Harte Konkurrenz zwischen den Staaten bei der Höhe ihrer Steuern ist für alle ein Segen. Aber nur, solang es dabei fair und transparent zugeht.
Man kann es sich leicht machen: Wettbewerb ist immer gut – auch beim Preis staatlicher Leistungen. Wer an der Macht ist, treibt Steuern mit Zwangsgewalt ein und kann sie beliebig hoch ansetzen. Umso mehr braucht es die Vergleichsmöglichkeit mit anderen Kommunen, Regionen und Staaten, die Ähnliches zu geringeren Kosten anbieten. Und die Freiheit der Bürger und Investoren, mit ihren Füßen abzustimmen. Jeder Versuch, das Steuerniveau zu nivellieren, schwächt Demokratie und Leistungskraft.
So weit, so wahr. Aber ist eine Steueroase, deren einzige gewerbliche Kompetenz im Polieren von Messingbriefkästen besteht, deshalb schon leistungsstark? Agiert ein Inselchen als fairer Konkurrent, wenn es wie ein Parasit die woanders erzielte Wertschöpfung ansaugt und damit Finanzierungsquellen öffentlicher Güter austrocknet? Sicher nicht. Der Grat zwischen Tugend und faulen Tricks ist leicht auszumachen, sobald sich ideologische Nebel lichten. Etwa bei der Patentbox: Es ist würdig und recht, wenn ein Staat Forschung von Unternehmen steuerlich begünstigt. So holt man schlaue Köpfe ins Land und bereitet den Boden für Innovationen. Nichts von alledem passiert in Malta, einem Felsbrocken im Meer, wo Papiertöchter von Konzernen deren Patente halten und Gewinne steuerfrei einsammeln. Die fiskalischen Tugendwächter der OECD agieren also nicht schizophren, wenn sie Länder für ihre niedrige Abgabenquote loben und zugleich Listen von „schädlichen Praktiken“ erstellen.
Dazu zählen zweifellos die Privilegien, die Holdings in der Schweiz für ihre im Ausland erzielten Gewinne genießen. Das haben, nach langem Druck, auch die Schweizer selbst eingesehen. Man kann ihnen, wie auch beim Briefgeheimnis für blutrünstige Diktatoren, den späten Termin und die geringe Eigeninitiative bei ihrer Konversion vorwerfen. Aber wie sie nun reinen Tisch machen wollen, verdient Respekt: Sie verwandeln das Privileg für wenige in einen niedrigen Satz für alle Firmen. Und jetzt diskutiert eine breite Öffentlichkeit, wie finanzielle Lasten neu zu schultern sind und wo man einsparen kann. Am Ende stimmen alle darüber ab. Das ist gelebte Demokratie.
Aus österreichischer Sicht ist auch der deutschen Politik zu applaudieren: Sie kriegt einen ähnlich ausgebauten Sozialstaat mit einer Abgabenquote hin, die um fünf Prozentpunkte niedriger liegt. Das ist nicht leicht, das Schaffen von Spielräumen erfordert Zeit und viele wohldurchdachte Schritte. Wenn aber der britische Schatzmeister die Unternehmenssteuer mit einem Streich von 20 auf unter 15 Prozent senken will, agiert er ohne jedes Sparkonzept, sondern Brexit-bedingt mit dem Rücken zur Wand. Geht es schief, sinken die Einnahmen. Geht es gut, weil er damit Firmen anzieht, müssen kontinentaleuropäische Staaten eilig nachziehen – ein Wettlauf nach unten. Der Effekt verpufft so rasch wie bei Blitzsiegen in Handels- oder Währungskriegen. Am Ende liegen Steuersysteme in Trümmern.
Gewiss: Man kann osteuropäische Länder, die noch mitten im Aufholprozess stehen, ruhig den Gewinnsteuerturbo einschalten lassen. Man darf auch radikal überlegen, ob man Unternehmen überhaupt besteuern soll, da sie doch der Motor des Wohlstands sind. Aber die in den meisten Ländern recht ähnlichen Sätze zeigen doch ein breites Verständnis dafür, in welcher Größenordnung der Beitrag liegen soll. Für hoch entwickelte Staaten gibt es da ein Zuwenig. Und es gibt ein Zuviel. Hier ist, so schwer es fällt, Donald Trump ausnahmensweise recht zu geben: Die 40 Prozent in den USA schrecken ab – und haben die verrückte Steuerflucht der US-Konzerne überhaupt erst ausgelöst.
Auch wenn es paradox klingt: Gemeinsame Bemessungsgrundlagen und (großzügige!) Spielräume je Steuerart töten transparenten Wettbewerb in der EU nicht ab, sondern erleichtern ihn. Wie ja auch Konsumenten Waren preislich nur vergleichen können, wenn diese gewissen einheitlichen Standards genügen. Am Ende aber sollen nicht Bürokraten, profilierungssüchtige Politiker und Lobbys entscheiden, sondern der Bürger als wohlinformierter Souverän. Und deshalb: Ein Hoch auf die Schweiz.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.02.2017)