stadtschulrat sucht Lösung

Seit im Herbst festgestellt wurde, dass Schulärzte bei Impfschäden haften, verweigern manche die Impfung. Eltern fürchten, dass die Durchimpfungsrate sinkt.
Kommentare

Impfpflicht? Muss das sein?

Es könnte so einfach sein. Die Masern wären ausgerottet, würden sich mehr als 95 Prozent der Bevölkerung dagegen impfen lassen. Stattdessen gab es in Österreich allein seit Jahresbeginn mindestens 32 Erkrankungen – Kleinkinder ebenso wie Erwachsene.
Österreich

Influenza: Das Ende einer Welle als Vorlaufzeit zur nächsten

Eine Wiener Expertin fordert, dass möglichst alle Kinder geimpft werden sollten. Zusätzlich alle Betreuungspersonen und alle Menschen mit Risiko.
Grippeimpfung
Österreich

Influenza: Die Impfrate ist niedrig

In der Saison 2016/17 ließen sich nur 5,35 Prozent immunisieren – der zweitniedrigste Wert.
Zecke
Österreich

80 Fälle von FSME

2016 gab es 16 Fälle mehr als 2015. Auch tiefe Temperaturen schaden den Parasiten nicht.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.