Erinnerung eines Folteropfers

Bakary Jassey wurde von Polizisten gefoltert. Nun hat er darüber geschrieben.
Bakary Jassey wurde von Polizisten gefoltert. Nun hat er darüber geschrieben.(c) Akos Burg
  • Drucken

Er wurde 2006 von Polizisten gefoltert und fast getötet. Nach mehr als zehn Jahren hat Bakary Jassey die Erinnerungen an sein Martyrium in Buchform gebracht. Ein Vorabdruck.

Bakary Jassey erzählt. Er macht es nicht gern. Jedes Wort, jede Erinnerung an das, was ihm widerfahren ist, schmerzt. Sein Blick geht ins Leere, als er immer wieder wiederholt: „Sie wollten mich umbringen.“ Und doch hat der gebürtige Gambier den Entschluss gefasst, seine Geschichte zu erzählen. Von jenem Tag, als er im April 2006 ohne Vorwarnung abgeschoben, von seiner Frau und seinen zwei Kindern getrennt hätte werden sollen. Und davon, was geschah, als er dann doch nicht im Flugzeug saß – und Polizisten ihn in einer leer stehenden Lagerhalle fast zu Tode folterten. Erinnerungen in seinen eigenen Worten.

* * *

Gegen vier Uhr stürmte C. in Begleitung von vier uniformierten Kollegen unsere Zelle. Sie brüllten meinen Namen, alle schreckten aus ihren Betten. Uniformierte Männer rafften hastig meine Habseligkeiten zusammen. Nun würden sie mich wohl zum Generalkonsul bringen, mutmaßte ich schlaftrunken. Hatte C. doch zuvor mit mir über Reisedokumente gesprochen. Ich wusch mir das Gesicht, putzte mir die Zähne und wollte zur Toilette. Einer der Beamten trat energisch vor und versperrte mir den Weg. Die Männer waren gereizt, die Stimmung war angespannt. Ratlos verabschiedete ich mich von meinen Kollegen und folgte den Beamten zur Aufnahme, wo mir meine restlichen Sachen ausgehändigt wurden. Drei der Männer waren Beamte der Sondereinsatzgruppe WEGA. Sie wiesen mich an, in ihren Polizeibus zu steigen. Auf die Frage, wohin wir denn fahren würden, gab C., der sich neben mich gesetzt hatte, zurück, dass ich das noch früh genug herausfinden würde.

Ein Handzeichen der Stewardess war das Zeichen für die Beamten. Wir betraten die Gangway. Und da geriet ich in Panik. Ich drehte mich zur Flugbegleiterin, die an der Vordertür der Maschine wartete. Ob ich mit ihr sprechen könne, flehte ich sie an. Dass ich über diese Reise nicht informiert worden war. Dass ich eine österreichische Frau und zwei Kinder hätte, die ebenfalls nicht benachrichtigt worden waren. Und dass es nicht in Ordnung sei, wenn ich das Land ohne ihr Wissen verlassen müsste. Dass es zudem ein noch offenes Verfahren gäbe. Unmissverständlich machte ich ihr klar, dass ich gegen meinen Willen hier war und nicht mitfliegen wollte. Die Stewardess informierte den Co-Piloten. Dieser entschied, dass er mich nicht an Bord nehmen würde, wenn ich nicht freiwillig fliegen wollte. Ich kann mich noch an die Blicke zwischen C. und seinen Kollegen erinnern. Sie schienen nicht unglücklich zu sein über diese fehlgeschlagene Abschiebung.

An einer Ampel bogen wir links ab, auf der rechten Seite der Kreuzung stand eine große Lagerhalle, das Doppeltor stand weit offen. Der Fahrer parkte den Bus am Ende der verlassenen Halle. Die Polizisten stiegen eilig aus und verschwanden aus meinem Blickfeld. Ich blieb allein zurück, eingesperrt. Was hatte ich an diesem seltsamen Ort zu suchen? Die Halle war sehr groß, staubig, nicht ausgemalt, viele Betonpfeiler stützten die Decke, auch der Boden war aus Beton. Wollten mich diese Männer umbringen? Hatten sie einen geheimen Auftrag? Wurden an diesem geheimen Ort Exekutionen von der Polizei durchgeführt? Ich dachte, vielleicht handelte es sich ja um eine Art Doppelmission. Sie sollten versuchen, mich abzuschieben, mich anschließend zu Tode foltern und meine sterblichen Überreste verbrennen. Gab es in Österreich geheime Hinrichtungen? All das geisterte mir im Kopf herum. Mir fielen die mysteriösen Geschichten ein, die es in den letzten Jahren mit Schwarzafrikanern und der Polizei gegeben hatte. Schon manch einer war in diesem Land auf mysteriöse Art und Weise ums Leben gekommen. Heute war wohl ich an der Reihe.

Etwa zehn Minuten lang sah ich keinen der Männer. Sie hatten vermutlich das ganze Gebäude durchsucht, um sicherzustellen, dass niemand sie sehen konnte. Dann kamen sie zurück, mit dicken, schwarzen Handschuhen. Erst jetzt fielen mir ihre schweren Stiefel auf. C. stieg zu mir in den Bus, setzte sich neben mich und lächelte. Er holte eine rote Schnur aus seiner Tasche und befahl mir, ihm beide Hände hinzustrecken. Er zog die Schlinge fest zusammen. „Das hier ist kein Scherz“, sagte er mit drohender Stimme. „Ich habe dir schon gesagt, dass wir eine Spezialeinheit sind und dass wir einen Auftrag haben. Aber du wolltest ja nicht hören.“ Ob ich Adolf Hitler kennen würde? Ich sagte nein, aber dass ich wisse, dass er sechs Millionen Juden umgebracht hat. Ich werde die Nummer Sechsmillionenundeins sein, gab C. zurück, und befahl mir, auszusteigen.

„Auf Wiedersehen, Jassey, du wirst deine Frau und deine Kinder niemals wiedersehen, diese süße Welt ist nun zu Ende für dich!“ Sie umzingelten mich, dann sprangen sie los. Schläge trommelten auf mich ein. Es hörte nicht auf und fühlte sich wie eine Ewigkeit an. Meine Stimme war weg, ich konnte nicht mehr um Erbarmen flehen. Ein extrem harter Punch brachte mich schließlich endgültig zu Fall, ich blieb auf dem Betonboden liegen. Die Polizisten traten weiter mit ihren Stiefeln auf mich ein. Dann zog einer seinen Schlagstock, oder war es ein Elektroschockgerät, mit einem Schlag brannte es jedenfalls wie Feuer. Sie zerrten mich vom Boden hoch und schleiften mich in eine Ecke. Ich solle mein letztes Gebet aufzusagen, befahlen sie mir, und meine Augen schließen.

Eines der ersten Fotos nach der Folter.
Eines der ersten Fotos nach der Folter.(c) APA (PRIVAT)


Zeit zu sterben. „Hey! Hey!! Schau her! Schau her!!“ Einer der Männer hatte eine Handgranate in der Hand. „Kennst du das? Mach die Augen zu!“ Ich dachte, nun sei es an der Zeit zu sterben. Das sollte wohl tatsächlich eine Hinrichtung werden. In Gedanken bat ich Gott um Schutz, Gnade und Vergebung. Sie packten mich brutal an den Armen, schleiften mich zur Mitte der Halle und zwangen mich in einer muslimischen Gebetspose auf den Boden. Mühevoll hob ich noch den Kopf und sah die Männer zurückweichen. Dann kam auch schon der Bus auf mich zu. Ich spürte den Aufprall und erinnere mich noch an den harten Sturz auf den Beton. Dann verlor ich das Bewusstsein.

* * *

„In welchem Land?“, hatte Heinz Patzelt arglos gefragt, als er von der Geschichte gehört hatte, wie er im Vorwort zu Bakary Jasseys Erinnerungen schreibt. „Was heißt in welchem Land“, habe eine Mitarbeiterin des Generalsekretärs von Amnesty International damals gesagt, „das ist hier in Wien passiert!“ Und die Folter durch die Polizisten in der Lagerhalle war noch lange nicht das Ende von Bakary Jasseys Martyrium. Es sollten weitere schwere Zeiten folgen – gleich unmittelbar danach, etwa. Als er darum kämpfen musste, dass ihm seine Geschichte geglaubt wird. Ein schwieriges Unterfangen, denn als afrikanischer Flüchtling, der wegen eines Drogenvergehens im Gefängnis gesessen war, der dann abgeschoben werden hätte sollen und sich dagegen gewehrt hatte, war er im System das schwächste Glied.

* * *

Sie brachten mich aus der Notaufnahme und ließen mich lange Zeit am Gang liegen. Die Polizisten erzählten währenddessen die Geschichte aus ihrer Sicht. Irgendwann kam eine Ärztin zu mir und fragte, wo es denn weh tue. Ich zählte ihr alles noch einmal auf. Sie hielt meinen Kopf und schüttelte meinen Polster auf. Etwas später kam ein Arzt, der mir eine Tetanusspritze und eine Schmerztablette gab. Dann brachten sie mich zum Röntgenraum. Wieder die Frage, wo ich denn Schmerzen hätte. Überall, antwortete ich ihr. Das sei unmöglich, gab sie zurück, sie würde nur Bilder von meinem Hals und den Schultern machen. Schließlich brachte sie mir eine Halskrause, legte sie mir um den Hals und ermahnte mich, sie nicht abzunehmen, ohne zuvor einen weiteren Arzt zu konsultieren.

Die Polizisten schienen gut gelaunt. Sie dachten wohl, dass sie gewonnen hatten. C. fragte zweimal nach, ob sie mich wirklich nicht aufnehmen würden. Die Ärztin sagte zu mir: „Sie sind entlassen, die Gefängnisärzte werden die Behandlung fortsetzen.“ Sie möge mir das nicht antun, schrie ich nun aus Leibeskräften. Sowohl die Polizisten als auch die Schwestern brachen in Gelächter aus. Meine Peiniger selbst schoben mich im Krankenhausbett in den Lift. C. beugte sich herunter zu mir und raunte: „Wenn du uns anzeigst, wirst du sehr viel Geld brauchen, das du nicht hast. Du wirst einen sehr guten Anwalt brauchen, und kein Anwalt wird das Risiko eingehen, gegen die Polizei zu arbeiten.“ Wenn ich die Geschichte irgendjemandem erzählen würde, sei ich schon bald ein toter Mann.

Sie schoben mich weiter zum Polizeibus, zerrten mich vom Bett und legten mich wieder zwischen die Sitzbänke. Ich schrie vor Schmerzen. C. zog seine braune Lederjacke aus und entfernte die Blutflecken auf der Jacke mit Wasser aus einer Plastikflasche. „Das war erst der Anfang. Heute wirst du verstehen, dass wir die Polizei sind.“

* * *

Nach internen Ermittlungen wurde das Vergehen der Beamten festgestellt. Bakary Jassey bekam eine finanzielle Wiedergutmachung von 110.000 Euro für die erlittene Folter zugebilligt. Eine Klage auf eine höhere Entschädigung wurde vom Gericht abgewiesen, das Oberlandesgericht hob die ablehnende Entscheidung auf. Damit kann er sich noch Hoffnung auf seine geltend gemachten Schadenersatzansprüche machen. Die drei Polizisten, die Bakary Jassey misshandelten, kamen mit Bewährungsstrafen von acht Monaten, ein untätig gebliebener Kollege mit sechs Monaten, milde davon. Erst Jahre später gab es auch disziplinarrechtliche Konsequenzen bis zur Entlassung aus dem Polizeidienst. 2012 entschuldigte sich das Innenministerium bei Bakary Jassey. Eine Entschuldigung der Beamten, die ihn gefoltert hatten, gibt es bis heute nicht. ?

Bericht

„Wie es sich zugetragen hat“ von Bakary Jassey ist online gratis abrufbar.

www.bakary-jassey.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.02.2017)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Bakary Jassey
Wien

„Mein Psychiater hat gesagt, dass das alles immer wiederkommen wird“

Noch heute leidet Bakary Jassey unter dem, was er durchlitten hat. Er hat Angst vor Angriffen, er begegnet Polizisten mit Misstrauen, und auch die körperlichen Folgen der Folter machen ihm zu schaffen.
Bakary Jassey
Wien

„Mein Psychiater hat gesagt, dass das alles immer wiederkommen wird“

Noch heute leidet Bakary Jassey unter dem, was er durchlitten hat. Er hat Angst vor Angriffen, er begegnet Polizisten mit Misstrauen, und auch die körperlichen Folgen der Folter machen ihm zu schaffen.
Wien

Bakary J.: Mehr Schmerzengeld nach Gutachten?

Psychiater sieht andauernde Persönlichkeitsänderung.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.